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Schleuserorganisationen
"Sie versprechen das Blaue vom Himmel"

Wenn die Internationale Fernmeldeunion tagt, dann werden auch immer die Themen besprochen, die die Vereinten Nationen gerade umtreiben. Das ist auch so auf der ITU Telecom World 2015 in Budapest. Und so war natürlich zu erwarten, dass auf der ITU-Konferenz auch über die zunehmende Zahl der Flüchtlinge nach Europa diskutiert wurde.

Peter Welchering im Kollegengespräch mit Uli Blumenthal | 15.10.2015
    Uli Blumenthal: Wie lief denn diese Diskussion, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Sie tauchte in verschiedenen Paneln immer wieder auf. Und es war insgesamt eine Diskussion am Rande der Konferenz, obwohl diese Diskussion als extrem wichtig eingeschätzt wurde. Aber die Konferenzveranstalter hatten nicht den Mut, das Flüchtlingsthema zum offiziellen Thema der Konferenz zu machen. Die ITU als Organisation der Vereinten Nationen, so wurde argumentiert, kümmere sich um Telekommunikation und sei für das Flüchtlingsproblem schlicht nicht zuständig. Da wurde von mehreren Konferenzteilnehmern eingewandt: Das stimme nicht. Denn in der Flüchtlingsfrage gehe es sehr wohl um Telekommunikation. Und Telekommunikation sei Teil der Flüchtlingsfrage.
    Sie werben auf Facebook
    Blumenthal: Welche Rolle spielt Telekommunikation denn konkret in der Flüchtlingsfrage?
    Welchering: Eine dreifache: Schlepperorganisationen werben für ihre Dienste auf sozialen Plattformen und sie wickeln einen Großteil der Koordinierung von Schleusungen über das Darknet ab. Flüchtlinge lassen sich zum Teil auf die Versprechen der Schleuser ein, und die versprechen das Blaue vom Himmel, damit sie Geld für die Schleusungen bekommen. Und drittens ist die Kommunikation der in Europa Aufgenommenen mit ihren Angehörigen, Bekannten und Freunden ausgesprochen wichtig.
    Blumenthal: Wie werben Schleuserorganisationen denn für ihre Dienste im Internet?
    Welchering: Vor allen Dingen auf Facebook. Da bietet eine türkische Schleuserorganisation die Route von Syrien nach Deutschland für 8.000 bis 9.000 Euro an. Eine Überfahrt von Bodrum zur Insel Kos kostet zwischen 250 und 2.000 Euro, je nach Transport, vom Schlauchboot bis zur Yacht. Die Abfahrtzeiten werden dann getwittert. Und es gibt sogar eine Hotline, falls unterwegs Probleme auftauchen. Die läuft über Mobilfunk und zunehmend über Whatsapp. Und koordiniert wird die Flucht auf Servern im Darknet, Server deren IP-Adressen geheim sind, Server, die nur über Anonymisierungsnetzwerke und virtuelle private Netzwerke erreicht werden können. Ein Interpol-Mitarbeiter berichtete in Budapest von Dateien, die per Zufall auf aufgegebenen Servern im Darknet gefunden wurden. Und zu sehen waren dort nach einfacher Entschlüsselung Excel-Dateien mit den Namen von Flüchtlingen, geleisteten Anzahlungen und geplanten Routen mit Übergabepunkten.
    Schlepper im Darknet
    Blumenthal: Ist in Budapest denn über konkrete Vorschläge diskutiert worden, wie auf die Nutzung von sozialen Plattformen und Netzservern durch die Schleuser zu reagieren ist?
    Welchering: Es gab unterschiedliche Vorschläge, aber auch Warnungen. Udo Helmbrecht, Chef der europäischen Netzsicherheitsbehörde Enisa, warnte davor, das Problem nur technisch lösen zu wollen. Sprich: Löschen der Schlepperwerbung auf Facebook und Twitter und verstärkte forensische Suche nach Koordinierungsservern der Schlepper im Darknet. Ohne politische Lösung helfen hier technische Maßnahmen gar nicht, meinte Helmbrecht. Dennoch wurde die verstärkte Suche nach Dateien von Schleppern im Netz gefordert, um so die Schlepperorganisationen aufklären und bekämpfen zu können. Aber es wurden auch bessere Kommunikationsmöglichkeiten für Flüchtlinge zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität gefordert.
    Blumenthal: Wie soll bessere Netzkommunikation für Flüchtlinge Schleuserkriminalität verhindern?
    Welchering: Die Schleuser werben auf Facebook mit haarsträubenden Versprechungen, damit bei ihnen eine Schleusung gebucht wird. Wer in einem Flüchtlingslager in der Türkei, in Nigeria, im Libanon von diesen Versprechungen liest, glaubt sie und kann sie nicht einschätzen. Da fordern die Experten mehr und bessere Aufklärung über die Verhältnisse in Europa. Das sei auch eine Sache der Vereinten Nationen. Aber hier ist es eben auch wichtig, dass Menschen, die in Aufnahmeeinrichtungen leben, mit ihren Bekannten kommunizieren können. Außerdem kann besserer Zugang zum Netz in den Flüchtlingslagern dazu beitragen, dass eine Perspektive für die dort Lebenden geschaffen wird. Das ersetzt natürlich nicht, dass die anderen Lebensverhältnisse auch dringend verbessert werden müssen. Bildungsangebote im Netz können nach Ansicht des Medialab-Gründers Nicholas Negroponte erheblich dazu beitragen, eine Perspektive zu schaffen. Hier sollte die ITG mit den anderen UN-Organisationen zusammen arbeiten.
    Blumenthal: Bleibt es bei bloßen Signalen aus Budapest, oder werden diese Forderungen und die Diskussionen darüber etwas bewegen?
    Welchering: Zumindest gerät die ITU endlich mal unter Druck, etwas zu tun. Weil die Internationale Fernmeldeunion aber ein ausgesprochen träger Verein ist, muss dieser Druck noch aus anderen UN-Organisationen verstärkt werden. Und die Regierungen – als Mitglieder der ITU – müssen auch Druck ausüben. Dann kann aus diesen Budapester Diskussionen tatsächlich eine Verbesserung für Flüchtlinge herauskommen.