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Schlarmann: Vertrag steht für Stillstand, wenn nicht sogar Abschwung

Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Josef Schlarmann, hat den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD kritisiert. Die Vereinbarung stehe für Stillstand, sagte Schlarmann im Deutschlandfunk. Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer nannte er einen Konjunkturkiller, die Reichensteuer populistisch.

Moderation: Reinhard Bieck | 12.11.2005
    Reinhard Bieck: Der Koalitionsvertrag ist unterschriftsreif, die Kommentare vielfältig. Wir sind gespannt auf das Urteil von Josef Schlarmann, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung. Noch am Mittwoch hatte er heftige Kritik am Verlauf der Koalitionsverhandlungen geübt: Von der Prioritätenliste der Union finde sich so gut wie gar nichts wieder; der ganze Reformprozess der CDU aus den vergangenen fünf Jahren gehe in wenigen Wochen den Bach runter, so Schlarmann vor drei Tagen in der "Wirtschaftswoche". Jetzt sind wir mit ihm in Winsen an der Luhe verbunden. Ist denn Ihre Kritik vom Mittwoch auf fruchtbaren Boden gefallen?

    Josef Schlarmann: Das kann ich so nicht sagen, weil ich bei den Verhandlungen unmittelbar nicht dabei gewesen bin. Aber ich habe den Eindruck, dass in der Schlussrunde doch noch etwas ernsthafter verhandelt wurde und dass auch die Probleme gesehen worden sind.

    Bieck: Was hat sich denn seit Mitte der Woche zugunsten des Mittelstandes verändert? Es ist ja doch eine ganze Menge durchgesickert.

    Schlarmann: Wir waren ja während der Verhandlungen nur teilweise informiert - es gab sehr viele Zirkel, sehr viele Arbeitsausschüsse. Wenn ich das Ergebnis für den Mittelstand mal zusammenfasse, dann gibt es in der Tat Punkte, die eine Verbesserung bedeuten. Das sind keine wesentlichen Punkte, aber die dürfen nicht unerwähnt bleiben. Wir haben bei der Umsatzsteuer einen kleinen Sprung nach vorne getan. Die Ist-Versteuerung in den westdeutschen Ländern, die darf nun auch angewendet werden bei Umsätzen bis zu 250.000 Euro - bisher waren es 125.000 Euro, der Betrag ist also verdoppelt worden. Dann ist die beabsichtigte Reform bei der Erbschaftssteuer nun vereinbart worden. Das heißt, bei einem Betriebsübergang wird die Erbschaftssteuer zunächst gestundet und dann pro Jahr der Betriebsfortführung mit einem Zehntel erlassen, so dass nach zehn Jahren Betriebsfortführung keine Erbschaftssteuer mehr zu zahlen ist. Und auch die degressive Abschreibung, die vereinbart worden ist, bedeutet für Investitionen, die im Mittelstand getätigt werden, einen Vorteil.

    Bieck: Gibt es denn auch noch Kritikpunkte aus Sicht des Mittelstandes?

    Schlarmann: Natürlich. Die wesentlichen Kritikpunkte bleiben. Da geht es zunächst mal um die Frage: Wie viel Kaufkraft wird der Wirtschaft entzogen? Und dort ist natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte ein ganz wichtiger Faktor. Das ist ein Konjunkturkiller, auch noch heute in meinen Augen. Das sind insgesamt 24 Milliarden Euro, die den Privaten mittelfristig aus der Tasche gezogen werden und die natürlich für Konsum und Investitionen nicht zur Verfügung stehen.

    Bieck: Die so genannte Reichensteuer wird ja viele Mittelständler treffen. Aber ist nicht gerade das ein Zeichen dafür, dass es dem Mittelstand ziemlich gut geht und er die oft zitierten starken Schultern hat?

    Schlarmann: Ich glaube, dass man gar nicht den Mittelstand treffen wollte, weil ja Personengesellschaften ausgenommen worden sind. Das heißt, ein gewerbliches Unternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft wird diese Reichensteuer nicht zu zahlen haben. Es sind andere Gruppen damit gemeint. Es sind vor allem die gut verdienenden Angestellten, die zur Kasse gebeten werden sollen. Diese Reichensteuer ist populistisch und findet natürlich in der Bevölkerung großen Anklang. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich, wenn man - ich sage mal - Verteilungsgesichtspunkte und weniger die Frage des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellt.

    Bieck: Die Streichung der Eigenheimzulage trifft ja sicher die mittelständische Bauwirtschaft. Auf der anderen Seite sollen die Abschreibungsmöglichkeiten für Betriebe erhöht werden, Sie haben das eben erwähnt. Wenn man diesen Koalitionsvertrag jetzt mal als Gesamtkunstwerk betrachtet: Wo finden Sie sich da wieder?

    Schlarmann: Schwierig, das sage ich Ihnen ganz offen. Es sind ja nicht nur die Belastungen durch die Mehrwertsteuer. Es gibt ja noch weitere Belastungen: Es sollen die steuerliche Bemessungsgrundlage vor allem auch für den privaten Bereich, bei Arbeitnehmern, bei Sparern - auch hier wird es also zu mehr Steuern kommen, insgesamt in einer Größenordnung von fast zehn Milliarden Euro. Wenn Sie das mal addieren, die 24 bei der Umsatzsteuer und die zehn Milliarden, die auch über Abschaffung von Ausnahmen und Steuerbegünstigungen noch dazu kommen, dann sind wir alleine bei 34 Milliarden. Und das wird natürlich die Stimmung in der Wirtschaft beeinflussen.

    Und wenn man sagt, dass 50 Prozent der Wirtschaft Psychologie sind - und gerade im Konsumbereich ist das der Fall -, dann können Sie sich ausmalen, welche Wirkungen das haben wird. Das Sozialprodukt besteht zu 60 Prozent aus Konsumausgaben und wenn Sie die Konsumausgaben nicht wieder nach vorne bringen, wenn Sie den Menschen keine Zuversicht geben, wenn Sie keine Perspektive haben, sondern nur das Gefühl haben, Sie werden abgezockt, dann kriegen Sie bei 60 Prozent des Sozialprodukts schon keine Aufbruchstimmung hin.

    Bieck: Kritiker großer Koalitionen warnen ja immer vor Stagnation, Befürworter hingegen glauben, dass diese - und nur diese - Konstellation viele Knoten durchschlagen kann. Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag? In Richtung Stillstand oder in Richtung Aufbruch?

    Schlarmann: Eher Stillstand. Wenn nicht sogar Abschwung. Also wir haben immer gesagt: Die Leute müssen nicht weniger netto in der Tasche haben, sondern sie brauchen mehr netto in der Tasche. Damit sie konsumieren können. Damit sie Zuversicht bekommen. Damit sie sehen, es geht nach vorne. Und dieses Programm ist ein Programm der zusätzlichen Belastung. Es verschiebt Finanzmittel aus dem privaten Sektor zusätzlich in den staatlichen Sektor - und das ist in meinen Augen ein völlig falsches Signal.

    Bieck: Ausgangspunkt unseres Gespräches war ja Ihre am Mittwoch geäußerte Kritik. Wenn ich dieses Gespräch jetzt mal so Revue passieren lasse, dann sehe ich Sie immer noch ziemlich unzufrieden. Fühlt sich der Mittelstand denn von Verhandlungsführerin Merkel angemessen berücksichtigt?

    Schlarmann: Wenn Sie den Verhandlungsverlauf nehmen, dann ist es ja in der Weise organisiert gewesen, dass es sehr viele Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgruppen gegeben hat, die paritätisch zusammengesetzt waren. Und dort sind auf fachlicher Ebene zunächst die Kompromisslinien festgestellt und dann auch vereinbart worden. Und das Problem ist natürlich, wenn Sie einen so dezentralen Prozess organisieren, dort - ich sage mal - Linien festzuziehen. Das ist in meinen Augen also nicht gelungen, es ist kein geschlossenes Wachstumskonzept - so wie es das Regierungsprogramm, mit dem Frau Merkel in den Wahlkampf gezogen ist, noch gewesen ist.

    Bieck: Ja, nun können Sie aber am Koalitionsvertrag nichts ...

    Schlarmann: Nein.

    Bieck: ... mehr ändern. Sie haben am Mittwoch gesagt, Sie könnten mit den damals bekannten Inhalten nicht leben und ihnen auch nicht zustimmen. Kann denn Angela Merkel am Montag, beim kleinen Parteitag, mit der Stimme der Mittelstandsvereinigung jetzt rechnen?

    Schlarmann: Also, ich habe heute Nacht diesen 200-seitigen Vertrag bekommen, den wird es zu analysieren geben. Dort wird man Wichtiges von Unwichtigem trennen müssen, und dann werden wir die wesentlichen Punkte auf die Waagschale legen und fragen: Was bringt dieser Vertrag für die Wirtschaft insgesamt? Es gibt ja nicht nur den Mittelstand, der Mittelstand ist ja nur der wesentliche Teil der Wirtschaft. Und dann werden wir fragen: Wie wirkt sich dieser Vertrag auf Konjunktur, auf Wachstum und auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft aus? Und wir werden das gemeinsam beraten und dann auch zu einem Ergebnis kommen.

    Bieck: Na ja, wenn da aber ein Ja daraus werden soll, dann müssten im Koalitionsvertrag, in den Details, noch viele Sachen sein, die Sie am Ende doch umstimmen, denn ich habe im Moment den Eindruck, Sie werden nicht zustimmen?

    Schlarmann: Der Eindruck ist nicht ganz falsch.