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Schloss Bosmelet in der Normandie
Prachtbau zum Leben erweckt

Das Pays de Caux in der Normandie ist nicht nur das Land der Bäume: Dem Prunkbau Chateau de Bosmelet mit dem fünf Hektar großen Park nördlich von Rouen setzte schon Gustave Flaubert in "Madame Bovary" ein Denkmal. Die neuen Hausherren verbinden Historie mit Musik und moderner Kunst.

Von Suzanne Krause | 15.10.2017
    Konzert in der Schlosskapelle von Château de Bosmelet in Auffay, Normandie (www.bosmelet.fr)
    Konzert in der Schlosskapelle von Château de Bosmelet in Auffay, Normandie (www.bosmelet.fr) (Deutschlandradio / Suzanne Krause)
    In der kleinen Kapelle links neben dem kunstvoll geschmiedeten Parktor probt ein Quartett. Der holzgetäfelte frühere Altarbereich dient als Bühne, im Zuschauerbereich reihen sich eng an eng sechzig Stühle. Beim Abendkonzert im intimen Ambiente wird kein Platz mehr frei sein - mancher Besucher, der eigentlich nur kam, um durch den Park und den ummauerten alten Gemüsegarten zu flanieren, lässt sich von Mozartweisen zum Verweilen verführen. In Bosmelet vermischen sich Welten.
    Das hat an diesem Ort gewissermaßen Tradition. Vor sechshundert Jahren, die Region unterstand damals der britischen Krone, residierte hier Sir John Falstof in seiner Festung. Der Adlige war Shakespeare, Verdi, Orson Welles Vorbild für deren Falstaff-Helden. Als die Engländer vertrieben waren, entstand 1632 auf den Grundmauern der Festung ein französisches Schloss, zweistöckig, heller Sandstein, hellroter Backstein, Schieferdach. Ein Sinnbild der Architektur unter Ludwig dem 13.
    "Hier verbrachte ein französischer Graf lange Jahre. Der Duc de la Force war Gouverneur der Normandie, vor allem aber Hofmeister von Ludwig dem 15."
    Bosmelet - Liebe auf den ersten Blick
    Sichtlich bewegt resümiert Alain Germain die Ortsgeschichte. Vor einem guten Jahr hat er mit seinem Lebensgefährten Bosmelet erstanden. Es war Liebe auf den ersten Blick.
    "Als ich das erste Mal herkam, war ich von der imposanten Erscheinung des Schlosses wie vom Donner gerührt. Das Gebäude wirkt so rein, gewissermaßen alterslos, als habe der Zahn der Zeit nicht an ihm genagt, obwohl es im 2. Weltkrieg bombardiert wurde. Aber das Schloss steht noch da wie zur Zeit von Ludwig dem 13. Das ist sehr selten. Es gibt andere schöne Schlösser in der Region, aber fast alle wurden im 19. Jahrhundert massiv umgebaut."
    Pays de Caux - Land der Bäume
    Wie eh und je thront das Schloss inmitten weiter Rasenflächen, wie auf einem endlosen grünen Teppich, beidseits flankiert von einer Lindenallee, der längsten in ganz Europa. Angelegt wurde sie sage und schreibe 1718. Der Methusalem im Park allerdings ist eine mächtige Kastanie, 550 Jahre alt. Sie zählt zu den Lieblingen von Caroline Bonnet, Nachbarin und Freundin der neuen Hausherren.
    "Was ich am meisten in dieser Region, dem sogenannten Pays de Caux, bewundere, sind die Bäume. Das mag sich komisch anhören, denn ich bin Architektin. Sicher, es gibt hier rundum wunderschöne Herrenhäuser. Aber majestätische Bäume wie zum Beispiel in der hiesigen Lindenallee findet man in kaum einer anderen Region. Für mich ist das Pays de Caux ein Land der Bäume."
    Schlossbesitzer Alain Germain: Regisseur, Autor, Bühnenbildner
    Entdeckungen ganz anderer Art werden im Schloss geboten. Die alten Mauern beherbergen heute moderne Werke, Kreationen des Hausherren Alain Germain. Der 69-Jährige ist ein renommiertes Allround-Talent: Er inszeniert Theaterstücke, Opern und Ausstellungen im In- und Ausland, entwirft Bühnenbilder und Kostüme, hat eine eigene Theatergruppe und schreibt Bücher. Der fast lebensgroße Pappmache-Hirsch, der in der weiß getünchten Eingangshalle thront, entstammt einer von Germains Aufführungen. Der Saal nebenan ist ganz in Taubengrau gehalten, an den Wänden hängen riesige in Grautönen bemalte Stoffbahnen: Sie bilden Höhlenmalereien aus der Lascaux-Grotte ab sowie einen Blick aus dem All auf unseren Planeten.
    "In diesem Saal hat der Gouverneur der Normandie früher das Recht gesprochen. Nun zeigen wir hier Bühnenbilder aus dem Schauspiel 'Die Ursprünge des Menschen'. Das Stück wurde dreihundertfünfzig Mal in Paris aufgeführt. Beim Konzept habe ich mit meinem Freund Yves Coppens zusammengearbeitet. Der Paläontologe machte sich einen Namen als Entdecker der Überreste von Lucy, einer Urmutter der Menschheit."
    Ausstellung bislang ungezeigter Cocteau-Werke in 2018
    Anekdotenreich führt Alain Germain durch seine Sammlung, durch mehr als vierzig Jahre künstlerisches Schaffen. Der erste Stock, bei Ankunft der neuen Besitzer noch halbverfallen, wird derzeit restauriert. In einem Jahr sollen hier Werke von Jean Cocteau ausgestellt werden - aus der größten privaten Cocteau-Sammlung, die noch nie gezeigt wurde. Aus einem Eckzimmerfenster fällt der Blick auf eine verwitterte Betonpiste neben dem Schloss.
    Abschussrampe für die V1 in Bosmelet
    Dort wandelt gerade Germains Partner Vincent Vivès auf den Spuren der Geschichte.
    "Wir befinden uns hier auf der Piste, die zur Abschussrampe führt. Ab 1942 waren hier an die 2.000 Zwangsarbeiter im Einsatz, Franzosen, Holländer und Belgier. Sie mussten acht Bunker und Pisten bauen, denn die deutschen Besatzer wollten von hier aus London mit den V1 genannten Marschflugkörpern in Schutt und Asche legen. Die Abschussrampe allerdings wurde rechtzeitig von den Alliierten kaputtgebombt."
    Museum für den Résistance-Kämpfer Hollard
    Zu verdanken war das den Informationen, die Michel Hollard direkt nach London weitergab. Der Résistance-Kämpfer war der erste, der Hitlers Geheimwaffe enttarnte. Ihm zu Ehren soll in Bosmelet nun ein Museum eingerichtet werden. Vincent Vivès steigt in den winzigen Bunker herab, der, verborgen unter der mächtigen Krone der uralten Kastanie, damals den Bomben entging.
    "Von hier aus sollten die V1-Raketen gezündet werden. Am Parkeingang gibt es noch einen Bunker von 40 Meter Länge, Lagerhalle für die Marschkörper. Dort wollen wir die Ausstellung zu diesem Kapitel der Schlossgeschichte unterbringen."
    Regionales Kulturfestival um das Château de Bosmelet
    Zwei Katzensprünge vom Bunker entfernt steht eine filigrane kleine Brücke auf dem Rasen - ein zeitgenössisches Werk aus Taiwan. Im nächsten Sommer soll die Installation als Bühne für Performance-Vorstellungen dienen, erklärt Alice Schiller-Mallet. Die Organisatorin eines regionalen Kulturfestivals ist begeistert von der landschaftlichen Weite rund um das Château de Bosmelet.
    "Als Kind habe ich mit meinem Vater häufig die früheren Schlossbesitzer besucht. Nun entdecke ich den Ort neu. Und ich bin überaus angetan von den heutigen Hausherren. In unserer Gegend trifft man nur selten auf Schlossbesitzer mit solch offenem Geist. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten und Ideen, die an einem geschichtsträchtigen Ort wie diesem sonst kaum je umsetzbar sind."
    Nach dem Konzert in der Kapelle laden die Gastgeber zu einem Glas Cidre. Als Schlossherr angesprochen werden mag Alain Germain allerdings keineswegs.
    "Der Titel Schlossherr will doch nichts heißen. Ich möchte einfach nur Gäste empfangen und den Ort mit ihnen teilen. Ein Schloss ist nicht viel mehr als ein Haufen alter Steine. Um es zum Leben zu erwecken, braucht es Menschen und ein bisschen Kunst."