Donnerstag, 28. März 2024

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Schmähplakate im Fußball
"Den Ausdruck Hurensohn höre ich nicht nur im Stadion"

In der Diskussion über Beleidigungen gegen den TSG Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp betonte der Journalist Christoph Ruf, dass Diaolg der einzige Weg sei. Fans könnten nicht erwarten, dass sie ernst genommen würden, "wenn sie mit Ausdrücken wie Hurensohn operieren oder dieser Fadenkreuz-Optik".

Christoph Ruf im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.03.2020
Ein Bierbecher liegt auf dem Spielfeld.
"Die Fans verstehen nicht, warum jetzt ausgerechnet Fußballkurven ein Bereich sein sollen, wo keine Schimpfworte je artikuliert werden", erklärte der Journalist Christoph Ruf im Dlf (imago sportfotodienst)
Als "letztes Lagerfeuer der Gesellschaft" bezeichnet DFB-Präsident Fritz Keller den Fußball, weil sich hier alle treffen würden. Aber an diesem Lagerfeuer ist es oft alles andere als gemütlich. Hassparolen in den Stadien und offener Rassismus sind lange schon bekannt und Hass tritt in den Stadien in ganz unterschiedlicher Form auf. Der im Moment viel diskutierte Fall: Schmähplakate und Beleidigungen gegen Dietmar Hopp, Mäzen von TSG Hoffenheim.
Beim Liga-Sieg des FC Bayern gegen Hoffenheim hatte das spektakuläre Folgen. Zwei Unterbrechungen des Spiels und auch als das nichts half, solidarisierten sich auch noch die Spieler und rollten die letzten 13 Minuten lang den Ball nur noch belanglos hin und her. Die Geste des Protests gegen das Auftreten einiger Fans, sie war klar und deutlich. Unter diesen Vorzeichen wurde dem gestrigen DFB-Pokalabend beim FC Schalke 04 besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Kommentar: Der DFB sendet ein katastrophales Zeichen
Das konsequente Durchgreifen des DFB in Zusammenhang mit den Schmähplakaten gegen Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp ist sehr verwunderlich, kommentiert Klaas Reese. Eine derartige Konsequenz hat der Verband bislang etwa bei Rassismus und Sexismus vermissen lassen.
Hopp stehe nicht nur für die Ultras, sondern weite Teile der Fan-Szene für ein komplettes Gegenmodell zu dem Fußball, der ihnen vorschwebe, sagte Christoph Ruf, Autor des Buches "Kurven-Rebellen: Die Ultras – Einblicke in eine widersprüchliche Szene". Die Ausdrucksweise mit der sich über den Mäzen geäußert worden sei, sei aber "weder gut noch strategisch gut".

Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Warum immer wieder dieser Hass in den Stadien?
Christoph Ruf: Ich weiß gar nicht, ob der immer wieder da ist. Er ist jetzt mal festgemacht worden an diesem Ausdruck "Hurensohn", wobei ich den jetzt, ehrlich gesagt, nicht nur im Stadion höre, sondern auch auf Schulhöfen und in Fußgängerzonen, was es nicht besser macht. Aber ich glaube, der eine oder andere Ultra hat sich auch gewundert, dass die Aufregung jetzt gerade sich so an diesem Wort hochgezogen hat, dass aber eigentlich nie berücksichtigt wird, was Ultras auch alles an Positivem machen. Zum Beispiel – Sie haben das ja in dem Anspieler erwähnt – das Thema Rassismus. Wenn der heute als offen geäußerte, skandierte Parolen in der ersten und zweiten Liga gar keine Rolle mehr spielt, dann liegt das nicht zuletzt an den Ultras, die eigentlich dafür gesorgt haben, dass das tabuisiert wird.
Kaess: Aber dennoch gibt es offenbar genügend, die ausscheren. Das ist ja jetzt kein Einzelfall, was bei diesen letzten Spielen passiert ist. Darüber hinaus geht es auch immer wieder um rassistische Beleidigungen. Und jetzt auch diese Beleidigung als Hurensohn, wie Sie es angesprochen haben, und das Gesicht von Hopp im Fadenkreuz zu zeigen, das finden Sie alles nicht so schlimm?
Ruf: Nee, nee! Um Gottes willen! Ich finde weder die Ausdrucksweise gut, noch halte ich das für strategisch gut. Wenn man ein Ansinnen hat wie zum Beispiel den DFB zu kritisieren oder dessen vermeintliche Doppelmoral, oder sich gegen die Kollektivstrafen auszusprechen, dann muss man das schon so machen, dass die Leute die Chance haben, das Ansinnen zu begreifen und nicht völlig zurecht zurückzucken, weil sie von diesem Ausdruck und natürlich dieser unfassbaren Optik, einen Menschen ins Fadenkreuz zu nehmen, völlig zurecht zurückgestoßen sind. Um Gottes willen! Da habe ich überhaupt gar kein Verständnis für.
"Es geht da um Chancengleichheit und um Wettbewerbsgleichheit"
Kaess: Meine Frage war, Herr Ruf, woher kommt dieser Hass. Gerade wenn wir jetzt mal bei dieser Figur Dietmar Hopp bleiben, Mitbegründer von SAP, der ja mit seinem Geld für Sport und wohltätige Zwecke sehr viel tut. Warum sehen die Fans das nicht, sondern sehen ihn ganz anders?
Ruf: Dietmar Hopp steht für nicht nur die Ultras, sondern weite Teile der Fan-Szene für ein komplettes Gegenmodell zu dem Fußball, der ihnen vorschwebt. Es geht da um Chancengleichheit und um Wettbewerbsgleichheit. Es ist ja heute so, dass eigentlich bei den meisten Spielen schon mehr oder weniger feststeht, wer gewinnt. Wenn Bayern München gegen Mainz spielt ist eigentlich klar, wer gewinnt am Ende, und wenn Hoffenheim mit dem riesen Geld, was sie von Dietmar Hopp hatten, von der vierten Liga als Dorfklub mit 3.000 Einwohnern in die erste Liga durchmarschiert, dann ist das nicht der Fußball, der vielen Menschen vorschwebt. Da wird Dietmar Hopp, der privat sehr viel Gutes tut und auch sicherlich nicht der böse Kapitalist ist, als der er dargestellt wird, als Symbol für eine Entwicklung dargestellt, die die ablehnen. Hinzu kommen diese Kollektivstrafen. Da hat Hopp auch nicht so besonders clever reagiert, als er die Leute dann wegen dieses Wortes vor Gericht gezerrt hat und dafür gesorgt hat, dass jetzt jeder Dortmund-Fan, auch die, die gar nichts machen, nicht mehr ins Stadion darf.
Kaess: Und warum muss diese Abneigung gegen Hopp so formuliert werden? Was sind das für Menschen? Was sagen die Ihnen? Sie haben sich in Ihrem Buch mit sehr vielen unterhalten. Warum kommt es zu solchen extremen Zuspitzungen, zu solchen Grenzüberschreitungen?
Ruf: Erst mal war das ein Transparent, was nur die Dortmunder aufgehängt haben. Die Münchener haben sich dann damit solidarisiert in ihrer Erklärung, aber auch gleich geschrieben, dass das eine Solidarisierung mit Dortmund ist, nicht ihre eigene Wortwahl. Das kann kein Mensch verstehen, das ist viel zu kompliziert. Ansonsten waren die meisten Proteste ja ohne dieses Wort und privat drücken die sich auch anders aus. Viele argumentieren so, das halte ich für einen Fehler, dass sie sagen, wenn wir friedlich demonstrieren oder ohne diese brachiale Rhetorik, dann hört keiner auf uns, auch wenn wir die Mehrheit im Stadion hinter uns haben, also müssen wir über die Medien gehen und maximalen Eklat provozieren. Aber wie gesagt, das halte ich für eine falsche Logik.
Kaess: Sie sagen, das ist eine falsche Logik. Aber sehen Sie da auf Seiten der Fans auch irgendwelche Einsichten, wenn wir jetzt mal die Reaktionen der letzten Tage anschauen? Ich zitiere mal eine von einer Münchener Fan-Gruppe. Die warnen schon, wenn der DFB sich nun zum Ziel setzt, dass Kurven sauber sein müssen und vom DFB reguliert werden können, dann wird das Widerstand hervorrufen.
Ruf: Ja. Damit ist gemeint, dass die Fans nicht verstehen, warum jetzt ausgerechnet Fußballkurven ein Bereich sein sollen, wo keine Schimpfworte je artikuliert werden. Es ist ja nicht so, dass die Münchener ständig vor sich hinfluchen würden. Die haben nur Angst, dass jetzt ausgerechnet der Fußball zu einem Bereich werden soll, der cleaner wird als jede Fußgängerzone und jeder Schulhof. Wie gesagt, das Wort Hurensohn habe ich auch schon mal gehört. Wenn man darauf jedes Mal mit Spielabbrüchen reagiert, dann wird, glaube ich, kein Fußballspiel mehr zu Ende gezeigt werden und dann wird aber auch kein Klassenausflug mehr stattfinden können. Ich rate da dringend ein bisschen zur Deeskalation. Ich verstehe jetzt allerdings auch die DFB-O-Töne so, dass ihnen das jetzt mittlerweile auch klar ist, und die Fans haben gestern, finde ich, deeskaliert. Ich war zeitgleich in Saarbrücken bei dem anderen Viertelfinale. Da haben die Fans ganz normal sachlich darauf hingewiesen, dass DFB und Bayern gute Geschäfte mit Katar machen, kein Problem haben mit den Menschenrechtsverletzungen und mit den Toten da und sich jetzt über dieses Wort und über diese zugegebenermaßen völlig falsche Optik mit dem Fadenkreuz aufregen, aber ohne jede Beleidigung haben sie das gemacht. Das ist legitim.
"Der einzige Weg, weil man auch so die Fans in die Pflicht nimmt"
Kaess: Reden wir noch über die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden sollen. Der DFB, haben wir gerade gehört in dem Vorsetzer zu unserem Gespräch, will auf Dialog mit den Fans setzen und klären, wo hört die Kritik auf und wo fängt die Diffamierung an. Was wird das bringen?
Ruf: Das ist der einzige Weg, weil man auch so die Fans in die Pflicht nimmt, das für sich auch mal zu definieren. Die Fans können nicht erwarten, wenn sie mit Ausdrücken wie Hurensohn operieren oder dieser Fadenkreuz-Optik, dass man sie dann ernst nimmt, und ich hoffe, dass der DFB, der offensichtlich begriffen hat, dass der Weg der Kollektivstrafen der falsche ist, da dann auch das kommuniziert, dass sie da zurückrudern, und dass man dann wieder an den Tisch kommt und dass sich dann auf beiden Seiten die vernünftigen Leute durchsetzen und nicht die Hardliner. Die gibt es nämlich auf beiden Seiten.
Kaess: Aber, Herr Ruf, müssen diese, ich nenne sie mal, Störenfriede – man könnte sie auch anders nennen -, müssen die nicht doch härter in die Pflicht genommen werden? DFB-Präsident Fritz Keller nimmt da auch die Vereine ein bisschen mehr an die Leine und sagt, die kennen diese Leute, die solche Aktionen machen, die müssten eigentlich aktiver gegen diese radikalen Fans vorgehen, auch zum Beispiel, wenn es um die Vergabe von Tickets geht. Wäre das nicht auch ein effizienter Weg?
Ruf: Na ja, das ist immer ein Reflex zu sagen, härter vorgehen. Da ist ja jeder dafür, ich auch. Es ist nur schon so, dass hart vorgegangen wird gegen die Leute. Wenn jemand erwischt wird, der dieses Transparent, was mit einer Beleidigungsklage behaftet ist, hochhält – und er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erwischt, weil die Kameras in der Kurve sind so hoch auflösend, dass sie erkennen können, welche Zigarettenmarke derjenige raucht -, dann fliegt er raus aus dem Stadion und kriegt auch ein sehr langes Stadionverbot. Das passiert schon lange.
Kaess: Aber unterbunden hat es das ja nicht und auch nicht dieser Drei-Stufen-Plan gegen Hass mit Spiel unterbrechen und so weiter. Gefruchtet hat das ja dennoch nicht.
Ruf: Na ja, aber das ist ja klar. Sie können ja jemanden nicht vorher aus dem Stadion rausschmeißen, bevor er das Transparent hisst. Wenn er es danach getan hat, können Sie dafür sorgen, dass er es zumindest nicht mehr macht.
Kaess: Sie glauben, Dialog ist der einzige Weg, um da etwas zu tun?
Ruf: Ja, weil ich finde, die Strafen, die für die, die erwischt werden, ausgesprochen werden, sind schon hart genug. Die sind weitaus härter als in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Kaess: Das lassen wir an der Stelle mal so dahingestellt. – Es gibt auch die Hinweise, dass Beleidigung, Rassismus, Diskriminierung schon auf dem Fußballplatz, nämlich bei den Amateurspielen beginnt und nicht bei den Profis. Was muss daraus folgen?
Ruf: Absolut richtig. Da finde ich auch ist das Bewusstsein noch nicht ausgeprägt. Ich merke das als Journalist oft, dass ich hinterherrecherchiere, wenn ich höre, ein syrischer oder afrikanischer Spieler hat eine rote Karte bekommen. Dann stellt sich raus, er wurde doch vorher vier-, fünfmal rassistisch beleidigt und provoziert, und beide Trainer sagen danach, na ja, das ist ja normal, gehört zum Fußball dazu. Ist es eben nicht! Das würde ich mir dann erhoffen, dass da das Bewusstsein in den Landesverbänden, sprich beim DFB dann auch weiter ausgeprägt wird, und das gilt natürlich auch für die Fan-Szenen, wobei noch mal in der ersten und zweiten Liga – das sagt auch der DFB – sind laut skandierte Parolen kein Thema mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.