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Schleswig-Holstein
Kostenloser Nachhilfeunterricht vom Handwerksmeister

Lars Thullesen führt in Schleswig-Holstein einen Handwerksbetrieb mit 25 Mitarbeitern. Und er spendiert Schülerinnen und Schülern in Neumünster seit Jahren in seinem Projekt "Grundstein" kostenlosen Nachhilfeunterricht in Mathematik. Sein Ziel: Der Unternehmer will die Jugendlichen nach vorne bringen.

Von Johannes Kulms | 20.09.2018
    Ein Schüler mit einem Tabletcomputer steht vor einer Schultafel mit mathematischer Gleichung
    Einige der Nachhilfeschüler von "Grundstein" konnten ihre Noten deutlich verbessern (imago / imagebroker)
    Mit Nachhilfe kam Lars Thullesen schon früh in Berührung. Bereits in der vierten Klasse ging es los: "Also schulisch war ich sehr pflegebedürftig: Ich hab‘ Mathenachhilfe bekommen, ich hab‘ Deutsch-Nachhilfe bekommen, ich hab‘ Englisch-Nachhilfe bekommen."
    Am Ende machte Thullesen eine "ganz vernünftige mittlere Reife", wie er sagt. Doch viel wichtiger: Er entdeckte den Spaß am Lernen, denn: "Lernen heißt für mich Freiheit. Das, was ich im Kopf hab‘ kann mir keiner mehr nehmen."
    Thullesen hat kräftig gelernt. Neben dem Dachdecker hat der 45-Jährige noch drei weitere Meister gemacht. Heute führt er den Handwerksbetrieb seiner Familie in Neumünster mit 25 Mitarbeitern.
    Nachhilfe auf dem Firmengelände
    Doch neben seiner Arbeit mit Häuslebauern nahm Lars Thullesen vor acht Jahren noch eine ganz andere Gruppe ins Visier: Jugendliche, die Schulen in Neumünster besuchen. Für sie organisiert er seitdem Nachhilfeunterricht. Und zwar kostenlosen. Sein Projekt heißt "Grundstein".
    Der Unterricht findet in einem kleinen Gebäude direkt auf dem Firmengelände in Neumünster statt. Etwa 50 Jugendliche von der 6. Bis zur 13. Klasse kommen jede Woche hierher. Die Lerngruppen sind klein, maximal sind es vier Jugendliche. An diesem Nachmittag unterrichtet Nachhilfelehrer Ingo Bublitz zwei 16-Jährige aus der 11. Klasse einer Gemeinschaftsschule
    "Wie ist die Bedingung Parallelogramm?
    "Dass alle Seiten parallel zueinander sind…"
    "… Sekundarstufe 1, achte Klasse!"
    Vor allem in Mathe gibt Ingo Bublitz Nachhilfe. Das Fach sei im Handwerk wichtig, meint Projektgründer Lars Thullesen. Zum Beispiel für die Berechnung von Dachflächen. Doch viele seiner Bewerber für Azubistellen haben gerade in Mathe schlechte Schulnoten. Mit dem Nachhilfeprojekt will er das ändern und gleichzeitig als Unternehmer etwas der Gesellschaft zurückgeben. Die Schüler kommen durch Mund-zu-Mund-Propaganda in den Unterricht oder durch Empfehlungen von Lehrern, sagt Ingo Bublitz.
    "Es ist immer so, dass die von der gleichen Schule sind, am besten noch gleiche Klasse bzw. gleiche Jahrgangsstufe."
    Ausgestattet mit Beamer und Whiteboard scheint der Unterrichtsraum klein, aber modern. Doch wichtige Voraussetzungen für die Teilnahme am Projekt sind Tugenden, die ganz zeitlos klingen: Pünktlichkeit, regelmäßiges Erscheinen. Und: Eine ordentliche Motivation auf Schüler-Seite. Mehrere hundert Jugendliche haben das Projekt in den letzten acht Jahren genutzt.
    "Es gibt sicherlich Schüler, die mal abspringen - aus welchen Gründen auch immer. Aber wir können glücklicherweise bis jetzt sagen, dass alle Schüler ihren angestrebten Schulabschluss bis jetzt geschafft haben. Also, wir haben keinen, der durchgefallen ist."
    Die Schüler verbessern allesamt ihre Mathe-Noten
    Auch Lena - die in Wirklichkeit anders heißt - und Johannes peilen das Abitur an. Die beiden 16-jährigen kommen seit einem knappen Jahr in den Nachhilfeunterricht. Johannes hat sich dadurch von einer 5 auf eine 3 im Zeugnis in Mathe verbessert. Und Lena?
    "Ich hatte am Anfang, als ich hierher kam, `ne 5- auch ganz knapp, fast `ne Sechs und kam dann auf `ne 4+."
    Ohne diese Verbesserung wäre für beide der Weg in die Oberstufe sehr schwer geworden, sagt Johannes: "Also, ich find‘, man sollte sich mehr dafür schämen, wenn man schlecht in der Schule ist und dann halt irgendwie nicht Hilfe annimmt von außerhalb, weil man es dann halt einfach nicht anders hinkriegt!"
    Von dem Projekt "Grundstein" hatte Handwerksmeister Lars Thullesen sich auch erhofft, Interesse zu wecken für ein Praktikum oder eine Ausbildung in seinem Betrieb. Doch in den vergangenen acht Jahren im Projekt hat Lars Thullesen gerade mal einen Azubi gewinnen können. Auch Lena und Johannes wollen lieber studieren. Nicht schlimm, findet der Projektgründer.
    "Also, aus der Richtung Totalschaden. In Wirklichkeit sag‘ ich 'Mein Ziel erreicht', weil das größte Ziel war nicht Auszubildende generieren, sondern wirklich junge Menschen nach vorne bringen."
    Doch das Projekt hat nicht nur vielen Jugendlichen geholfen, sondern auch Ingo Bublitz. Der hat sein Studium in Mathe und Biologie nie abgeschlossen und war zwischendurch fünf Jahre lang Hartz-IV-Empfänger.
    "Und aus Hartz IV direkt in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu kommen ohne irgendwelche einschränkenden Bedingungen oder Probezeiten, das ist ja ein Glücksgriff. Das hat mir doch schon doll den Kopf gerettet."