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Neurologie. - Die wachsende Digitalisierung und Vernetzung der Wissensbestände macht die Suche nach einer Information so einfach wie nie zuvor. Doch möglicherweise beeinflusst das allgegenwärtige Internet auch die Art, wie wir selbst Informationen abspeichern. US-Psychologen sind dieser Frage nachgegangen und präsentieren in "Science" erste Ergebnisse.

Von Tomma Schröder | 15.07.2011
    Was waren noch gleich die sieben Weltwunder? Und wer hat dieses Lied gesungen, das gerade im Radio läuft? Fragen wie diese können Betsy Sparrow wahnsinnig machen, wenn sie die Antwort nicht weiß und sie auch nirgends nachschauen kann.

    "Das war auch der Ausgangspunkt für meine Forschung. Ich saß mit meinem Mann zusammen, und wir haben einen alten Film geguckt. Und dort war eine Schauspielerin, die ich ganz sicher kannte. Aber ich konnte mich nicht daran erinnern, wer sie war, wie ihr Name ist oder in welchen anderen Filmen sie mitgespielt hat."

    Die Psychologin der Columbia University tat das, was viele andere an ihrer Stelle vermutlich auch gemacht hätten: Sie schaute in einer Filmdatenbank im Internet nach. Doch während die Filmliebhaberin mit Angela Lansbury die gesuchte Schauspielerin bald gefunden hatte, kam der Wissenschaftlerin eine neue Frage: Inwieweit beeinflussen die ständig verfügbaren Informationen unser Gedächtnis? Um dieser Frage nachzugehen, wollte Betsy Sparrow zunächst einmal nachweisen, dass wir sofort an einen Computer, das Internet und die Suchmaschinen denken, wenn wir Informationen suchen – und verwendete dafür einen speziellen Test. Bei dem so genannten Stroop-Test werden den Versuchspersonen verschiedene Wörter in verschiedenen Farben gezeigt. Zum Beispiel das Wort "Stuhl" in grün und das Wort "Suchmaschine" in gelb. Die 170 Probanden sollten dabei lediglich die Farbe benennen, die sie sehen. Die Bedeutung der Wörter war für sie also eigentlich unwichtig. Der Trick der Psychologin: Hat das Wort eine Bedeutung, die den Probanden gerade beschäftigt, verlangsamt sich seine Reaktionszeit bei der Benennung der Farbe.

    "Im ersten Experiment haben wir den Versuchspersonen Fragen gegeben, auf die sie keine Antwort wussten. Und dann sind sie gedanklich automatisch damit beschäftigt, dass sie die Antwort herausfinden möchten. Wir wollten sehen, ob sie dabei an einen Computer als mögliche Quelle für die Antwort denken und haben ihnen anschließend Wörter gezeigt, bei denen es um das Finden von Informationen geht, Wörter wie Google, Yahoo oder Computer."

    Und genau bei diesen Wörtern zeigte sich tatsächlich eine deutlich langsamere Reaktionszeit. Die Versuchspersonen brauchten also länger, die Farbe des Wortes "Suchmaschine" zu benennen als die Farbe des Wortes "Stuhl". Für die Psychologin Betsy Sparrow ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass viele Probanden an Computer und Suchmaschinen dachten, um die Antwort auf die zuvor gestellten Fragen zu finden. Doch nicht nur unser Suchen von Informationen, auch unser Erinnern, so meint Betsy Sparrow, ist von den Computern stark geprägt. In einem weiteren Experiment mussten sich die Probanden triviale, aber einprägsame Aussagen merken. Zum Beispiel, dass das Auge eines Straußes größer ist als sein Gehirn. Gleichzeitig wurde ihnen mitgeteilt, in welchem Ordner auf dem Computer diese Aussage gespeichert wurde.

    "Wir gaben den Leuten ein Stück Papier und sie sollten die Aussagen, an die sie sich erinnerten, aufschreiben. Dann fragten wir sie nach dem Namen des Ordners, in dem etwa die Aussage über den Strauß gespeichert wurde. Und tatsächlich erinnerten sie sich viel häufiger an den Ordnernamen als an die trivialen Aussagen"

    Das erstaunte die Psychologin um so mehr, als die Aussage über den Strauß eigentlich sehr einprägsam ist, während die Ordner so abstrakte Namen wie "Info", "Ideen", "Fakten", "Daten" oder "Objekte" trugen. Betsy Sparrow schließt daraus, dass wir uns eher merken, wo wir eine Information finden als den Inhalt der Information gleich selber zu speichern. Dadurch nützten wir das Internet oder unseren Computer quasi als externen Speicher, so die Psychologin. Eine Einschätzung, die auch Dan Schacter, Psychologe an der Harvard University und Gedächtnis-Experte, teilt. Im Gegensatz zu Sparrow, die in diesem riesigen externen Speicher vor allem die Möglichkeit sieht, sich mehr und besser zu informieren, ist Dan Schacter bei der Frage nach den Auswirkungen, die das auf unser Gedächtnis haben könnte, etwas vorsichtiger.

    "Es hat sicher Konsequenzen für die Art, wie Menschen ihr Gedächtnis nutzen, weil wir uns immer stärker auf dieses externe Gedächtnis verlassen. Ob es unsere Fähigkeit, Informationen zu speichern und abzurufen, verschlechtert – das ist eine offene Frage. Ich denke nicht, dass wir die Antwort darauf schon wissen."