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Schizophrenie in den Genen

Genetik. - Schizophrenie ist eine zu zwei Dritteln genetisch bedingte Krankheit, doch den Forschern ist es bislang nie gelungen, die verantwortlichen Erbanlagen dingfest zu machen. Drei Berichte in "Nature" belegen jetzt, dass Tausende kleiner Veränderungen sich zu dem beherrschenden genetischen Einfluss aufsummieren.

Von Volkart Wildermuth | 02.07.2009
    Die Ausgangslage für die Genetiker ist eigentlich hervorragend. Zwillingsstudien zeigen: die Umwelt trägt nur zu einem Drittel zum Schizophrenierisiko bei, für zwei Drittel ist das Erbgut verantwortlich. Aber dieser große genetische Effekt frustriert die Forscher seit Jahren, es gelingt ihnen einfach nicht, Gene dingfest zu machen, die die Schizophrenie massiv beeinflussen. Das liegt wohl ganz einfach daran, dass es solche alles entscheidenden Gene nicht gibt. Das ist die wichtigste Erkenntnis aus den drei Nature Artikeln. Die Arbeiten stammen von drei großen internationalen Forscherkonsortien. Sie das Erbgut von rund 15.000 Schizophrenie Patienten mit dem von gesunden Kontrollgruppen verglichen. David Collier vom Kings College London.

    "Das ist die größte Analyse, die je auf diesem Gebiet gemacht wurde. Nur so konnten wir Gene identifizieren, die sehr kleine Effekte haben. Am wichtigsten ist die MHC Region auf Chromosom 6. Sie gehört zum Immunsystem und ist in allen drei Studien aufgefallen. Das ist interessant, das Ergebnis unterstützt ältere Befunde, dass Virusinfektionen während der Schwangerschaft eine Rolle spielen. Gene und Umwelt könnten hier zusammen wirken."

    Bei Studien dieser Größenordnung ist es nicht möglich, jeweils die komplette DNA zu analysieren. Stattdessen wurden Millionen von so genannten Marker untersucht, das sind bekannten Stellen im Erbgut. In der MHC Region mit ihren vielen Immungenen unterschieden sich besonders viele Marker zwischen Schizophreniekranken und Gesunden. Auch zwei weitere Gene zeigten auffällig viele Unterschiede. Das eine nennt sich Neurogranin, es ist an der Bildung von Nervenkontakten beteiligt und beeinflusst so das Gedächtnis. Das andere Gen steuert die Aktivität vieler weiterer Gene, die besonders für die Bildung von Nervenzellen wichtig sind. Das alles macht biologisch Sinn und bietet den Forschern neue Möglichkeiten, den Krankheitsprozessen bei der Schizophrenie auf die Spur zu kommen. Man darf aber nicht vergessen, diese drei Gene stehen zwar unzweifelhaft in Zusammenhang mit der Schizophrenie, aber ihr Effekt ist minimal. Sie erhöhen das Risiko zu erkranken von einem Prozent auf 1,2 Prozent. Drei Gene mit einem so kleiner Wirkung können den großen Einfluss des Erbgutes nicht erklären. Deshalb untersuchte das Internationale Schizophrenie Konsortium viele der noch schwächeren Signale aus der ersten Analyse weiter. Dabei nutzten Mick O'Donovan von der Universität Cardiff und seine Kollegen erst einmal die auffälligsten zehn DNA-Marker, dann die auffälligsten 100, dann 1000 und so weiter. O‘Donovan:

    "Wir waren wirklich verblüfft, dass wir 35.000 DNA Marker benötigten um die Kranken von den Gesunden zu unterscheiden. Das lässt nur einen Schluss zu: schwache genetische Effekte sind viel wichtiger und es gibt viel mehr davon, als wir erwartet hätten."

    Interessant war, dass diese Gruppe von DNA-Marker offenbar auch bei der Depression eine wichtige Rolle spielt. Es könnte also sein, dass sich Schizophrenie und Depression ähnlicher sind, als die Psychiater bislang glaubten. Unter dem Strich gibt es im Erbgut eine Vielzahl von häufigen Varianten, die jeweils für sich genommen fast nichts bewirken. Erbt ein Mensch aber Tausende der ungünstigen Varianten, dann steigt sein Risiko an einer Schizophrenie zu erkranken erheblich an. Die unzähligen kleinen Effekte erklären aber immer noch nur gut ein Drittel des Risikos. Schon vergangenes Jahr haben die drei großen Forschergruppen berichtet, dass bei wenigen Patienten große Stücke des Genoms fehlen oder verdoppelt sind. Solche Veränderungen können das Schizophrenierisiko deutlich steigern. Und dann gibt es wahrscheinlich noch seltene Mutationen mit großem Effekt, die sich aber mit den heutigen Methoden nicht aufspüren lassen. Das Verdienst der drei Riesenstudien ist es, das genetische Risiko der Schizophrenie kartiert zu haben. Sie liefern den Forschern wertvolle Anhaltspunkte. Aber sie wird erst auf sehr lange Sicht zu besseren Therapien beitragen und einen Gentest für die Schizophrenie hält Pablo Gejman von der Universität im amerikanischen Evanston für derzeit unmöglich.

    "Wir sind weit davon entfernt, einer Familie sagen zu können, ob ihr Kind eine Schizophrenie entwickeln wird oder nicht."