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Schirrmacher: Fest hat Hitler entdämonisiert

Nach Einschätzung Frank Schirrmachers ist die Hitler-Biografie die größte Leistung des verstorbenen Publizisten Joachim Fest. "Auf über 1000 Seiten dieses Rätsel Hitler versuchen zu lösen und sich nicht in die Ausflüchte der Dämonie zu begeben, ist wirklich beneidenswert", sagte Schirrmacher, Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Moderation: Dina Netz | 12.09.2006
    Dina Netz: Journalist, Publizist, Historiker - was war Joachim Fest in Ihrer Wahrnehmung zuerst?

    Frank Schirrmacher: Joachim Fest war einer der größten Stilisten deutscher Sprache. Das heißt, er beherrschte das Handwerk, das zu all den drei Berufen gehört, die Sie gerade erwähnt haben, meisterhaft. Golo Mann hat mal in einer Laudatio gesagt, Joachim Fest schreibe wie sein Vater, wenn es um Essays ging. Und das ist auch so. Fest konnte komplizierteste Gedanken in einem wirklich unglaublich beeindruckenden Stil darstellen. Das auch erklärt, warum er in so vielen Berufen, in so vielen Existenzen reüssieren konnte, weil er diese Gabe des Ausdrucks hatte, wie sie wenigen gegeben ist.

    Netz: Und stehen diese vielen Existenzen für Sie gleichberechtigt nebeneinander, oder gibt es da auch einen Schwerpunkt?

    Schirrmacher: Nein, also für mich ist Fest, den ich hier als Herausgeber kannte und schätzte und ihm sehr viel zu verdanken habe, trotz all dem was er für die "FAZ" geleistet hat der Verfasser der Hitler-Biografie und damit eines der bedeutendsten Bücher, die nach '45 geschrieben worden sind. Diese Leistung, auf über 1000 Seiten dieses Rätsel Hitler versuchen zu lösen und sich nicht in die Ausflüchte der Dämonie zu begeben, sondern der Rationalität, ist wirklich beneidenswert. Das ist sozusagen das Größte. Das definiert ihn und wird ihn auch über Jahrzehnte hinweg definieren. Und all die anderen Existenzen, auch die Journalistische, sind sehr, sehr wichtig gewesen, aber im Vergleich zu der Größe dieses Erfolges natürlich dann nicht so bedeutend.

    Netz: Dieses Buch, diese Hitler-Biografie von der Sie gerade sprechen, hat ja 1973 beim Erscheinen eine monatelange Debatte ausgelöst. Warum hatte diese Hitler-Biografie von Joachim Fest damals diese Sprengkraft?

    Schirrmacher: Die Thesen, die vorher kursierten, waren ja, es handelt sich sozusagen um einen dämonischen Vorgang, der irgendwie einen Verrückten an die Macht brachte und damit diesem auch ein Volk auslieferte. Fest ging anders vor. Fest schaute sich diese Figur Hitler an und versuchte zu verstehen, was da abgelaufen ist und sagte, wir können die Rationalität nicht außen vor lassen. Und dadurch wurde es so beängstigend, weil klar wurde, es war eben nicht nur Hitler, es war ein ganzes Volk. Das wird bei Fest ganz eindeutig. Seine Kritik zum Beispiel am konservativen Milieu der 30er und 20er Jahre ist schärfer, als von irgendwelchen linken Publizisten sie je formuliert worden ist. Und gleichzeitig hat er eben diese deutsche Tradition des Bildungsromans seit Goethe angewandt auf diese Figur Hitler und damit eigentlich einem Thomas Mann'schen Vorbild gefolgt, diesem berühmten Essay "Bruder Hitler". Er hat Hitler als jemanden geschildert, der nicht von einem anderen Planeten ist, sondern leider von diesem Planeten und hier sein Unheil entfalten konnte. Das hat damals sehr viele Leute schockiert, tief beeindruckt natürlich, aber auch bei dem ein oder anderen natürlich Widerstände hervorgerufen.

    Netz: Wenn man zum Beispiel an den Historikerstreit denkt, dann war ja Joachim Fest derjenige, der das Feuilleton vom reinen Rezensionskulturteil weg entwickelt hat hin zu einem Debatten-Feuilleton. War das seine große publizistische Leistung?

    Schirrmacher: Fest hat überhaupt erst das Feuilleton, wenn Sie so wollen, begründet. Also, es gab Feuilletons damals in den überregionalen Zeitungen nur als Teil der anderen Produkte. Das war unter dem Strich des politischen Teils. Und er sagte, als er herkam, ich will ein eigenes so genanntes Produkt. Das heißt, es soll ein eigen herausnehmbarer Teil der Zeitung werden und hat damit natürlich nicht nur das Selbstbewusstsein der Feuilleton-Redakteure geprägt, sondern auch all derer, mit denen wir uns beschäftigen, weil jetzt die Musiker, die Schriftsteller und so weiter eine ganz andere Plattform hatten. Alle anderen Zeitungen haben das dann über kurz oder lang nachgemacht. Und er hat auch diese Debatten, und das waren vor allem die politischen Debatten, in dieser Zeitung verankert. Das waren in den 60er Jahren vor allen Dingen Debatten, die in Zeitschriften und Magazinen stattfanden, die hat er in die Tageszeitung geholt. Und in der Tageszeitung können sie natürlich viel schneller reagieren, als das in Magazinen möglich ist. Auch das hat er ganz klar gesehen, und hat er also mit absoluter Energie hier durchgesetzt.

    Netz: Intellektuelle haben keinen Einfluss, sie sind, wenn es hoch kommt, Stichwortgeber, so hat Joachim Fest seine eigene Funktion einmal geringgeschätzt. Geben Sie ihm da Recht, Herr Schirrmacher, oder war Joachim Fest mehr als nur ein Stichwortgeber für die Geschicke der Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten?

    Schirrmacher: Also für ihn gilt das mit absoluter Sicherheit nicht. Er hat einen dramatischen Einfluss gehabt auf das Geschichtsverständnis dieses Landes, auch der politischen Klasse. Er war ja dann schon eigentlich ab den 80er Jahren ziemlich resigniert, würde ich mal vorsichtig sagen, was die Politik insgesamt angeht. Und auch da muss man immer sagen, wenn man ihn einen Konservativen nennt, Fest war ein konservativer Anarchist. Er ließ sich keiner Partei zuordnen. Und er war noch mehr entsetzt über die Entwicklungen sozusagen im konservativen Spektrum, als auf der anderen Seite und fühlte sich dort auch nicht so zu Hause, weshalb er da diese Wort prägte von dem Stichwortgeber. Er war der Meinung, die verstehen mich gar nicht mehr, die politische Klasse. Nur ganz wenige verstehen mich dort noch und verstehen das, worum es geht, nämlich dass eine Gesellschaft wie die unsere auch eine sein muss, die aus Bildung, Belesenheit, Kultur im weitesten Sinne bestehen muss, und nicht nur aus dem, was wir täglich in der "Tagesschau" sehen.

    Netz: Mal abgesehen von dieser beeindruckenden beruflichen Biografie, die er hat. Was war denn Joachim Fest eigentlich für ein Mensch?

    Schirrmacher: Er galt vielen als sehr unnahbar - Sie werden sehr oft in Beschreibungen von ihm das Wort kühl hören - distanziert, in Wahrheit ist das wie immer harte Schale und dahinter ist dann doch ein weicher Kern und vor allen Dingen ein unglaublich sensibler Kern in seinem Fall. Er war ein sehr, sehr zuverlässiger, konnte ein unglaublich witziger Mensch sein und hatte diesen, was man ihm gar nicht so zutraut ganz oft, diese Berliner Schnoddrichkeit.

    Netz: In der kommenden Woche erscheinen ja Joachim Fests Kindheits- und Jugenderinnerungen unter dem Titel "Ich nicht", die Sie in der "FAZ" auch vorab drucken. Bisher waren da vor allem so respektvoll zärtliche Erinnerungen an den Vater zu lesen. Erfährt man aus dem Buch denn auch etwas neues über Joachim Fest?

    Schirrmacher: Also für mich war da auch einiges neu, vor allen Dingen was den Vater anging, und diese gelebte Zeit im Dritten Reich. Für die Mehrheit der Menschen, die ihn ja gar nicht kannten, wird neu sein: Meiner Meinung nach ist das doch der erste Fall einer bürgerlichen Familie, die nicht reich war, sondern die wirklich schwer kämpfen musste, die nicht im direkten Widerstand war, aber die zeigte - ohne dass der jetzt ein Attentat versucht hätte, der Vater - sozusagen den normalen Widerstand gegen das Dritte Reich. Also so etwas in dieser Weise habe ich jetzt als Familiengeschichte noch nicht gelesen. Das ist neu. Das zeigt auch, und darum heißt es ja "Ich nicht", dass es Anpassungsverweigerungshaltungen gab, die dann später bestritten wurden, dass sie ja überhaupt möglich gewesen, weil ja alle sagten, man musste mitmachen. Ich fand es auch sehr bewegend - Sie haben das ja erwähnt mit Grass -, wenn Sie sich das nur mal vorstellen, als diese Debatte losging, war Fest schon sehr schwer krank. Und dass diese Generation, es handelt sich hier um 80-Jährige, sozusagen noch mal jetzt auftritt, um eigentlich ja ihre Kindheit zu diskutieren, das ist schon ein doller Moment unserer Geistesgeschichte. Wie 80-Jährige darüber reden, nein, du musstest nicht in die SS, oder doch, ich musste in die SS, und der andere sagte, nein, es genügte, dass du zur Hitlerjugend gingst, und so weiter. Das ist an sich schon ein kleines Kapitel unserer Bildungs- und Geistesgeschichte, an das man sich, glaube ich, später noch erinnern wird.

    Netz: Man hätte sich gewünscht, dass diese Debatte mit Joachim Fest noch etwas fortgeführt hätte werden können.

    Schirrmacher: Ja.

    Netz: Dieser Typus, des bürgerlichen Intellektuellen, den Joachim Fest ja schon fast verkörpert hat, gibt es den eigentlich heute noch?

    Schirrmacher: Ich kenne keinen, und das kann man auch nicht nachahmen. Diese Generation tritt jetzt ab. Die ist noch mal ganz anders geprägt als wir. Die hatte Elternhäuser, gerade in seinem Fall wird das ja so erkennbar, das waren bürgerliche Elternhäuser, die ihren Kindern dann in den 30er, 40er Jahren eigentlich permanent erzählten, wie jetzt die bürgerliche Welt zerbricht. Die Nachkriegsgeneration kann das weder simulieren noch imitieren. Sie kann es so studieren, wie wir Thomas Mann und anderes studieren. Ich kenne einen von seinem Schlage nicht mehr. Es gibt ja noch Wolf Jobst Siedler, seinen langjährigen Freund, der aber kaum noch schreibt. Aber ich glaube, das ist ja auch die Botschaft aus all diesen Lebensläufen. Jede Generation muss sich neu erfinden und jede Generation muss ihren eigenen Weg finden. Und er hat uns insbesondere durch seine Bücher über das Dritte Reich Interpretationshilfen der Vergangenheit geliefert, mit denen wir dann unseren eigenen Weg auch als Publizisten und als Generation, die jetzt nachfolgt, glaube ich, schon wird finden können.

    Netz: Frank Schirrmacher erinnerte an Joachim Fest. Vielen Dank.