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Schockenhoff: Es geht um mehr als um französische Präsidentschaftswahlen

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy habe Deutschland zum wirtschaftspolitischen Vorbild erklärt und verlange seinem Land nun eine klare Richtungsentscheidung ab, sagt Andreas Schockenhoff, Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Anne Raith | 16.02.2012
    Anne Raith: Der französische Präsident hat offiziell seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit bekannt gegeben. Und diese Kandidatur und der damit verbundene offizielle Einstieg in den Wahlkampf sind mehr als eine nur innerfranzösische Angelegenheit. Welche Auswirkungen die gestrige Ankündigung auf das deutsch-französische Verhältnis hat vor allem mit Blick auf die gemeinsame Handlungsfähigkeit in der griechischen Schuldenkrise, das wollen wir in den kommenden Minuten besprechen mit dem CDU-Politiker Andreas Schockenhoff. Er ist Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Einen schönen guten Morgen!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Herr Schockenhoff, 66 Tage hat Sarkozy Zeit, die französischen Wähler für sich zu überzeugen. Was kommt da wohl auf die Kanzlerin zu, wie wird sich der Präsident vom Kandidaten unterscheiden?

    Schockenhoff: Der Kandidat hat eindeutig Deutschland als Vorbild gesetzt schon im Vorfeld. Ein starkes Frankreich, das heißt indirekt: Frankreich kann in den nächsten Jahren - für Sarkozy - entweder den Weg gehen, den Deutschland in den letzten zehn Jahren gegangen ist, zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, höherer Produktivität, Wachstum, weniger Arbeitslosigkeit; oder aber Frankreich geht den Weg, den Italien genommen hat, in die Verschuldung, in eine wirtschaftliche negative Position. Und deswegen hat er eine klare, mutige Entscheidung getroffen. Und der Wahlkampf wird zeigen, dass es eben nicht nur um eine innerfranzösische Richtungsentscheidung geht, sondern dass damit wesentlich auch entschieden wird, wie die beiden größten Volkswirtschaften, nämlich Deutschland und Frankreich, sich künftig gegen die Krise des Euro und für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit aufstellen werden.

    Raith: Aber demonstrativ zu Deutschland bekannt hat er sich vor seiner Kandidatur, hat dann merken müssen, so gut gefällt das dem Wähler gar nicht. Haben Sie nicht Angst, dass das jetzt kippt?

    Schockenhoff: Es war eine mutige Entscheidung und deswegen hat er das vor den Wahlen gemacht, um klarzumachen, um was es geht. Es geht nicht um Deutschland als Modell, sondern Deutschland ist sozusagen die Projektionsfläche. 2003 hat Gerhard Schröder mit einer Reform der Arbeitsmarktgesetze, mit den Hartz-Gesetzen begonnen. Das wurde in der Großen Koalition und jetzt in der christlich-liberalen Koalition fortgesetzt und Sarkozy sagt den Franzosen: Wollt ihr, dass das Pendel zurückschlägt, dass wir jetzt wieder mit den alten Rezepten, die François Hollande vorgestellt hat - nämlich mehr staatliche Konjunkturprogramme, mehr schuldenfinanzierte Investitionen - gegen die Krise ankämpfen, um dann irgendwann dort rauszukommen, wo andere Volkswirtschaften in Europa heute stehen? Oder wollen wir langfristig ein starkes Frankreich? Also geht es nicht um Deutschland, sondern es geht darum, welche Politik langfristig auch den eigenen Anspruch Frankreichs unterstreicht.

    Raith: Sie sagen jetzt, es geht um ein starkes Frankreich. Das ist auch der Wahlslogan, den Sarkozy ausgerufen hat, und nicht ein starkes Deutschland?

    Schockenhoff: Sarkozy wurde im ersten Jahr seiner Präsidentschaft von der Finanzkrise erfasst. Nach der Pleite von Lehman Brothers. Dann kam die Wirtschaftskrise und jetzt geht es um die Rettung des Euros. Das hat seine erste Amtszeit geprägt und er hat gesagt, ich habe die Entscheidung getroffen, mit der Schuldenbremse, mit der Erhöhung des Rentenalters, mit der Rücknahme der 35-Stunden-Woche, für klare Strukturreformen. Nun müssen wir entscheiden, ob wir auf diesem Weg weitergehen, so Sarkozy, oder ob wir das Pendel zurückschlagen lassen.

    Raith: Das waren alles sehr unpopuläre Entscheidungen. Gerade die Rente 62 hat für große Proteste gesorgt.

    Schockenhoff: Ja, und deswegen sagt er, schaut her, in Deutschland haben eben drei verschiedene Regierungen - eine rot-grüne Regierung, eine Große Koalition und eine christlich-liberale Regierung - mit einem relativen Grundkonsens in die gleiche Richtung gearbeitet. Und deshalb ist Deutschland heute wesentlich erfolgreicher, hat über drei Prozent Wachstum und Frankreich weniger als ein Prozent. Also müsst ihr euch entscheiden, ob ihr die Medizin schluckt, um dann hinterher wirklich stärker zu sein, oder ob ihr glaubt, mit alten Methoden zurückzufallen. Es ist neu in der französischen Politik, dass Sarkozy seinem Land eine so klare Richtungsentscheidung abverlangt.

    Raith: Aber diese so klare Richtungsentscheidung scheint sich schon abzuzeichnen in dem Sinne, dass François Hollande, also der Kandidat der Sozialisten, weit, weit vor Sarkozy liegt.

    Schockenhoff: Er hat einen großen Vorsprung, aber in Frankreich gibt es zwei Wahlgänge. Und im ersten Wahlgang wird oft auch die alte Regierung abgestraft, gibt es Proteststimmen, während im zweiten Wahlgang dann doch eher nach vorne gewandt die Franzosen sich die Frage stellen, welche Politik wollen wir in den nächsten Jahren? Hollande hat eine deutlich linke Politik angekündigt. Er muss die Stimmen der Kommunisten, der Grünen gewinnen, um diesen Vorsprung zu halten. Deshalb wird es eben nicht wie in Deutschland in den Fragen der Arbeitsmarktreformen einen Grundkonsens geben - übrigens bei uns auch zwischen den Sozialpartnern, Arbeitgeber und Gewerkschaften -, sondern es wird eine klare, konfrontative Entscheidung geben zwischen einer eher neuen, stabilitätsorientierten, wettbewerbsorientierten Politik, oder zwischen den alten Methoden, mit staatlichen Programmen Konsum anzustoßen.

    Raith: Hollande, sagen Sie, ist auf der Suche nach den Stimmen am linkeren Rand. Jetzt rät man Sarkozy, gerade den rechten Rand für sich auszunutzen, eben die Stimmen vom Front National abzugreifen. Ist mit ihm in diesem Sinne dann noch Politik zu machen, gerade Europapolitik?

    Schockenhoff: Selbstverständlich. Denn was jetzt gesagt wird, wird hinterher nicht die Politik einer neuen Regierung sein, das gilt auch für Hollande. Aber die Signale in die Märkte ... Hollande hat angekündigt, er werde den Fiskalpakt zur Stärkung des Euro vom letzten Dezember nicht ratifizieren, er wolle ihn neu verhandeln. Er will alle Maßnahmen zur Eurorettung einschließlich der Schuldenbremse wieder neu zur Disposition stellen.

    Raith: Sarkozy wiederum will das Volk befragen lassen, hat er jetzt angekündigt.

    Schockenhoff: Ja, er will damit natürlich indirekt schon die Präsidentschaftswahl zu einem Plebiszit über seine Politik machen. Also, er sagt, es geht jetzt hier nicht darum, wer das schöner macht, wer das schöner formuliert, sondern es geht um eine wirkliche Grundsatzentscheidung, welchen Weg, welche Politik Frankreich künftig einnimmt. Und das hat eben nicht nur Auswirkungen auf Frankreich, sondern damit wird entschieden, welche Glaubwürdigkeit eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsfiskalpolitik die Europäer im Euroraum machen. Deswegen geht es um weit mehr als französische Präsidentschaftswahlen.

    Raith: Aber ist es legitim, dafür auch am rechten Rand zu graben sozusagen?

    Schockenhoff: Wenn die Frage der Einwanderung problematisiert wird, ist es in der Tat nicht rechts oder links, wie er vorher gesagt hat. Bei uns in Deutschland hat gerade die Linke die Frage der ausländischen Arbeitnehmer thematisiert. Es wird versucht, das ganze Spektrum abzugreifen. Die Frage der Immigration: Wir brauchen in Europa künftig Arbeitsimmigration, aber die Frage, wie Menschen, die zu uns kommen, integriert werden, das ist in der Tat eine Frage, die die Gesellschaft lösen muss. Und deswegen ist es legitim, eine solche Frage auch zu thematisieren.

    Raith: Sagt der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff, er ist Vorsitzender der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

    Schockenhoff: Bitte schön, Frau Raith, guten Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.