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Schlammschlacht um Geld und Sex

Elfriede Jelinek hat das Oskar Wilde Stück in ihrer Version sehr eigenwillig interpretiert. Barbara Frey hat "Der ideale Mann" am Wiener Akademietheater inszeniert und konnte sich dabei nicht so ganz zwischen Geschlechterkampf- oder Wirtschaftskomödie entscheiden.

Von Michael Laages | 24.11.2011
    Die Krise hat's mit sich gebracht - wo immer sich Wirtschaft als Thema entdecken lässt in Texten für das Theater, greifen Autoren und -Innen (und greift die Regie) neuerdings recht gern und mutig zu und ein, um ein wenig Strukturkenntnis zu vermitteln in jenen wirtschaftlichen Zusammenhängen, vor denen auch die Aktionärsversammlung gemeinhin mehrheitlich sprachlos bleibt wie der Ochs' vorm Tore ... Pleite sind wir? Wie konnte das denn passieren? Und dass Vorstand und Aufsichtsrat einander kurz vor Crash noch fix mit Boni in Millionenhöhe versorgt haben gegenseitig ... nicht zu glauben! Oscar Wildes Komödie "Ein idealer Gatte" ist immerhin schon so alt, dass in ihr der Bau des Suezkanals nebst argentinischen Grabungsarbeiten Anlass für einige unschöne politische Durchstechechereien werden soll; ein bis dato sehr angesehener (und in jeder Hinsicht ansehnlicher) englischer Regierungsbeamter sieht sich plötzlich der sehr radikal lobbyistischen Attacke einer potenziellen Kanalbauerin gegenüber, die ihrerseits Kenntnis hat von einer ziemlich dunklen Stelle auf Robert Chilterns blütenweißer Weste. Fast zwingt sie ihn dazu, öffentlich zum Propagandisten des finanziell unbedingt einträglichen, prinzipiell aber eher überflüssigen Projektes zu mutieren; aber die moralisch vollkommen untadelige, unbedingt gutmenschliche Gemahlin sowie der maßvoll intrigante Lebensfreund helfen dem Helden nach einigen abenteuerlichen Umwegen rechtzeitig zurück auf den politisch korrekten Weg.

    Nun gab es in jüngerer Zeit auch im lieblichen Österreich ein paar artverwandte Polit-Skandale - und Elfriede Jelinek, wirtschaftsdramatisch ambitioniert seit den "Kontrakten des Kaufmanns" vor zwei Jahren, hat sie Oscar Wildes sorgsam gestricktem Plot unterlegt. Jetzt meldet sich im feinen London halt eine Gesandte aus Wien mit schmierigen Kanalgeschäften. Die wurden obendrein aufgeladen mit der Jelinek-typischen Lust an Sprachspiel und Wortwitz, die von purer Blödelei zuweilen kaum zu unterscheiden ist - wer zum Beispiel "Emaille" und "E-Mail" als sprachliches Zwillings- und Verwechslungspärchen verwendet auf der Bühne, selbst wenn's in einer Komödie ist, der traut sich schon was .

    Immerhin: Oscar Wilde hält in dieser Hinsicht ziemlich viel aus. Der Witz in Stücken wie dem Original dieser Bearbeitung ist einerseits sehr englisch und ziemlich betagt, vermittelt aber stets eine beträchtliche Menge feinerer Untertöne; speziell über männlich-weibliche Rollen-Charakteristika und die unterschiedlichen sexuell-erotischen Aufladungen dazwischen. Jelineks Text-Maschine fuhrwerkt allerdings zuweilen ziemlich berserkerhaft in diesem feinen Geflecht herum; mit dem Holzhammer sozusagen oder dem Kehrbesen. Die Wiener Erstaufführung durch die Züricher Schauspielhaus-Chefin Barbara Frey folgt Jelinek getreulich in dieser pointierten Grobheit; so sehr, dass der Inszenierung noch ein paar mehr Striche zu wünschen gewesen wären als die, die das Programmbuch im Stückabdruck dankenswerterweise schon ausweist. Auf einen Brüller wie das Wort "Zuschauerlichkeit" verzichtet der Abend sehr zu Recht; ein paar andere Witzischkeiten hätte Frey dem Publikum auch noch ersparen können.
    Störender allerdings bleibt, dass Wirtschafts- und Gesellschaftskomödie einander doch nicht wirklich durchdringen; speziell in der zweiten, sehr kurzen Hälfte wird bloß noch haltlos rumgeblödelt - eben weil (das ist in Komödien eben so!) all die zuvor sorgsam ausgelegten Irrungen, Wirrungen und dramaturgischen Fallstricke ebenso sorgsam wieder eingesammelt werden müssen, damit ein Happy End draus werden kann. Damit tut sich "Ein idealer Mann" im Endspurt ganz besonders schwer, und Teile des Ensembles stürzen ganz tief hinab in Quatsch und Soße.

    Mit den lichtvoll-verschlungenen Monologen zur überzeitlich aktuellen Wirtschaftskriminalität tut sich allerdings auch ein Burgtheater-Virtuose wie Michael Maertens merklich schwer; die Wort- und Witz-Gefechte zwischen ihm und Caroline Peters in der Rolle der gaunerhaften Verführerin zählen nichtsdestoweniger zu den Highlights der zeitweise etwas zäh voran schleichenden Inszenierung. Die müsste halt auch die Klipp-Klapp-Szenen-Logik einer grellen Farce bedienen. Der Regisseur Herbert Fritsch zeigt so etwas gerade zur Genüge, Barbara Freys Sache ist das nicht. Ihr komischer Gipfel ist fast schon der Auftritt von Queen Ellie, einer der feineren Damen (und Kirsten Dene), hat Kostümbildnerin Ester Geremus das typische Lila von Elizabeth II. angepasst, wenn sie Bettina Meyers breite Bühnenfreitreppe herab schreitet.
    Es wird auch fleißig gestürzt und gerutscht auf dieser Treppe. Geschenkt. Eigentlich hat sich Barbara Frey wohl auch eher für die Männlein-Weiblein-Wechselbilder interessiert, die schon bei Wilde stehen und von Jelinek verschärft worden sind; einmal schimpft Held Maertens sogar sehr nachdrücklich mit dem eigenen Spiegelbild, wenn er die herrliche, viel zu gute Gattin von Katharina Lorenz meint. Zwischen der Schlammschlacht ums schmutzige Geld und dem ewigen Kampf der Geschlechter aber, idealer Mann gegen ideale Frau, und beide gegen ihr Gegenteil, hat sich die Wiener Novität nicht wirklich entscheiden können.