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Schlichterin im Sport

Was ist zu tun, wenn ein zuverlässiger Fußball-Jugendtrainer als Funktionär in der NPD tätig ist? Rausschmiss oder Duldung? Angelika Ribler hat einen solchen Fall in Hessen erlebt. Die Sportmediatorin hat mit ihren Kollegen mehr als 14000 Spieler, Trainer und Funktionäre gegen Rechtsextremismus beraten.

Von Ronny Blaschke | 16.04.2011
    An jedem Wochenende finden tausende Fußballspiele statt. Auf dem Rasen gibt es auch Protest, Streit, Diskriminierung. Spieler versuchen alles, um ihren Gegner aus dem Konzept zu bringen. Ihr wichtigstes Ziel? Tore schießen.

    Die Ergebnisfabrik Fußball rattert – mit ihren Begleiterscheinungen. Hin und wieder fordern Funktionäre Toleranz und Fairness, ihre Sonntagsreden sind schnell verstummt. Tiefgründig setzen sich nur wenige Instanzen mit Problemen auseinander. Eine von ihnen ist die Sportjugend Hessen in Frankfurt am Main.

    Angelika Ribler archiviert in ihrem kleinen Büro hunderte Zeitungsartikel, Protokolle, Broschüren. Seit 1994 entwickelt sie für die Sportjugend das Themenfeld Jugend und Sportpolitik. Wenn auf einem Fußballplatz in Hessen Einwanderer geschlagen oder bespuckt werden, dann können die Sportgerichte die Verfahren aussetzen und eine Mediation anordnen, eine Vermittlung. In langen Gesprächen geht es der Sportwissenschaftlerin Angelika Ribler vor allem um Aufklärung. Sie schlichtet, differenziert und motiviert. Aber was müssen die Mediatoren genau mitbringen?

    "Also wenn man sich dann als Berufsanfänger anmachen lässt von diesen älteren Herren, die meinen, sie müssten irgendwie machtvoll sprechen, da hast du natürlich verloren. Sie müssen ein gutes Standing haben und auch vor allen Dingen viel Verantwortung wieder zurück in die Gruppe geben, also schlaue Fragen stellen ist zum Beispiel etwas Gutes. Die Sternstunden einer Mediation bestehen darin, wenn du das Gefühl hast, dass die echt zuhören. Und wenn die sich entschuldigen, dass ist dann richtig schön."

    Wenn Angelika Ribler einen Auftrag erhält, bedeutet das nicht automatisch, dass sie als Vermittlerin auch gern gesehen ist. So war es 2007 in Wetzlar, wo der NPD-Funktionär Thomas Hantusch als Fußball-Jugendtrainer tätig war. Hantusch hatte den Landesverband der Partei in Hessen geleitet. Den Kontakt zum Verein, zum RSV Büblingshausen, hatte er über seinen Sohn geknüpft. Thomas Hantusch war anerkannt für sein Engagement. Der Klub zeichnete ihn sogar aus, stellte ein Foto auf seine Internetseite. Angelika Ribler wollte dem Verein die Probleme verdeutlichen, die ein hochrangiger NPD-Kader im Nachwuchsfußball auslösen kann – doch sie stieß auf Gegenwehr.

    "Der Verein hat im Prinzip auch nicht wirklich ein Problem gesehen, also das ist diese klassische Trennung zwischen Amt und Funktion im Verein und dem Privatleben außerhalb. Die haben natürlich gesagt, wir distanzieren uns von dieser Ideologie: da habe ich gesagt, ja, ich würde gerne, dass man das auch sieht und hört, dass Sie sich davon distanzieren."

    Angelika Ribler hat in Wetzlar Antworten gehört, die sie immer wieder hört. Ein Trainer, der Mitglied der NPD ist, sei auf dem Fußballplatz unpolitisch. Für ihn würden ausschließlich Kinder und Fußball zählen, was er privat unternehme, sei Nebensache. Die NPD ist eine politisch legitimierte Partei, das erschwert Riblers Argumentation. Die Forderung nach einem sofortigen Rausschmiss des Funktionär Thomas Hantusch war ihr zu einfach. Stattdessen wollte sie beim RSV Büblingshausen eine Debatte auslösen. Über Demokratiefeindlichkeit der NPD, über Rekrutierungsversuche von Rechtsextremen, über das Wirken von Thomas Hantusch, der sich für eine Gesellschaft ohne Migranten ausspricht. Angelika Ribler erinnert an eine Versammlung mit Jugendbetreuern des Vereins.

    "Also manche saßen dann und haben das über sich ergehen lassen und manche haben auch richtig dagegen agiert, also was wir denn jetzt wollten. Vereine sind wie Dörfer, die reagieren halt und agieren halt freundschaftlich verwoben und macht ja auch nicht seinen Nachbarn an, wenn der einem eine Lehrstelle für seinen eigenen Sohn beschafft."

    Fast ein Jahr vergeht, bevor der RSV Büblingshausen und Thomas Hantusch getrennte Wege gehen. Einen solchen Konflikt kann es immer wieder geben, bundesweit. Oft spielt die Angst vor Imageverlust und Mitgliederschwund eine entscheidende Rolle. Doch entgegen der vorherrschenden Meinung haben Vereine keine Pflicht, Mitglieder aufzunehmen. Doch bestehende Mitglieder auszuschließen, ist schwer.

    September 2010, im Historischen Rathaus in Köln erhält Angelika Ribler den Julius-Hirsch-Preis des DFB, eine der wichtigsten Auszeichnungen im Sport. Ihr Wissen gibt sie in Hessen an dreißig Referenten und Mediatoren weiter, es sind Pädagogen, Sozialwissenschaftler, Kommunikationstrainer. Insgesamt haben sie mehr als 14000 Spieler, Trainer, Schiedsrichter und Funktionäre beraten. Ihre Konzepte trägt Ribler auch in andere Bundesländer, vor allem im Osten. Ihre Leitfragen: Was ist zu tun vor einer brisanten Partie? Was ist zu unternehmen, wenn der Mittelstürmer mit der Nummer 88 aufläuft? Einem Code für den Hitlergruß? Und wie soll man sich einem Trainer gegenüberstellen, der mit Rassismus seinen Gegner verunsichern will?

    "Also wenn jemand zum Beispiel einen rassistischen Spruch auf dem Platz bringt, dann brauche ich keinen dreiwöchigen Bildungskurs, um zu sagen: das hier nicht. Punkt, Ende der Durchsage. Und das ist dieses couragierte Eingreifen, wo man auch sagt: nein, in meinem Vereinsheim gibt’s das nicht."