Nur wer im Literaturbetrieb mitmacht – vor allem: zum Mitmachen zugelassen wird –, kann sich in dessen Bezugssystem verorten; Kempowski gehörte nie dazu. Das ist kein Makel, sondern ein Zeichen der Besonderheit, die von den Gegnern freilich stets als absonderlich denunziert wurde. Literaturkurse für Hobbyautoren im heimischen Nartum, reformpädagische Ambitionen bis ins letzte Fingerglied, zwanghafter Sammeltrieb fremder Autobiographien, Literatur als Zweig der Oral History – all das keine Themen, mit denen man die Anerkennung statusbewusster Kritiker und Hochschulgermanisten erwirbt. Genau das verweist auf die persönliche Tragik Kempowskis, der die Wiedergutmachung des Bautzener Unrechts weniger von der Politik als von einer anonymen Öffentlichkeit erwartete. Wie beim zwei Jahre jüngeren Rolf Hochhut wuchs mit jedem Verriss die verzweifelte Sehnsucht, doch noch eines Tages die Aufmerksamkeitsgipfel von Grass, Walser, Enzensberger zu erklimmen und als öffentliche Stimme nicht nur wahr-, sondern auch ernstgenommen zu werden. Das verleitete Kempowski zu einem Selbstmarketing, das einer planmäßigen Selbstbeschädigung gleicht. Er kann wohl nicht anders, nennt es selbst "seine Macken" und lebt sie weiterhin aus, wie kürzlich, als er Kanzler Schröder dessen vier Ehen vorhielt und dem Politiker die Kempowskische Monogamie als vorbildlich pries. Wer wollte das schon wissen?
Dieses faszinierende Spannungsfeld zwischen einem manischem Kommunikator und seinen gleichzeitig verunglückten Pirouetten in der Öffentlichkeit spart der diskrete Biograph Hempel fast völlig aus. Seine gesellschaftlichen Analysen sind nicht falsch, erklären aber bloß die Hälfte. Kempowski ist eben keiner, der lediglich auf Anfeindungen reagierte, sondern ein Querkopf, Eigenbrötler, Prediger in eigener Mission, dem anzuecken in die Wiege gelegt wurde. Die gesellschaftlichen Ursachen dürften dabei weitaus geringer zu veranschlagen sein als Kempowskis sperrige Persönlichkeit. Wer sie umfassender kennen lernen will, muss neben der gefälligen Biographie mindestens die beiden Tagebücher "Sirius" und "Alkor" lesen, die zusammengefasst den Titel "Egolot" verdient hätten. Irgendwann begreift man dann, dass all diese narzisstischen Präliminarien nötig waren, um das vom Autoren-Ich befreite Jahrhundertwerk "Echolot" kompilieren zu können. Dafür gebührt Walter Kempowski der Dank seiner Nachgeborenen. Eines Tages wird eine Biographie erscheinen, die frei von den vergänglichen Themen Eitelkeit und Verkennung den wahren Nerv des Œvres herauspräpariert: Geschichtsversessenheit.
Dirk Hempel
Walter Kempowski
btb, 302 S., EUR 9,50