Donnerstag, 25. April 2024

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Schockenhoff: EU muss Palästinensern Weg aus der Krise zeigen

Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff hält die Überwindung der ökonomischen Krise in den Palästinensergebieten für eine Voraussetzung zur Beilegung des Nahost-Konflikts. Hilfen der internationalen Gemeinschaft indes müssten an die Bedingung geknüpft bleiben, dass die Palästinenser die Existenz Israels anerkennen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion. "Im Moment sind wir in einer verfahrenen Situation, weil sich die Hamas keinen Schritt bewegt hat", sagte Schockenhoff.

Moderation: Bettina Klein | 19.12.2006
    Bettina Klein: Übergabe in Helsinki. Die Bundeskanzlerin übernimmt heute mit dem traditionellen Besuch beim Vorgängerland die EU-Ratspräsidentschaft, die für Deutschland am 1. Januar dann tatsächlich beginnt. Eines der Ziele, die Angela Merkel ausgegeben hat: diplomatischer Einsatz im Nahost-Konflikt, sprich Wiederbelebung des Nahost-Quartetts. Und Initiative tut Not dieser Tage, wie der neu entbrannte Machtkampf in den Palästinensergebieten zeigt.

    Über die Rolle, die die EU und die Deutschland spielen kann im Nahost-Konflikt, jetzt mehr im Gespräch mit Andreas Schockenhoff, Außenpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Die Europäische Union als Zukunftsmodell für den Nahen Osten. Diese Idee hat der Friedensforscher Johan Galtung vor wenigen Minuten hier in dieser Sendung wieder einmal ins Gespräch gebracht. Können Sie dieser Vision etwas abgewinnen?

    Schockenhoff: Das Verlockende an dieser Vision ist natürlich, dass die Europäische Union in erster Linie eine stabile Friedensordnung ist, aber die Voraussetzung dafür war nach dem furchtbaren Erleben von zwei Weltkriegen im letzten Jahrhundert, dass sich die europäischen Staaten erst mal gegenseitig anerkannt haben. Das ist nicht gegeben, weil die radikalislamistische Hamas das Existenzrecht Israels nicht anerkennt und auch andere Staaten in der Region, etwa Syrien oder auch der Iran, das nicht tun.

    Das Zweite: Um den Frieden herzustellen haben die europäischen Staaten ihre Wirtschaft miteinander verschränkt und sich so in eine gegenseitige ökonomische Abhängigkeit begeben, die einen Krieg untereinander unführbar machte. Das ist im Moment nicht gegeben. Im Gegenteil: Es gibt überhaupt keine ökonomische Zusammenarbeit, und das ist mit ein Grund für die Misere des Nahen Ostens.

    Klein: Johan Galtung war nicht ganz so pessimistisch wie Sie. Er könne sich sogar vorstellen, dass die Hamas irgendwann mal Israel allerdings in anderen Grenzen als bisher anerkennen würde. Für Sie ist dieses Modell also nicht einmal Zukunftsmusik?

    Schockenhoff: Das ist Spekulation. Im Moment sind wir in einer verfahrenen Situation, weil sich die Hamas keinen Schritt bewegt hat. Das ist ja der Grund für die jetzige Krise: Die EU hat gegenüber den Palästinensern ihre Hilfe an die Bedingung gebunden, erstens das Existenzrecht Israels anzuerkennen, zweitens der Gewalt abzuschwören und drittens die bisher erzielten Fortschritte im Friedensprozess anzuerkennen. Keine dieser drei Bedingungen hat die Hamas bisher erfüllt. Deswegen hat der Präsident Abbas, der der Fatah angehört, jetzt die Flucht nach vorn angetreten. Er fährt ein hohes Risiko mit den Neuwahlen, die er angesetzt hat.

    Klein: Das wäre meine nächste Frage an Sie gewesen. Wie hoch ist das Risiko von Wahlen, an denen die Hamas nicht teilnimmt, die von ihr möglicherweise auch boykottiert werden?

    Schockenhoff: Das Ziel muss sein, am Ende der Neuwahlen oder auch der Verhandlungen zwischen den beiden Gruppierungen Fatah und Hamas eine Regierung zu bekommen, die ein Partner ist, ein Verhandlungspartner für Israel, die mit Israel auf Dauer in Frieden leben will, also die friedliche Koexistenz von zwei Staaten anerkennt. Das hat die Hamas bisher überhaupt nicht zugestanden, aber die Fatah selbst hat bisher die große Unterstützung für den Prozess bei den Palästinensern gehabt. Sie hat diese Unterstützung verloren wegen Korruption, wegen Misswirtschaft. Und nach der Wahlniederlage im vergangenen Jahr gegen Abbas, oder zu Beginn dieses Jahres, hat sich die Fatah nicht reformiert. Kein einziger Minister oder kein einziger Politiker ist zurückgetreten, hat persönliche Verantwortung übernommen. Deswegen ist es für das palästinensische Volk keineswegs ersichtlich, ob sich heute eine geläuterte Fatah der Wahl stellen würde.

    Klein: Aber was bringen Neuwahlen an dieser Stelle jetzt?

    Schockenhoff: Neuwahlen bringen nur dann etwas, wenn die Wähler, das heißt die palästinensische Bevölkerung darin die Chance sieht, in besseren Lebensbedingungen leben zu können, das heißt die ökonomische Krise zu überwinden, die Sicherheitskrise zu überwinden, endlich einen friedlichen Aufbau eines eigenen Staates angehen zu können. Dazu gibt es bisher wenig Anzeichen. Deswegen muss die Europäische Union, wenn sie den Präsidenten Abbas unterstützen will, auch eine klare Perspektive für das palästinensische Volk in den nächsten Wochen aufzeigen.

    Klein: Wie könnte diese Perspektive aussehen?

    Schockenhoff: Ich glaube, dass die Europäische Union nur im Rahmen des Nahost-Quartettes handeln kann, also zusammen mit den Vereinten Nationen, den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Aber es muss eine klare wirtschaftliche Perspektive geben. Heute boykottiert der Westen die Hamas-Regierung, weil sie Israel nicht anerkennt. Es muss deutlich gemacht werden: Wenn es eine ernsthafte Bemühung gibt, sich mit Israel um Aussöhnung und Verständigung zu bemühen, dann werden wir auch die Wirtschaftssanktionen aufheben. Dann werden die Lebensbedingungen für die Menschen im palästinensischen Gebiet besser werden.

    Klein: Herr Schockenhoff, die Europäische Union hat den Gebieten den Geldhahn zugedreht, weil die Hamas der Gewalt nicht abschwört, weil sie Israel nicht weiter anerkennt. Aber diese Maßnahme hat aber auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht bisher.

    Schockenhoff: Die EU hat nicht den Geldhahn zugedreht, sie hat den Geldhahn gegenüber der Regierung zugedreht und finanziert zurzeit über einen Interimsmechanismus direkt etwa die Beamten, die staatlichen Bediensteten, die heute von der Regierung kein Gehalt bekommen, weil die Regierung zahlungsunfähig ist. Das heißt, humanitäre Hilfe wird durchaus geleistet, aber eine offizielle Zusammenarbeit kann es nur mit einer Regierung geben, die friedenswillig ist.

    Klein: Stichwort Wiederbelebung Nahost-Quartett. Wie schnell kann das wieder auferstehen?

    Schockenhoff: Ich glaube, das kommt auch darauf an, wie andere Akteure aus der Region selbst sich einbringen. Bislang haben etwa die Regierungen von Saudi-Arabien, von Jordanien oder Ägypten wenig getan, auf die Konfliktparteien Einfluss zu nehmen, denn die radikalislamistische Hamas ist aus der Muslimen-Brüderschaft hervorgegangen, und wenn die Hamas aufgewertet wird, befürchten diese Regierungen, dass die muslimischen Brüderschaften in ihren eigenen Ländern damit gestärkt werden. Ich glaube aber, dass wir nur von außen allein den Prozess nicht in Gang bringen können, sondern wir müssen auch etwa von der Arabischen Liga, von den Nachbarstaaten in der Region ein stärkeres Engagement einfordern.

    Klein: Herr Schockenhoff, ich habe jetzt nach der Rolle der Europäischen Union gefragt. Sie antworten damit, dass die Verantwortung eigentlich zu wesentlichen Teilen bei den arabischen Staaten liegt.

    Schockenhoff: Nein. Ich habe gesagt, dass die Europäische Union nur im Rahmen des Nahost-Quartetts tätig werden kann, das Nahost-Quartett wiederbeleben muss und dass eine wesentliche Aufgabe sein wird, auch die Staaten der Region einzubeziehen. Ich glaube nicht, dass wir von Europa aus eine fertige Lösung exportieren können in das Palästinensergebiet, sondern wir müssen eine Politik vorschlagen, die auch andere Akteure aus der Region mit in die Verantwortung nimmt.

    Klein: Welche konkreten Ziele wird die Bundeskanzlerin vorschlagen, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird, mit Blick auf das Nahost-Quartett?

    Schockenhoff: Ich glaube, man sollte vor allem ein Programm der wirtschaftlichen Gesundung, der Aufhebung der Sanktionen anbieten, das Schritt für Schritt der palästinensischen Bevölkerung zeigt, wie sie in die internationalen Beziehungen zurückkommen können und wie sie damit die Sanktionen gegen ihr eigenes Land auch aufheben können, wenn sie friedenswillig sind, wenn sie bereit sind, auf Dauer in zwei Staaten in der Region neben Israel zu leben.

    Klein: Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff war das. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schockenhoff.

    Schockenhoff: Bitteschön.