Freitag, 29. März 2024

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Schlachthöfe in Europa
Billiges Fleisch, unhaltbare Zustände

Die erschreckend großen Zahlen der COVID-19-Fälle in Schlachthöfen haben ein Schlaglicht auf die prekären Zustände dort geworfen. Begonnen hat die systematische Ausbeutung von Arbeitsmigranten in deutschen Fleischfabriken - und sie hat sich in weiten Teilen Europas ausgebreitet.

Von Alois Berger | 22.07.2020
    Mitarbeiter eines Schlachtbetriebs zerkleinern Fleisch
    Arbeit im Schlachtbetrieb (getty images / Stone RF)
    "Die Leute arbeiten 60 Stunden und mehr in der Woche. Zehn, elf, zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Arbeitsmigranten lernen als erstes Wort unserer deutschen Sprache das Wort 'schneller'. Sie arbeiten unter großem Druck. Es steht immer jemand dahinter, der Druck macht. Sie arbeiten tags und nachts, oft bei Tiefkühltemperaturen. Diese Beanspruchung, körperlich und psychisch, das verschleißt im Grunde genommen Menschen."
    Peter Kossen ist Pfarrer in Lengerich bei Münster, in einer Gegend mit vielen Schweinemästern und Fleischbetrieben. Seit langem versucht er Bevölkerung und Politiker aufzurütteln, aufmerksam zu machen auf die Sklaverei in den Schlachthöfen, wie er es nennt.
    Pfarrer Kossen: Die Leute können sich nach dieser schweren Arbeit nicht regenerieren
    Viele der polnischen, bulgarischen und rumänischen Arbeiter würden unter totaler Erschöpfung leiden, sagt er, sie hätten keine Kraft mehr, irgendetwas in ihrem Leben zu ändern und würden immer tiefer in den Strudel aus Abhängigkeit und Ausbeutung gerissen. Dass sich das COVID-19-Virus unter diesen Arbeitern so rasant ausgebreitet hat, das habe ihn nicht überrascht.
    "Ich habe davor auch gewarnt, dass genau das passieren würde. Diese Mindestabstände, die sind dort überhaupt nicht einzuhalten. Ein Problem besteht auch darin, dass die Leute nach dieser schweren Arbeit nicht regenerieren können, weil sie in den Unterkünften keine Ruhe finden. Das hat damit zu tun, dass die Unterkünfte oft überbelegt sind, dass sie schlecht klimatisiert sind. Man hat keine Intimsphäre. Es ist nicht möglich, wirklich auszuruhen. Da muss das passieren. Und wenn man dann noch die Transportwege mitbedenkt, dann ist es erstaunlich, dass es nicht noch mehr Infektionen gegeben hat in dem Bereich."
    Ein Helfer vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) nimmt vor einem Haus bei einem Mann einen Abstrich vor. 40 mobile Testteams sind unterwegs, um Angestellte der Firma Tönnies zu Hause in ihrer Quarantäne aufzusuchen. Sie überprüfen, ob diese dort anzutreffen sind und testen auch die Menschen, die mit ihnen in einem Haushalt leben. 
    Pfarrer Peter Kossen: "Man verbraucht Menschen"
    Die Fleischindustrie behandle Arbeitsmigranten aus Osteuropa wie Maschinen, die man bei Subunternehmen anmiete. Die Menschen würden ausgebeutet und dann wieder ausgetauscht, sagte Pfarrer Peter Kossen im Dlf.
    Die COVID-19-Pandemie hat ein Schlaglicht auf die Zustände in den Schlachthöfen geworfen, nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen Europas. Und es sieht so aus, als ob es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen den Fleischpreisen und der Verbreitung von Corona in den Fleischfabriken. Grob gesagt: Je niedriger die Fleischpreise, desto höher die Zahl der Infizierten in den Schlachthöfen.
    Sozialdumping breitete sich von Deutschland aus
    Der Dachverband der europäischen Nahrungsmittelgewerkschaften EFFAT hat genau Buch geführt. Die mit Abstand meisten COVID-19-Fälle gab es bislang in Deutschland. Danach kommt Irland mit 950 positiv getesteten Arbeitern knapp vor den Niederlanden, und dahinter, mit einigem Abstand Frankreich, Belgien, Spanien und Polen.
    Enrico Somaglia ist stellvertretender Generalsekretär von EFFAT in Brüssel. Er beobachtet seit Jahren, wie sich das Sozial-Dumping in den Schlachthöfen von Deutschland aus auf die ganze Europäische Union ausgedehnt hat. "Das Geschäftsmodell, das vor Jahren in Deutschland entwickelt wurde und das auf billigem Fleisch und auf der Ausbeutung der Arbeiter beruht, auf der Reduzierung von Arbeitskosten und auch auf der Verantwortungslosigkeit der Unternehmer, dieses Modell hat in ganz Europa einen Wettlauf nach unten ausgelöst, hin zu immer niedrigeren Löhnen und zu immer schlechteren Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen."
    Fleischverarbeitung in einem Schlachtbetrieb
    COVID-19-Ausbrüche: Prekäre Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben
    In verschiedenen Schlachthöfen kam es zu einer starken Häufung von Corona-Infektionen. Die hohe Zahl Infizierter lenkt den Fokus auf die Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben.
    Nach der Osterweiterung der EU begannen vor allem die großen Schlachthöfe in Deutschland die angestammte Belegschaft Schritt für Schritt durch billige Arbeitskräfte aus Polen, Rumänien und Bulgarien zu ersetzen. Das bevorzugte Instrument waren die so genannten Werkverträge mit Subunternehmern in Polen, Rumänien und Bulgarien. Diese Firmen stellten die Fleischarbeiter zu den dortigen Bedingungen ein und ließen sie in Deutschland Aufträge ausführen. Rumänische Arbeiter bekamen etwas mehr als den in Rumänien üblichen Lohn, waren in Rumänien sozialversichert und zahlten rumänische Steuern. Dasselbe galt für bulgarische und polnische Arbeiter, auch sie wurden nach den Gesetzen ihrer Heimatländer beschäftigt.
    Dieses System brachte den Schlachthöfen in Deutschland erhebliche Einsparungen bei den Personalkosten – und befeuerte die Gier nach immer größeren Gewinnspannen und Marktanteilen. Nicht nur zwischen den Schlachthöfen, auch zwischen den Subunternehmen entbrannte ein wilder Preiskampf. Leidtragende waren und sind die Arbeiter, denen immer mehr Arbeit für immer weniger Geld abgefordert wird. Alle Versuche der Politiker, daran etwas zu ändern, wurden immer wieder unterlaufen.
    Die Praxis der Lohnabzüge
    Als zum Beispiel vor fünf Jahren in Deutschland der allgemeine Mindestlohn eingeführt wurde, entwickelten die Subunternehmen die unselige Praxis der Lohnabzüge. Sie zahlten zwar den Mindestlohn, reduzierten ihn aber gleich wieder durch alle möglichen Sonderabgaben. Für den Transport zur Arbeit wurde Geld abgezogen. Für ein Bett im Mehrbettzimmer wurden und werden oft mehr als 250 Euro vom ohnehin kargen Lohn einbehalten. Selbst für die Messer, mit denen die Schlachter die Schweine zerlegen, wurde eine Leihgebühr fällig.
    Willkürliche Abgaben wie das Messergeld sind zwar inzwischen verboten, aber diese Verbote sind, wie auch die Generalunternehmerhaftung, schwer zu kontrollieren. Viele Schlachthofbetreiber haben zwischen sich und ihre ausländischen Arbeiter ganze Ketten von Subunternehmen geschaltet, in denen die Verantwortung einfach weitergereicht wird. Solche Organisationsstrukturen verschleiern die Zuständigkeiten und erleichtern die Ausbeutung der Arbeiter. Enrico Somaglia vom europäischen Gewerkschaftsdachverband EFFAT beklagt, dass dieses Geschäftsmodell inzwischen europaweit kopiert wird, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
    Nahaufnahme einer Servicekraft, die ein Glas poliert
    Prekäre Beschäftigungen: "Wir müssen zurückkommen zu einer höheren Tarifbindung"
    Fleischindustrie, Einzelhandel oder Gastronomie: Seit Anfang des Jahrtausends habe man in Deutschland einen stark expandierenden Niedriglohnsektor, kritisiert der Arbeitsmarktexperte Gerhard Bosch.
    "Wir haben diese Art von Werkverträgen auch in Irland. In den Niederlanden geht es meist um Leiharbeiter von Zeitarbeitsfirmen. Aber das macht nicht viel Unterschied, die Probleme sind ähnlich: illegale Lohnabzüge, Überschreitungen der Arbeitszeit, Massenunterkünfte. In Italien sind die Arbeiter oft bei Genossenschaften angestellt, die in Wirklichkeit keine Genossenschaften sind, sondern Scheinkooperativen mit undurchsichtiger Eigentümerstruktur. Und immer diese Ketten von Subunternehmen."
    Wie es anders geht, das zeigen die nordischen Länder Dänemark, Schweden und Finnland. In Dänemark zum Beispiel liegen die Löhne der Fleischarbeiter zwischen 20 und 27 Euro die Stunde. Die Regierung achtet darauf, dass die Leute in anständigen Wohnungen leben und ordentlich sozialversichert sind. Das gilt für alle Arbeiter, egal wo sie herkommen, betont Jim Jensen von der dänischen Nahrungsmittelgewerkschaft NFF. Deshalb hätten sie in dänischen Schlachthöfen auch keine Probleme mit COVID-19-Infektionen:
    "Wir haben in Dänemark nationale Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Deshalb haben wir auch keinen ungesunden Wettbewerb zwischen den einzelnen Schlachthöfen um die niedrigsten Löhne und die niedrigsten Arbeitskosten. Man kann sagen, wir haben gute Arbeitsbedingungen in der dänischen Fleischindustrie."
    Logo des Danish Crown Schlachthofes im niedersächsischen Essen Oldenburg bei Cloppenburg. 
    Gewerkschafter Jensen klagt, selbst der Genossenschaftsbetrieb Danish Crown sei wegen deutlich niedrigerer Lohn- und Arbeitskosten nach Deutschland gegangen. (imago images / Sven Eckelkamp)
    Eigentlich alles bestens also in Dänemark. Wäre da nicht die Billig-Konkurrenz aus Polen, aus Spanien, aus Großbritannien, vor allem aber aus Deutschland. In 20 Jahren hat die dänische Fleischindustrie zwei Drittel aller Jobs verloren. Selbst Danish Crown, ein Genossenschaftsbetrieb im Besitz von dänischen Bauern, hat viele seiner Schlachthöfe ins benachbarte Ausland verlegt, klagt der Gewerkschafter Jensen, vor allem nach Deutschland.
    Schlimmste Bedingungen in Deutschland
    "Bei Danish Crown sagen sie, dass sie in Deutschland eben unter deutschen Bedingungen arbeiten, in Dänemark unter dänischen. Deshalb sind sie ja nach Deutschland gegangen, weil dort die Löhne und die Arbeitskosten im Vergleich zu Dänemark so unglaublich viel niedriger sind. Deutschland ist in dieser Branche ein Niedriglohnland. Selbst in Bulgarien, in Polen und Rumänien sind die Arbeitskosten höher als in Deutschland. Die schlimmsten Bedingungen in ganz Europa finden wir in Deutschland."
    Prospekt eines Lebensmittlers mit günstigen Fleisch-Angeboten
    Prekäre Arbeit im Schlachthof: Der Preis für billiges Fleisch ist hoch
    Die Corona-Pandemie holt lange bekannte Missstände wieder ans Licht, meint Silke Hellwig im Dlf. Etwa bei Infektionen in Schlachthöfen, wo osteuropäische Arbeiter einen hohen Preis dafür zahlen, dass deutsche Verbraucher billiges Fleisch kaufen können.
    Alle paar Jahre machen deutsche Politiker einen Anlauf, daran etwas zu ändern. Zuletzt vor drei Jahren, als der Bundestag in einer Nacht- und Nebelaktion die Generalunternehmerhaftung für Fleischbetriebe einführte.
    Treibende Kraft war der damalige sozialpolitische Sprecher der CDU, Karl Schiewerling. Schiewerling legte den Gesetzesentwurf als sogenanntes Artikelgesetz vor, ohne Debatten und ohne mehrfache Lesung. Die Abgeordneten konnten nur ja oder nein sagen. Beate Müller-Gemmeke von den Grünen war eine der wenigen, die vorher Bescheid wussten. Nicht einmal der Agrarausschuss des Bundestags war eingeweiht.(*) "Ganz einfach, um der Fleischlobby eben keine Zeit zu geben, aktiv zu werden, und ein Stück weit auch, damit die eigenen Leute, also die Wirtschaftsleute in der Union, eben auch nicht mehr aktiv werden konnten und im Prinzip niemand dagegen angehen konnte."
    Die Überrumpelung funktionierte. Fleischbetriebe sind seither auch für die Arbeiter ihrer Subunternehmer verantwortlich. Die Kosten für Messer dürfen nicht mehr vom Lohn abgezogen werden und alle Arbeitszeiten müssen dokumentiert werden. Die Geheimnistuerei war notwendig, meint die grüne Abgeordnete Müller-Gemmeke, denn wenn es um den Fleischpreis geht, dann steht nicht nur die Lobby der Schlachthöfe auf der Matte:
    "Da ist nicht nur die Fleischbranche, da ist die Landwirtschaft mit drin, da ist der Bauernverband natürlich mit drin. Da geht es darum, man muss sozusagen auf dem Weltmarkt konkurrieren können. Das sind alles Argumente. Ich weiß nicht, ob sie besonders skrupellos sind im Vorgehen. Aber ich muss einfach feststellen, sie sind stark und haben in den letzten Jahren einfach unheimlich viel vereitelt."
    Die Bedeutung des Fleischexports
    Ein Drittel der in Deutschland geschlachteten Schweine geht in den Export, ein Großteil davon nach China. Der Export von Billigfleisch zählt zu den wenigen Wachstumsbereichen einer schrumpfenden Landwirtschaft. Für Politiker ist deshalb alles heikel, was den Fleischexport bremsen könnte.
    Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, verfolgt die Debatte im Bundestag
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) (dpa/Michael Kappeler)
    Letztlich lief auch das Gesetz über die Generalunternehmerhaftung ins Leere, denn die Behörden kontrollieren seither einfach weniger. In den Schlachthöfen hat sich wenig geändert, klagt der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. "Wir haben da ein massives Problem, jenseits auch von COVID. Diesem Problem wird man aber nur begegnen können, wenn man entsprechend engmaschige Kontrollen hat. Wenn man es einmal macht, in einem Jahr, in zwei Jahren, in drei Jahren, ja dann werden halt ein paar Bußgelder fällig, aber die paar hunderttausend Euro - das Geschäftsmodell wirft das immer noch mit ab, deswegen: Wir müssen da bei den Kontrollen genauer hinsehen und engmaschiger arbeiten."
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will nun durchgreifen. Die Werkverträge sollen verboten werden, die Schlachtbetriebe müssten alle Arbeiter direkt anstellen, ohne dazwischen geschaltete Subunternehmer. Der Beifall aus Europa ist dem Arbeitsminister sicher.
    Gewerkschaftssekretär Enrico Somaglio hofft, dass Deutschland diesmal einen positiven Impuls für Europa auslöst, der auch in anderen Ländern zu Verbesserungen führt. "Wir schauen alle auf Deutschland und hoffen, dass die geplanten Gesetzesänderungen auch beschlossen werden. Wir haben ähnliche Probleme auch in anderen Ländern, deshalb verlangen wir als europäische Nahrungsmittelgewerkschaft auch eine europäische Antwort."
    Unmittelbar nach dem Ausbruch der Coronakrise in den Schlachthöfen dachte der zuständige EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, Nicolas Schmit, laut über eine Verschärfung europäischer Richtlinien nach. Inzwischen ist er zu dem Schluss gekommen, dass die europäischen und nationalen Gesetze über Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsschutz ausreichen. Sie müssten nur endlich von den nationalen Behörden durchgesetzt werden.
    "Die Europäische Union kann nicht direkt vor Ort kontrollieren, wir haben keine Arbeitskontrolleure wie die Nationalstaaten. Wir können uns nur auf die Kontrollen der Mitgliedsstaaten verlassen. Oder wenn ein Betroffener vor das Gericht geht. Wir wissen aber alle, dass kaum einer von diesen Leuten in den Schlachthöfen vor Gericht geht. Die fürchten ganz einfach um ihren Arbeitsplatz und um ihr mageres Einkommen zu verlieren."
    Subunternehmer nutzen kleinste Unterschiede aus
    Europaabgeordnete fast aller Parteien fordern von der Europäischen Kommission, dass sie mehr Druck auf die Mitgliedsstaaten ausübt. Die Europäische Union müsse dafür sorgen, dass alle mitziehen, meint die niederländische Abgeordnete Agnes Jongerius.
    "Wenn wir in diesem Sektor aufräumen wollen, wird das in jedem Fall zu einem höheren Fleischpreis führen. In einem offenen Markt ist es wichtig, dass alle Mitgliedsstaaten zur selben Zeit in dieselbe Richtung gehen. Sonst wird es immer ein Land geben, in dem man billiger produzieren kann. Auf Kosten und auf Risiko der Menschen, die dort arbeiten."
    Leidtragende sind nicht nur die Arbeiter, sondern auch die kleineren, regionalen Schlachthöfe, die nicht einfach in Billigländer ausweichen können. Sie kommen durch die schmutzige Konkurrenz noch mehr unter Druck und werden irgendwann endgültig vom Markt verdrängt.
    Agnes Jongerius von der Arbeiterpartei hat die eigene Regierung in Den Haag im Verdacht, sie wolle von einer Gesetzesverschärfung in Deutschland vielleicht sogar profitieren. Der zuständige Minister spiele ganz offensichtlich auf Zeit, sagt sie. "Vielleicht war der Skandal für die Niederlande noch nicht groß genug. Der Druck aus der Bevölkerung ist auch bei uns da, aber er ist nicht so stark wie in Deutschland. Aber ich möchte auch bei uns ein Verbot der Werkverträge. Ich sage, wenn Deutschland das macht, warum sollten wir das nicht auch machen."
    Der Luxemburger Nicolas Schmit ist EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte
    Der Luxemburger Nicolas Schmit ist EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte ( (picture alliance/ TT/ Karin Wesslen)
    Gerade bei den Schlachthöfen zeigt sich, wie eng der deutsche und der niederländische Markt verflochten sind. Der niederländische Fleischkonzern VION etwa hat in beiden Ländern Schlachthöfe, in denen vorwiegend rumänische und bulgarische Arbeitsmigranten beschäftigt sind. Die Arbeitsbedingungen sind in beiden Länder gleich schlecht, und demensprechend hoch sind auch die Zahlen der COVID-Infizierten.
    Schon die kleinsten Unterschiede zwischen den Ländern werden von den Subunternehmen sofort ausgenutzt. So werden zum Beispiel die Arbeiter in den niederländischen Fleischfabriken häufig in Deutschland untergebracht, wie Agnes Jongerius herausgefunden hat:
    "Die Subunternehmer mieten die alten Wohnblocks auf der deutschen Seite aus den 50er und 60er Jahren, die ziemlich heruntergekommen und entsprechend billig sind. Ich nehme an, dass die Firmen die Grenzregion auch ausnutzen, um so viele soziale Vorschriften wie möglich zu umgehen. Die Arbeiter sitzen dann morgens bis zu eineinhalb Stunden eingequetscht im Minivan und für die Rückfahrt nach der Arbeit dann wieder eineinhalb Stunden."
    Auch das hat zur Ausbreitung der Corona-Infektionen in der Grenzregion beigetragen. Doch die EU-Kommission sieht wenige Möglichkeiten für eine umfassende europäische Lösung. Seit der Verschärfung der europäischen Entsenderichtlinie vor drei Jahren gelte bereits für alle Arbeitsmigranten: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort."
    Schärfere europäische Gesetze sind nicht zu erwarten
    Weitergehende Regelungen lehnen auch die meisten osteuropäischen Regierungen ab. Zwar haben Bukarest und Sofia inzwischen mehrfach gegen die schlechte Behandlung rumänischer und bulgarischer Staatsbürger in den europäischen Schlachthöfen protestiert. Aber allzu weit dürfe die Gleichstellung der Arbeitsmigranten mit den lokalen Arbeitern auch nicht gehen.
    Andrey Kovatchev sitzt für die konservative Partei Bulgariens im Europaparlament. Länder mit einer schwächeren Wirtschaft bräuchten nun mal gewisse Wettbewerbsvorteile, um aufholen zu können. Das gelte sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitsmigranten, meint Andrey Kovatchev: "Es kann nicht sein, dass es gar keinen Wettbewerb auch bei den Arbeitnehmern geben kann. Das wird es immer geben, zumindest bis wir in der europäischen Union mehr oder weniger gleichen Lebensstandard in allen Mitgliedsländern haben."
    Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Plenarsitzung im Espace Leopold in Brüssel, Belgien.
    Plenarsitzung im EU-Parlament (picture alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Wenn im Europaparlament neue Gesetze diskutiert werden, die sich auf die Arbeitskosten für polnische, rumänische oder bulgarische Arbeitsmigranten auswirken, dann taucht immer der Verdacht des Protektionismus auf. Die westlichen Länder, so die Befürchtung, wollten ihre Unternehmen vor osteuropäischer Konkurrenz abschotten.
    Der Verdacht ist nicht immer von der Hand zu weisen. Anfang des Monats beispielsweise wurden im Europaparlament neue umstrittene Arbeitsschutzregeln für Lastwagenfahrer diskutiert und beschlossen. Einige der Vorschläge würden vor allem rumänischen und bulgarischen Speditionen die Arbeit in Deutschland oder Frankreich schwermachen. Arbeitnehmerrechte stehen hier der Angst gegenüber Jobs zu verlieren, sagt Siegfried Muresan von der Nationalliberalen Partei Rumäniens. Egal, ob Lkw-Fahrer oder Fleischarbeiter, diese Jobs seien auch wichtig für Rumänien.
    "Das Einkommen, was diese rumänischen Arbeiter in Deutschland erwirtschaften, fließt natürlich in den Konsum in Deutschland, aber zum Teil fließt es auch in Ersparnisse und Transfers zurück an die Familien. Im Laufe des Jahres sind das Milliarden Euro, die auch in Investitionen und in die Gründung von Kleinunternehmen in Rumänien fließen. Das ist für die rumänische Wirtschaft ein wichtiger Beitrag."
    Schärfere europäische Gesetze zum Schutz der Arbeiter in den Schlachthöfen sind also nicht zu erwarten. Schon deshalb hoffen viele in Europa, dass die deutsche Regierung mit dem Verbot der Werkverträge ein Signal setzt. Ein solches Verbot würde Transparenz in den Arbeitsbeziehungen schaffen und es den Schlachthofbetreibern deutlich schwerer machen Ausbeutung zu verschleiern.
    Der Streit um dieses Verbot hat noch nicht begonnen. Derzeit halten sich die Lobbyisten der Fleisch- und Mastkonzerne noch zurück, zu frisch sind die Meldungen von den vielen COVID-Fällen in den Schlachthöfen. Doch die Grünen-Abgeordnete Müller-Gemmeke ist überzeugt, "dass natürlich diese Lobby demnächst mal wieder richtig loslaufen wird und das Gesetz natürlich versuchen wird zu torpedieren".
    (*) Formulierung zu den Beteiligten korrigiert.