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Schimären als Organlieferanten
Stammzellen in Schweinen bilden artfremde Organe

Immer mehr Patienten weltweit warten auf eine Organtransplantation. Aber es mangelt an Spendern. Schon früh entstand deshalb die Idee, Organe von Tieren zu verpflanzen. Allerdings reagiert das Immunsystem des Empfängers auf artfremde Organe mit einer heftigen Abstoßungsreaktion. Schimären, also Mischwesen, könnten dieses Problem lösen.

Von Michael Lange | 01.06.2015
    Eine Lungentransplantation in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH)
    Könnten bald in Schweinen gewachsene Organe in Menschen transplantiert werden? Das erforschen japanische Wissenschaftler. (picture alliance / dpa / Junge /MHH)
    Viele Forscher wollen menschliche Organe im Labor aus Stammzellen heranzüchten. Aber das ist gar nicht so leicht. Kein technischer Bioreaktor liefert bislang die Umgebung und Versorgung, die ein Organ zum Wachsen braucht. Deshalb setzt der japanische Stammzellenforscher Hiromitsu Nakauchi an der Universität Tokyo auf Tiere. In ihnen sieht er ideale Bioreaktoren, in denen menschliche Organe gedeihen können.
    "Ich verwende genetisch veränderte Tiere, denen bestimmte Organe fehlen. In ihnen können funktionierende menschliche Organe die entsprechende Funktion übernehmen. So entstehen Schimären aus Tier und Mensch."
    Tiere zum Beispiel, denen das sogenannte pdx-Gen fehlt, bilden keine Bauchspeicheldrüse. Wenn in den Tier-Embryo ohne pdx-Gen Stammzellen mit pdx-Gen gepflanzt werden, dann bilden diese im Embryo das fehlende Organ. Die Stammzellen dürfen dabei durchaus von einer anderen Art stammen.
    So verpflanzte Hiromitsu Nakauchi zunächst Stammzellen aus Mäusen in Ratten-Embryonen oder Stammzellen aus Ratten in Mäuse-Embryonen. Da den Empfänger-Tieren wichtige Organe fehlten, hätten sie ohne die fremden Zellen nicht überlebt. Die fremden Stammzellen halfen den Embryonen, bildeten die fehlenden Organe, und die Tiere überlebten. Dies sei der beste Nachweis, dass die fremden Organe funktionstüchtig seien, erklärt Hiromitsu Nakauchi.
    "Wir verwenden embryonale Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen wurden. Sie sind aber nur dann zur späteren Transplantation geeignet, wenn die neuen Organe vom Immunsystem des Empfängers nicht oder nur wenig abgestoßen werden. Das gilt zum Beispiel für das Herz. Bei Haut oder Blut werden die embryonalen Stammzellen vom Immunsystem des Empfängers stark abgestoßen. Dann verwenden wir induzierte pluripotente Stammzellen – kurz IPS. Sie stammen aus Körperzellen des späteren Empfängers und werden nicht abgestoßen."
    Beide Zelltypen – embryonale und sogenannte IPS-Zellen - hat Hiromitsu Nakauchi bereits erfolgreich ausprobiert. Bisher forscht er allerdings noch nicht mit menschlichen Zellen. Um sich der Arbeit mit menschlichem Gewebe anzunähern, verwendet er Zellen von Affen.
    "Wenn wir es schaffen, die Bauchspeicheldrüse, die Leber oder das Herz von Affen in Schweinen wachsen zu lassen, dann bin ich sicher: Wir können auch Organe des Menschen im Schwein züchten. Denn Menschen und Affen sind nah verwandt."
    Die besten Bioreaktoren für menschliche Organe sind Schweine. In ihnen finden Affenorgane gute Wachstumsbedingungen. Um die ersten Experimente mit Menschenzellen vorzubereiten, ist Hiromitsu Nakauchi nun ständig unterwegs zwischen Tokyo und Kalifornien.
    "In Japan sind Experimente mit Mensch-Tier-Schimären nicht erlaubt. Aber ich betreibe jetzt ein Labor in den USA und habe dort eine Zulassung der zuständigen Behörde erhalten. Wir dürfen jetzt also Mensch-Schwein-Schimären in den USA herstellen."
    An der Stanford-Universität in Kalifornien sollen die Experimente stattfinden. Wann das erste Organ aus einem Schwein in einen menschlichen Patienten verpflanzt wird, ist aber noch völlig offen.