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Schlechte Noten für Gesundheitsreform

Eckart Fiedler vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie kritisiert die geplante Gesundheitsreform der Regierung. Minister Rösler müsse zuerst die ausufernde Ausgabenentwicklung in den Griff kriegen, bevor er an die Finanzierungsreform mit noch mehr Einnahmenschöpfung gehe.

Eckart Fiedler im Gespräch mit Gerd Breker | 22.01.2010
    Gerd Breker: Während die Versprechungen auf Steuersenkungen ungewiss bleiben müssen, erhärten sich die Hinweise auf Abgabenerhöhungen - zum Beispiel bei den Sozialkassen. 15 Krankenkassen mit mehr als zehn Millionen Mitgliedern werden im zweiten Quartal einen Zusatzbeitrag erheben. Gedacht ist an acht Euro pro Monat.

    Dem Bundesversicherungsamt in Bonn liegen bereits vier Anträge vor, mehr werden demzufolge folgen. Zusatzbeiträge, eine verkappte kleine Kopfpauschale, also politisch gewollt. Mehr Geld für die Krankenkassen ohne mehr Leistung.

    Bei mir im Studio ist Eckhart Fiedler, früher Chef der Barmer Ersatzkasse, heute beim Kölner Institut für Gesundheitsökonomie. Ich grüße Sie, Herr Fiedler.

    Eckhart Fiedler: Guten Tag.

    Breker: Der Kenner kann gar nicht überrascht sein, denn die Zusatzbeiträge waren ja von der Politik gewollt.

    Fiedler: Ja, kann man so sagen, denn wir hatten ja vor Einführung des Gesundheitsfonds auch eine deutliche Beitragssatzspanne im System, etwa vier Beitragssatzpunkte Unterschied. Die sind etwas nivelliert worden durch den verbesserten Finanzausgleich, der ja die Krankheitskosten stärker einbezieht als früher, aber dennoch bleiben Unterschiede auch im wirtschaftlichen Verhalten der Kassen und insofern ist es klar, dass die eine früher und die andere später dann einen Zusatzbeitrag braucht.

    Breker: Und Zusatzbeiträge, um das noch mal zu sagen, sind Beiträge, die die Mitglieder alleine tragen. Der Arbeitgeber ist daran nicht beteiligt.

    Fiedler: Nein. Das sind Beiträge, die allein die Mitglieder zu finanzieren haben und die auch direkt eingezogen werden. Das heißt, außerhalb des Beitragseinzugs, der heute ja ein Quellenabzug ist. Wie quasi Steuern zahlt der Arbeitgeber die Rentenversicherung direkt an die Krankenversicherung die Beiträge. Demnächst muss also die Krankenkasse sich das Geld beim Mitglied holen, und da befürchte ich schon einen erheblichen Verlust an Geld.

    Wir haben ja die ersten Erfahrungen einer kleinen Kölner Betriebskrankenkasse, die einen Zusatzbeitrag erhebt, und da haben bislang 15 Prozent der Mitglieder gar nicht gezahlt. Dann muss ich dem Geld hinterherlaufen, das ist aufwendig, das ist teuer.

    Breker: Gehen Sie davon aus, wie Herr Lauterbach, dass es mehr als diese 15 Krankenkassen, die bisher ihre Zusatzbeiträge erheben wollen, dass es mehr werden im Laufe des Jahres?

    Fiedler: Ja, bestimmt. Sehen Sie, das Problem liegt ja darin, dass wir derzeit eine Einnahmeentwicklung haben, die schwach ist, geradezu für nächstes Jahr prognostiziert um null, plus/minus null, hängt ab von den Entwicklungen der Arbeitseinkünfte der Mitglieder. Und wir haben eine Ausgabenentwicklung, die sprudelt munter. Im vorletzten Jahr waren das immerhin 4,5 Prozent. Im letzten Jahr sind jetzt prognostiziert 7,1 Prozent und in diesem Jahr wiederum 4,2. Bei einer Einnahmenentwicklung nahe null ist logisch, dass hier ein Defizit sich aufbauen muss. Das ist für dieses Jahr mit 7,9 Milliarden prognostiziert.

    Von diesen 7,9 Milliarden trägt jetzt der Staat 3,9 durch einen erhöhten Steuerzuschuss, aber es bleibt eine Lücke von vier Milliarden, die die Kassen sozusagen über Zusatzbeiträge finanzieren müssen.

    Breker: Wie erklärt sich das eigentlich, Herr Fiedler? Alle Gesundheitsreformen standen doch bislang immer unter der Überschrift der Kostendämpfung. Die Kosten sollten gesenkt werden. Tatsächlich aber war das Ergebnis: Die Beiträge sind gestiegen.

    Fiedler: Das ist richtig, aber man darf nicht übersehen, dass wir im internationalen Vergleich uns doch in den Belastungen deutlich verbessert haben. Die Kostendämpfungsbemühungen haben schon ganz erheblich die Ausgabenentwicklung abgebremst. Sie haben sie nicht runtergebracht auf null, aber sie haben sie abgebremst. Ohne dieses Bemühen um Kostendämpfung lägen wir heute bei weit noch höheren Beiträgen.

    Deshalb meine ich auch, dass Herr Rösler eigentlich hier aufgefordert ist, zuerst einmal darüber nachzudenken, wie er die ausufernde Ausgabenentwicklung in den Griff kriegt, bevor er vielleicht an die Finanzierungsreform mit noch mehr Einnahmenschöpfung geht. Mein Problem sehe ich in der Ausgabenentwicklung - oder das Problem der GKV -, und dort müsste die Politik angreifen.

    Breker: Nun stand ja die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch im Verdacht, die gesetzlichen Krankenkassen zu bevorzugen. Das hat sich offenbar inzwischen gedreht. Philipp Rösler, bei ihm neigt sich die Waage mehr den Privaten zu.

    Fiedler: Ja, sieht so aus. Klar, das ist logisch. Das ist die Klientel der FDP, die man auch begünstigen will. Das findet sich an vielen Stellen auch des Koalitionsvertrages, wo man doch Eindrücke gewinnt, dass hier speziell gewisse Berufsgruppen wie zum Beispiel auch Ärzte, Apotheker in freier Tätigkeit, niedergelassene Ärzte bevorzugt werden sollen. Ob das gut ist? Ich bezweifele das stark.

    Aber eines muss man auch sagen: Die private Krankenversicherung wird dennoch auch nicht aus diesem Problem herauskommen. Sie kämpft genauso mit den Kostensteigerungen. Sie hat enorme Beitragssatzerhöhungen jetzt ja vorgenommen oder angekündigt. Von daher ist die Problemlage nicht groß anders und ob das jetzt, sage ich mal, so weiterhilft, wenn ich sie jetzt hier bevorzuge, anstatt eine Reform aus einem Guss zu machen, wo ich mal überlege, ob ich nicht die beiden Systeme mittelfristig miteinander verschmelze, das stellt sich doch als Frage.

    Breker: Zu den bevorzugten Berufsgruppen gehören offenbar auch die FDP-Mitglieder, denn sie profitieren von einem Gruppenvertrag ihrer Partei mit den privaten deutschen Krankenversicherungen AG DKV. Ihr Beitrag liegt fünf bis acht Prozent unter den üblichen Konditionen. Das bestätigt ein Parteisprecher. Hat das nicht ein wenig Geschmäckle?

    Fiedler: Ja. Ich finde, ob man so was hätte tun sollen, das ist sehr fragwürdig. Die Frage ist allerdings natürlich: Ist die Kalkulation stimmig? Hat die DKV hier einen Vorzugsbeitrag kalkuliert für die FDP oder hat sie tatsächlich im Hinblick des Gruppenvertrages das Gruppenrisiko pauschal kalkuliert und sozusagen dann auch in voller Höhe weitergegeben in der Prämie, die zu zahlen ist? Das müsste man mal untersuchen. Aber mal losgelöst von dieser Frage: Ich hätte eigentlich gesagt, so was tut man nicht.

    Breker: Und wenn man dann gleichzeitig hört, dass der Vizedirektor der PKV, Christian Weber, ins Gesundheitsministerium wechselt als Abteilungsleiter der Sektion Grundsatzfragen, kann man sich dann die Antworten schon denken?

    Fiedler: Ja, gut. Natürlich wird Herr Rösler sich jetzt mit Leuten umgeben, die ihm nahestehen und die die Reform, die die planen, jetzt vorbereiten und nachher auch umsetzen helfen. Das war in der Vergangenheit, sage ich mal, so ganz anders auch nicht. Aber nichtsdestotrotz sage ich mal: Auch das ist ein Punkt, der zu offensichtlich ist, zu ungeschickt.

    Der passt in das Gesamtbild dieses Fehlstarts der Koalition. Und von daher lässt das, sage ich mal, für diese ganz schwierige Reform, vor der sie jetzt stehen, nichts Gutes ahnen. Und ich sage noch einmal: Das, was eigentlich hier wirklich angepackt werden müsste, sind die ausufernden Arzneimittelausgaben. Auch im Krankenhaus haben wir Ausgabenschübe, in diesem Jahr über sieben Prozent wird erwartet, die nicht zu rechtfertigen sind, denn im internationalen Vergleich haben wir viel zu viele Krankenhausbetten, fast doppelt so viel, wie in unseren Nachbarländern.

    Also hier gibt es durchaus Ansätze für mehr Wirtschaftlichkeit und da müsste angepackt werden, nicht beim Geld des Versicherten oder des Mitgliedes. Dem sollte man das in der Tasche lassen.

    Breker: Herr Fiedler, wenn diese große Gesundheitsreform nicht kommt, gehen wir dann auf eine Zwei-Klassen-Medizin zu?

    Fiedler: Ja, das ist zu befürchten, wenn nur an der Finanzierungsseite jetzt gedreht wird und dort in Richtung einer einkommensunabhängigen Pauschale. Einkommensunabhängig: Heute habe ich sozusagen einen Beitrag, der nach meiner Leistungsfähigkeit sich richtet. Wenn ich wenig Geld habe, zahle ich wenig; habe ich mehr Geld, zahle ich mehr. Dahinter liegt die Umverteilung zwischen Gutverdienern und Weniger-gut-Verdienenden. Das soll ja entfallen!

    Wenn jeder eine gleiche Pauschale zahlt und dann im Hintergrund, gut, vielleicht einen Anspruch hat auf einen Steuerzuschuss, über das Finanzamt nachher ausgezahlt, wie auch immer das läuft, erst mal wird er deutlich stärker belastet und das führt dazu, dass er natürlich irgendwo dann, wenn ihm das auch noch eröffnet wird, Leistungen abwählen muss, um überhaupt noch den Beitrag, der dann anfällt, bezahlen zu können.

    Also da hat man schon den Eindruck, hier steuern wir in ein dann doch sehr gravierendes zweiklassenmedizinisches Versorgungssystem, das eigentlich durch die jetzige Solidarität, die im System ist und die ja durch die einkommensunabhängige Pauschale zerstört würde, gewahrt ist.

    Breker: Zum Schluss, Herr Fiedler. Ärztepräsident Hoppe hat sich die Tage zu Wort gemeldet und gesagt, schon jetzt sei es so, dass nicht jeder Patient die optimalen Medikamente bekäme, Politik müsse handeln. Ist das Ihrer Einschätzung nach auch so?

    Fiedler: Ich meine, das ist ein Vorwurf, den muss man belegen können. Das, was wir bislang so noch sehen, ist, dass eigentlich schon die Ärzte bemüht sind, die notwendige Medizin dem Patienten zugutekommen zu lassen, wobei man vielleicht durchaus auch erkennen muss, dass nicht jede Leistung, die heute erbracht wird, eigentlich notwendig ist, wichtig ist und richtig ist, dass im Arzneimittelbereich viele Medikamente, die hier verordnet werden, als neue Innovation gepriesen, nur teuer, aber gar nicht so gut sind.

    Also da haben wir schon Sparpotenziale und wenn Herr Hoppe in der Vergangenheit ja sehr stark unter diesem Aspekt, den er nennt, eine Priorisierung in der medizinischen Leistungsgewährung fordert, dann sage ich, das darf nicht dazu führen, dass die Effizienzreserven, also die Reserven von Wirtschaftlichkeit, die wir im System haben, deshalb nicht angepackt werden und erschlossen werden.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Eckhart Fiedler vom Kölner Institut für Gesundheitsökonomie. Herr Fiedler, danke für dieses Gespräch.

    Fiedler: Danke auch.