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Schlagader der Stadt Dubrovnik

Knapp zwei Kilometer lang, 25 Meter hoch und bis zu sechs Meter breit: Die Stadtmauer von Dubrovnik bietet die perfekte Perspektive, um die kroatische Küstenstadt von oben zu erkunden. Anfang der 90er vom Krieg zerstört, glänzt die "Perle Kroatiens" inzwischen wieder und lockt Touristen aus aller Welt an.

Von Luise Sammann | 11.12.2011
    Der alte Mann mit der dunkelroten Kappe auf dem kahlen Kopf schreit mehr als dass er singt, stampft immer wieder kräftig mit dem Absatzschuh auf das Holzbrett, um sich gegen den Lärm der Touristen rundherum durchzusetzen.

    Gleich neben dem großen Onofrio-Brunnen, der seit über 600 Jahren am Eingang zur Altstadt von Dubrovnik plätschert, ist Mato Kraljs Stammplatz. In weißem Hemd, roter Weste und Kniebundhosen sitzt der Rentner auf einem Holzstuhl, singt und spielt. Alle paar Minuten verstummt er, lässt sich von den Touristen fotografieren, die ihm zum Dank ein paar kroatische Kuna in sein Körbchen schmeißen. Bevor Mato jetzt weiterspielt, hält er sein Instrument hoch, das an eine kleine Geige mit nur drei Seiten erinnert.

    "Lieriza – und das ist so alt, kann man sagen, das ist Teil der Dubrovniker Kultur oder Geschichte, nicht?! Und früher als Kind kann ich mich erinnern, vor 60 Jahre, meisten Leute waren am Land. Und das war das einzige Gerät, wo einer gespielt hat und die andere 10, 20 Paare, Männer mit Frau getanzt haben. Der Tanz heißt Linjo. Und jetzt ist es damit aus."
    Mato winkt ab, als er an die alten Zeiten denkt – an die Zeit, bevor ihn der Balkankrieg nach Deutschland fliehen ließ, Familien zerriss, Städte zerstörte und das Leben fast aller Bewohner Dubrovniks für immer veränderte.

    "Ja, ja das war nicht so wie jetzt. Das war anders. Die Leute hatten Lust zum Lachen, zum Singen. Aber vergessen kann man nie, wenn sie ihren Vater, ihre Schwester ihren Bruder verloren haben und die haben nix gemacht! Dubrovnik, 1991, 6. Dezember, St. Nikolaus, hier sind tausend Granaten, von Luft, von Schiffe, von oben. Die großen Häuser waren in Flammen."
    Mato deutet mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Altstadthäuser rundherum, die doch so fest, so scheinbar unverwundbar da stehen. Fast ein Jahrzehnt haben die Restaurierungen gedauert. Nun ist weder der 800-jährigen Stadtmauer Dubrovniks noch den Häusern anzusehen, dass hier vor nur 20 Jahren Krieg herrschte. "Diese Mauer", sagt Mato, während er den mit Pferdehaar bespannten Bogen wieder ansetzt, "ist wie die Schlagader unserer Stadt. Sie ist lebensnotwendig!"

    Auf steilen Steinstufen geht es hinauf. Die ganze Altstadt lässt sich auf dem knapp zwei Kilometer langen und bis zu 25 Meter hohen Steinwall umrunden. Der alte Mato verschwindet schon bald als kleiner Punkt im Gedränge auf dem Platz unten, mit jeder Treppenstufe wird seine Musik ein bisschen leiser.

    <im_74347>ACHTUNG: NUR FÜR SONNTAGSSPAZIERGANG VERWENDEN</im_74347>Und dann plötzlich liegt es da. Türkiesblau, wie aus dem Werbekatalog: Das Meer, das Dubrovnik von drei Seiten umschließt, und es gemeinsam mit seiner bis zu 25 Meter hohen Stadtmauer so oft vor feindlichen Übernahmen geschützt hat.
    Heute sind es keine Feinde mehr, die die nach Dubrovnik einfallen – es sind Touristen. Die Amerikaner und Franzosen, Polen und Japaner, die eben noch laut lachend und redend die Treppe hinaufgestiegen sind, werden plötzlich still. Fast jedem verschlägt der erste Blick von Dubrovniks Stadtmauer hinunter für einen Moment die Sprache.

    Im Gänsemarsch geht es die Mauer entlang – rechts schäumt weit unten das Meer gegen die Felsen, links breiten sich die roten Ziegeldächer und Kirchturmspitzen der Altstadt aus. Kaum ein Besucher, der nicht schon auf diesen ersten Metern der Mauer das erste Dutzend Fotos schießt.

    Direkt an der Mauer, sozusagen mit einem privaten Zugang zur "Schlagader Dubrovniks", liegt das kleine Haus des alten Nikola. Seine Terrasse ist nur von hier oben zu erreichen, der Hauseingang liegt unten in der Altstadt, am Fuß der Mauer. Nikola, der auf einem kleinen Mauervorsprung hockt und einen Tisch voll handgemachtem Schmuck bewacht, spricht nicht gern, blinzelt nur müde in die Sonne und zeigt auf seine längst erwachsene Tochter. Ida erklärt, womit die Eltern ihre Rente aufbessern:

    "Das ist Porzellanschmuck, den stellen wir schon seit 15 Jahren in unserer Familie her. Alles handgemacht. Einfach eine Kleinigkeit, die an Dubrovnik erinnern soll."

    Idas und Nikolas Einnahmequelle sind die Touristen, die nach der Leere, die dem Balkankrieg folgte, nun endlich wieder nach Dubrovnik strömen. Die Kameras gezückt, werfen sie neugierige Blicke auf die Beiden. Ida lächelt. "Wer weiß", sagt sie, "in wie vielen Fotoalben auf der ganzen Welt wir und unser Altstadthäuschen wohl schon kleben."

    "Daran sind wir gewöhnt, schließlich leben wir hier schon seit unserer Geburt. Aber nach sechs oder sieben Uhr, wenn der Aufstieg auf die Mauer geschlossen wird, dann haben wir die Schönheit hier oben ganz für uns allein."

    Ida hebt die Augen, lässt den Blick für einen Moment auf der Festung ruhen, die in einiger Entfernung majestätisch über dem türkiesblauen Meer thront. Das perfekte Postkartenmotiv. Dieser Anblick, sagt sie, erstaunt einen immer und immer wieder – ganz gleich, ob als Tourist oder als Anwohner.

    "Ich finde das immer noch beeindruckend, besonders, weil ich nicht das ganze Jahr über hier lebe. Im Winter wohne ich in Zagreb. Aber jedes Mal, wenn ich wieder hierher komme, dann denke ich "wow!", weil der Ausblick einfach so unglaublich ist – von hier bis nach Italien hinüber."

    Der Spaziergang auf der Mauer geht weiter. Mal wird es eng, dann drängeln sich die Touristen einzeln aneinander vorbei. Posiert einer für ein Foto, müssen alle anderen dahinter warten. Dann wieder führt der Weg vorbei an einer der Festungen, die zur Verteidigung der Stadt in allen Himmelsrichtungen an der Mauer thronen. Weite Plätze tun sich dann über der Stadt auf, die Touristen verteilen sich, wer will, hat die Ruhe, den Ausblick für ein paar Minuten ganz für sich allein.

    Je größer das Gedränge auf der Mauer, desto besser für Darijo. Der 28-Jährige verkauft hier oben frisches Olivenöl aus der Umgebung von Dubrovnik. Die Stadtmauer ist für einen wie ihn der beste Standort weit und breit. Jeder, der Dubrovnik besucht, kommt hier vorbei, grinst Darijo – erzählt es, und hat nebenbei schon wieder zwei Flaschen verkauft.

    "Wenn wir hier keine Touristen hätten, dann könnten wir nicht überleben. Ob ich hier Arbeit finden könnte? Ganz bestimmt nicht. Ich säße zuhause ohne einen Cent Geld. Alle hier leben vom Tourismus, ohne den wären wir schon nicht mehr da."

    Gut zwei Kilometer schlängelt sich die Mauer dahin, dann schließt sich der Kreis. Die Altstadt ist umrundet – wieder schallt von unten aus der Altstadt kroatische Straßenmusik herauf. Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel, brennt gnadenlos auf die Mauerwanderer nieder. Nur in den kleinen Höfen und Gärten, die sich unten im Schatten der Mauer und dichter Weinranken aufreihen, ist es kühl. Weiße Wäsche baumelt dort zwischen den historischen Mauern, unter einem Feigenbaum sitzen ein paar alte Kroatinnen beim Nachmittagstee. Weit über ihnen steht der 16-jährige Amadou aus Bremen, lässt den Blick noch einmal über die roten Ziegeldächer gleiten, bevor er die steilen Stufen in die Altstadt hinunter steigt.

    "Ja, also ich war schon an vielen Orten, aber ich muss echt sagen, dass das wirklich die authentischste Stadt ist, die ich je gesehen hab. Also hier zu leben könnte ich mir echt gut vorstellen – und Urlaub ist hier extra klasse!"