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Schmidt: Organspender müssen sich bewusst entscheiden

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat Werbekampagnen für mehr Organspenden angeregt. Ziel sei es, Ängste zu überwinden, sagte die SPD-Politikerin. Dabei müsse jedoch das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen respektiert werden. Eine Regelung, nach der Organe entnommen werden dürfen, wenn kein Widerspruch vorliegt, sei nicht der richtige Weg.

Moderation: Silvia Engels | 01.06.2007
    Silvia Engels: In Berlin berät zurzeit die Deutsche Stiftung Organtransplantation über Fragen rund um die Organübertragung. Demnach ist die Zahl der transplantierten Körperorgane im Jahr 2006 auf rund 4000 gestiegen. Doch nach wie vor sterben jeden Tag in Deutschland drei Personen, für die nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden wurde. Kritiker machen dafür unter anderem das deutsche Transplantationsrecht verantwortlich.

    Vor der Deutschen Stiftung Organtransplantation wird heute die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt eine Rede halten. Sie ist nun am Telefon. Guten Morgen, Frau Schmidt!

    Ulla Schmidt: Guten Morgen!

    Engels: Brauchen wir eine Novellierung des Transplantationsgesetzes in dem Sinne, wie der Ethikrat es vorgeschlagen hat?

    Schmidt: Ich verstehe die Motive des Ethikrates, der ja auch sich Sorgen darum macht, dass in Deutschland viele Menschen sterben, bloß weil kein passendes Organ zur Verfügung steht. Ich glaube aber, dass unser Gesetz und unsere Regelung der erweiterten Zustimmungslösung schon sehr weit gefasst ist und dass sie auch besser bewertet, dass der Mensch selbst entscheiden muss, dass er selber ja sagen muss. Wenn sie nur nein sagen müssen, dann werden viele, die sich nicht mit dem Tabuthema Tod befassen wollen, werden vielleicht zur Organspende herangezogen, obwohl sie es gar nicht wirklich wollen. Ich glaube, dass wir mehr werben müssen, noch mehr als bisher, die Bereitschaft der Menschen wecken. Wir müssen stärker auch auf die Angehörigen zugehen, wenn Menschen gestorben sind, ob ihre Angehörigen auch bereit waren, Organe zu spenden. Dann kann man auch damit die Spendenbereitschaft erhöhen. Das zeigt das Land Mecklenburg-Vorpommern. Es hat umgerechnet in etwa gleiche Zahlen wie zum Beispiel in Österreich mit der Widerspruchslösung, weil es dort intensive Arbeit auch mit den Angehörigen gibt.

    Engels: Dagegen sprechen aber andere Zahlen. Das aktuelle Eurobarometer hat ermittelt, dass nur 46 Prozent der Bundesbürger bereit seien, nach ihrem Tod ein Organ zu spenden. Das ist Platz 21 unter 25 befragten EU-Staaten.

    Schmidt: Ja, aber sie können das nicht damit umgehen, dass sie sagen, wenn die nicht bereit sind, dann sagen wir, wenn du nicht nein sagst, dann bist du bereit. Das hat immer etwas damit zu tun, wie will ich eigentlich auch das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen mit einbeziehen? Wenn der Körper mir gehört und wenn ich selber auch darüber entscheiden kann, was mit mir passiert, auch nach unserer Rechtsordnung, nach unseren Grundwerten, dann muss ich die Bereitschaft wecken. Ich muss mit Menschen darüber reden, und das tue ich überall, wo ich kann, zu sagen, was ist, wenn du selber krank wirst, wenn in deiner Familie jemand ist? Möchtest du dann, dass auch eine Organtransplantation vorgenommen wird? Und wenn du das möchtest, musst du auch bereit sein zu sagen, auch meine eigenen Organe stelle ich zur Verfügung nach meinem Ableben.

    Wir müssen Ängste überwinden bei den Menschen. Aber ich muss einen Weg finden, dass die Menschen ja sagen zur Organtransplantation. Es gibt diese Probleme, wir haben gestern im europäischen Ministerrat darüber geredet, es gibt diese Probleme in vielen, vielen europäischen Ländern unterschiedlich ausgeprägt, aber wir wollen auch in Europa mehr Werbekampagnen machen, mehr die Menschen bewegen, ja zur Organtransplantation zu sagen. Da, wo es hakt, da bin ich dafür zu untersuchen, wo hakt es bei uns? Wo laufen in den Krankenhäusern vielleicht die Gespräche nicht so, dass Hemmungen da sind, wenn jemand gestorben ist auch Angehörige anzusprechen, weil das Leid, das der Einzelne hat, dazwischen steht. Diese Dinge zu lösen, dann, glaube ich, können wir die Spendenbereitschaft auch erhöhen. Das zeigt auch in den letzten Jahren, da, wo die Deutsche Stiftung für Organtransplantation sehr enge Kontakte hat in die Krankenhäuser hinein, da haben wir auch einen Zuwachs.

    Engels: Aber da hagelt es gerade Kritik. Die ständige Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer kritisierte zuletzt, der Mangel an Spenderorganen liege auch vor allem an der fehlenden Bereitschaft der Krankenhäuser, mögliche Spender auch zu melden. Die Krankenhäuser wiesen das zurück. Haben Sie denn Anhaltspunkte, dass hier Nachbesserungsbedarf besteht?

    Schmidt: Es sind unterschiedliche. Ich glaube, man kann nicht einfach sagen die fehlende Bereitschaft der Krankenhäuser, sondern ich habe auch eine ganze Reihe Gespräche geführt. Die Situation des Todes und dass ein Angehöriger stirbt und das Leid der Angehörigen, das ist immer auch für Ärzte oder für die, die im Gesundheitswesen sind, eine ganz schwierige Situation, weil man auch Blockaden hat oder Hemmungen hat, jetzt anzusprechen. Oder im Grunde genommen: Man weiß jemand stirbt und jetzt anzusprechen, was wäre denn, wenn, weil: Wir brauchen ja den Hirntod und man muss ja sehr schnell auch handeln können, da neue Möglichkeiten zu finden. Ich setze zum Beispiel darauf, wenn wir die elektronische Gesundheitskarte haben, dass Menschen direkt gefragt werden, soll darauf vermerkt werden, dass sie Organspender sind oder nicht, dass wir damit auch die Spendenbereitschaft erhöhen können, denn es gibt Umfragen. Es gibt die, die Sie genannt haben. Es gibt andere, die wir auch in Europa haben, dass mehr als 80 Prozent der Menschen potenziell bereit wären und es nur 12 Prozent wirklich tun. Diese Spanne zu schließen, das glaube ich, muss die Aufgabe sein. Da helfen nicht einfach andere Gesetze, sondern da hilft nur zu sagen, Organe zu spenden und bereit zu sein, das kann Leben retten. Und denke daran: auch du oder deine Angehörigen, ihr alle wärt vielleicht einmal froh, wenn ein Organ zur Verfügung steht. Deshalb lasst uns diesen Weg gehen.

    Engels: Heute Abend strahlt das niederländische Fernsehen eine Show aus, in der eine sterbenskranke Patientin darüber entscheidet, wer unter drei Bewerbern eine ihrer Nieren erhalten soll. Nach deutschem Recht wäre das unmöglich. Die Show hat bereits im Vorfeld Kritik ausgelöst. Sie selbst haben sie kritisiert. Doch die Veranstalter wenden ein: So, auch wenn es geschmacklos scheint, erhält das Thema eine breite Öffentlichkeit.

    Schmidt: Ich finde, das ist ein zu hoher Preis dafür. Hier wird mit der Würde von kranken Menschen gespielt. Was sollen eigentlich die beiden denken, die das Organ nicht bekommen, weil sie in einem Wettbewerb, in einer Show im Grunde genommen nicht haben überzeugen können? Hier geht es um Geldmacherei und nicht um Werbung für Organtransplantation. Wenn man für Organtransplantation werben kann, kann eine Fernsehshow auch bringen, wie Menschen gerettet wurden, wie sie nachher leben können, was ihnen Hilfe gegeben hat, wenn andere bereit waren zu werben. Das, was da passiert, halte ich nicht nur für makaber; das ist gegen die Menschenwürde, und ich sage, es hat nichts zu tun mit den Grundwerten, auf denen wir eigentlich in Europa auch unsere Arbeit basieren wollen.

    Engels: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Schmidt: Bitte schön.