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Schluss mit Atomkraft

Siemens zieht sich aus dem Atomgeschäft zurück. Konzernchef Peter Löscher hat die Entscheidung als Antwort auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie dargestellt. "Aber in Wirklichkeit steckt etwas anderes dahinter", sagt Journalist Stefan Lina.

Stefan Lina im Gespräch mit Jule Reimer | 19.09.2011
    Jule Reimer: Fukushima gab dem atomaren Restrisiko ein Gesicht. So wird der Vorstandschef von Siemens, Peter Löscher, im "Spiegel" zitiert. Dort gab er gestern den Ausstieg des Konzerns aus der Atomenergie bekannt. Ich bin jetzt mit meinem Kollegen Stefan Lina verbunden, der die Entwicklung des Siemens-Konzerns seit Langem intensiv verfolgt. Herr Lina, Konzernchef Löscher hat die Entscheidung als Antwort seines Unternehmens auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie dargestellt. Ist das der Grund?

    Stefan Lina: Nun, so kann man es natürlich verkaufen und so muss man es verkaufen, wenn man das Ganze aus Siemens-Sicht sieht. Aber in Wirklichkeit steckt etwas anderes dahinter. Das ist nämlich die Folge auch von Managementfehlern. Siemens war über lange Jahre mit einem französischen Konzern, Areva, in einem Joint Venture verbunden, ist dann 2009 einseitig ausgestiegen und wollte sich einem russischen Partner zuwenden, und das sofort. Dagegen hat Areva geklagt, hat durchgesetzt, dass Siemens eine sehr hohe Schadenersatzzahlung leisten muss und bis 2013 Areva keine Konkurrenz machen darf. Das heißt, die Hinwendung an die russische Seite wäre ohnehin hinfällig gewesen. Siemens blieb eigentlich gar nichts anderes übrig, als jetzt auszusteigen.

    Reimer: Das heißt, bis 2013 sollte sich der Konzern auch nicht in Atomgeschäften tummeln?

    Lina: Ganz genau, und damit wäre natürlich ein Atom-Joint-Venture mit der russischen Seite witzlos gewesen, wenn man es mal flapsig sagt, denn die Russen waren ja vor allem daran interessiert, an westliches Atom-Kraftwerks-Know-how zu kommen. Die russische Seite hat einen riesigen Auftragsbestand, in vielen Ländern stehen russische Kernkraftwerke, die modernisiert werden müssen, die vielleicht auch neu gebaut werden sollen, und die Russen hatten gehofft, sich Siemens an Bord zu holen, um dann Kernkraftwerke made in Germany mehr oder weniger verkaufen zu können, und das ist jetzt weggebrochen, diese Geschäftsgrundlage.

    Reimer: Es war die Rede davon, dass sich der Konzern aus der Gesamtverantwortung des Atomkraftwerk-Geschäfts zurückzieht. Gesamtverantwortung, heißt das denn, Teile kann Siemens weiter liefern?

    Lina: Ja, denn man muss sehen: ein Atomkraftwerk besteht aus verschiedenen Teilen, wenn man es jetzt mal ganz laienhaft sagt. Da gibt es den nuklearen Kern, in dem Hitze erzeugt wird. Diese Hitze wird dann genutzt, um ein anderes Medium, zum Beispiel Wasser, zum Verdampfen zu bringen, und dieser Dampf, der treibt unter Hochdruck Turbinen an. Das funktioniert in konventionellen Kraftwerken ähnlich, und diese Turbinen sind auch ähnlich. Das heißt, man könnte jetzt auch weiterhin – und das hat Siemens auch vor – solche Turbinen verkaufen an Hersteller von Kernkraftwerken. Das heißt, man ist nicht mehr im atomaren Kern drin, aber dann in der weiteren Energieerzeugung.

    Reimer: Lässt sich denn noch anders Geld im Atombereich verdienen, ohne dass es so auffällt?

    Lina: Ja, zum Beispiel in der Wartung von Kraftwerken, denn wie gesagt, alles was über den reinen atomaren Kern hinausgeht, muss auch gewartet werden, und solche Turbinenanlagen, die sind riesig. Das sind hausgroße Einrichtungen, die müssen regelmäßig gewartet werden, auch die Hochspannungsleitungen oder die Höchstspannungsleitungen. Also dieser ganze Service um ein Kraftwerk, der bleibt natürlich erhalten, und das sind alles sehr lukrative Geschäfte, die man auch weiterhin erledigen könnte.

    Reimer: Wäre denn ein Wiedereinstieg von Siemens ins Atomkraft-Energiegeschäft nach 2013 wieder denkbar?

    Lina: Es wäre natürlich möglich, allerdings mit sehr hohem Aufwand, denn man müsste jetzt das ganze Know-how, an dem man natürlich nicht arbeitet, wenn man kein Geschäft hat, wieder aufholen und es wäre natürlich auch ein Gesichtsverlust für ein Unternehmen, das sagt, wir steigen jetzt aus, wir haben verstanden. Eine solche Trendwende wäre wahrscheinlich gegenüber der Öffentlichkeit und den kritischen Aktionären des Unternehmens sehr, sehr schwer zu verkaufen.

    Reimer: Hintergründe und Motive des Atomausstiegs von Siemens. Schönen Dank an meinen Kollegen Stefan Lina.

    Lina: Bitte sehr.