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Schlangenhalssaurier
Biomechaniker löst Flossenrätsel

Plesiosaurier bewegten sich, bevor sie ausstarben, mit paddelartigen Flossen fort. Aber wie? Ein Forscher hat vielleicht die Antwort auf diese alte Frage gefunden - er baute die Flossen nach und probierte aus, wie man damit am effizientesten paddelt.

Von Dagmar Röhrlich | 08.09.2017
    Ein vier Meter langes Plesiosaurus Skelett einer ausgestorbenen meeresbewohnenden Reptilienart ist am 22.02.2017 im Sea Life Berlin zu sehen.
    Sieht in etwa so aus wie das Monster von Loch Ness, ist aber schon seit 65 Millionen Jahre ausgestorben: Plesiosaurus, auch Schlangenhalssaurier genannt (picture alliance /dpa /Jens Kalaene)
    Seit vor rund 200 Jahren das erste Fossil eines Plesiosaurus gefunden worden ist, gibt ein Detail seiner Anatomie den Paläontologen Rätsel auf: Die Meeresreptilien, die mit ihrem langen Hals und ihrem schweren Körper dem sagenumwobenen Monster von Loch Ness ähneln, besaßen zwei Paar gleich gebauter "Flossenbeine". So etwas gibt es heute nicht, und auch aus der Erdgeschichte ist nichts Vergleichbares bekannt.
    "Von Anfang an haben Paläontologen über die Bewegungen dieser beiden identischen Flossenpaare gerätselt", erklärt der Paläontologe Gareth Dyke von der Universität Debrece in Ungarn. "Alle möglichen Kombinationen sind vorgeschlagen worden: dass sie nur mit dem Frontpaar geschwommen sind, mit dem rückwärtigen oder mit allen gleichzeitig, synchron oder asynchron. Bislang wurden diese Ideen höchstens mit Computersimulationen getestet. Wir haben nun experimentiert, um die mechanischen Vorteile der verschiedenen Bewegungsmuster herauszufinden."
    Forscher baut Flossen für Experiment nach
    Zwar hatten US-Forscher 2015 nach Computersimulationen erklärt, dass Plesiosaurier nur ihre Vorderbeine zum Schwimmen nutzten. Doch damit war rätselhaft, warum die Evolution die Hinterbeine im Lauf von 150 Millionen Jahren nicht umgestaltet hat. Und so machte sich der Biomechaniker Luke Muscutt an seine Experimente:
    "Ich habe mit den Fossilien angefangen und einen sehr gut erhaltenen Plesiosaurier ausgewählt, der vor kurzem ausgegraben worden ist. Die Fotografien der Flossen habe ich ergänzt mit Röntgenaufnahmen von Pinguinen, Seelöwen oder Meeresschildkröten. So wollte ich abschätzen, in wie viel Weichgewebe die Knochen eingebettet gewesen sein dürften. Dann habe ich mit einem 3-D-Drucker zwei Plesiosaurier-Flossen nachgebaut, sie mit Motoren in einem Wassertank bewegt, und zwar sowohl Auf und Ab, als auch gekippt - wie beim Vogelflug. Ich habe dann die Kräfte gemessen, die dabei an den Hinterflossen entstehen."
    Die effizienteste Paddeltechnik
    Verschieden gefärbte Tinten zeigten die Verwirbelungen, die sich durch die Schwimmbewegungen bildeten. Das Ziel war die effizienteste Methode herauszufinden und welche den größten Antrieb erzeugt. Das Ergebnis:
    "Die Leistung der hinteren Flossen wird durch den Sog der vorderen beeinflusst. Jeder Schlag der Vorderflosse erzeugt einen Wirbel. Schlägt sie nach unten, erzeugt sie einen Wirbel, der am Wendepunkt abreißt und im Wasser noch eine Art Schleppe bildet. Schlägt die Flosse wieder nach oben, passiert es erneut. Die Hinterflosse gerät in den Einflussbereich dieser abgerissenen Wirbel. Und unsere Experimente zeigen, dass sie deren Energie optimal nutzen kann, wenn sie zwischen zwei dieser abgerissenen Wirbel schlägt, sich sozusagen "einwebt": Der Antrieb lässt sich um 60 Prozent steigern und die Effizienz im 40 Prozent. Das macht schon einen Unterschied, wenn Sie Ihrem Fressfeind entkommen oder dem Fisch folgen, den sie selbst essen wollen."
    Bewegungsrhythmus wie beim Tausendfüßler
    Vergleichen lässt sich das Bewegungsmuster eines Plesiosaurus am ehesten mit den wellenförmigen Beinbewegungen eines Tausendfüßlers. Nur dass bei dem Reptil die wellenförmige Bewegung lediglich durch zwei Beinpaare laufe, beschreibt es Gareth Dyke. Im Prinzip setzten auch Libellen, die ja vier Flügel besitzen, diese Technik ein:
    "Das wichtigste Resultat unserer Arbeit ist wohl, dass diese Bewegung den Tieren durch die immense Energieeinsparung einen großen Vorteil verschafft hätte. Wir glauben deshalb, dass wir mit unseren Experimenten auf der richtigen Spur sind. Sie erklären, wie sich die Plesiosaurier bewegt haben und warum sie diese Besonderheit über 150 Millionen Jahre hinweg beibehielten. Eine andere Frage ist, warum diese Technik heute von keinem Wasserbewohner angewandt wird."
    Energiesparend fortbewegt - trotzdem ausgestorben
    Allerdings leben heute ohnehin kaum Reptilien im Meer, und die, die da sind, entstammen ganz anderen Gruppen. Als nächstes jedenfalls will sich Luke Muskutt nun weitere Plesiosaurier-Arten vornehmen - und überlegen, ob sich diese Art der Fortbewegung nicht als Antrieb für leise Forschungs-U-Boote eignen könnte.