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Schöffenmangel
Thüringen auf der Suche nach neuen Laienrichtern

Ehrenamtliche Richter sollen in Deutschland für eine lebensnahe Rechtsprechung sorgen. Ihr Einfluss auf das Urteil ist groß, der Aufwand für das Amt ist mit maximal zwölf Verhandlungstagen pro Jahr überschaubar. Freiwillige zu finden, ist dennoch schwierig, wie das Beispiel Jena zeigt.

Von Henry Bernhard | 07.03.2018
    Ein Richterhammer und ein Strafgesetzbuch liegen am 19.03.2013 im Landgericht Osnabrück (Niedersachsen) auf einem Tisch.
    Bei der Urteilsfindung sind Schöffen hauptamtlichen Richtern gleichgestellt. Dennoch mangelt es an Freiwilligen für das Ehrenamt. (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
    Thüringens Justiz steht vor großen Nachwuchsproblemen. Es fehlt nicht nur an neuen Richtern, es lassen sich auch immer weniger Freiwillige finden, die das Amt des Schöffen ausüben wollen. Das liegt vor allem an den schlechten arbeitsrechtlichen Regelungen. Findet das Land nicht genügend Freiwillige, müsste man Bürger zu dem Amt verpflichten, das wäre eine denkbar schlechteste Lösung für die Rechtsprechung.
    "Ich möchte Schöffe werden, weil ich ein Ehrenamt gerne ausüben möchte und b), weil ich mir das einfach zutraue, sowas zu tun. Ich bin hier neu hergezogen nach Jena und habe gedacht: Da tue ich gleich was für Stadt und Kommune."
    "Ich finde das ganz interessant, weil ich selber Sozialarbeiter bin und halt auch in dem Bereich mit Jugendlichen arbeite. Und deswegen ist das für mich auch ein Stückchen der Gesellschaft was wiederzugeben."
    Die Macht der Schöffen
    Andrea Franke und Wolfgang Staecker sind, wie noch zwölf andere Bürger, im Saal der Jenaer Volkshochschule zusammengekommen. Sie alle interessieren sich für das Schöffenamt, wollen für zunächst fünf Jahre Laienrichter werden, die in Gerichtsprozessen den Berufsrichtern zur Seite stehen. Vor ihnen steht Andreas Höhne:
    "Ich bin Vorsitzender des Vereins, der ehrenamtlicher Richterinnen und Richter Mitteldeutschland. Und ich versuche, ihnen das Schöffenamt so ein bisschen leibhaft, aus meinem Leben in der Schöffenperiode zu erzählen. Ich glaube, dann ist es einfacher, verständlicher und ich glaube auch eindrucksvoller, mit welcher Macht wir ausgestattet sind."
    In der Informationsveranstaltung sitzen 14 Interessierte. Die Stadt Jena aber muss 129 Schöffen an die Justiz melden. 200 Bürger haben sich schon gemeldet, aber erstens gibt es Einschränkungen, was Alter, Vorstrafen und Berufe angeht. Und zweitens wollen die Kommunen mehr Bewerber, als sie am Ende Schöffen brauchen, um eine Auswahl zu haben. Denn: Schöffe ist zwar ein Ehrenamt, aber eines mit viel Verantwortung. Andreas Höhne war fünf Jahre Schöffe am Amtsgericht in Nordhausen und spricht aus Erfahrung:
    "Landgericht, drei Berufsrichter, zwei Schöffen, da können die Schöffen die drei Berufsrichter überstimmen. Ohne die zwei Schöffen kann in Deutschland keiner verurteilt werden! Also, das ist auch eine Macht, die wir haben. Oder Verantwortungsbewusstsein, das man bei den Menschen wecken muss."
    Die Verantwortung ist groß, der Aufwand meist überschaubar: Schöffen sollen nicht mehr als zwölf Verhandlungstage pro Jahr haben. Sollen, denn ein Gericht kann während eines laufenden Prozesses nicht verändert werden, erläutert Holger Pröbstel, Richter am Landgericht Erfurt und Vorsitzender des Thüringer Richterbundes:
    "Ich habe zwei Großverfahren mit demselben Schöffenpaar gehabt, die haben mit uns 89 Verhandlungstage verbracht! Die habe ich im Anschluss erst mal zum Essen eingeladen!"
    Laienrichter mit gesundem Menschenverstand
    Die Ungewissheit, was und wie viel Arbeit auf einen zukommt, ist dem Schöffenamt eigen. Andreas Höhne vom Schöffenverband fordert deshalb von den Kommunen, die die Schöffen anwerben, mehr Aufklärung im Vorfeld der Wahlen und von der Justiz mehr Vorbereitung für die Laien, die ihr Amt ohne verbindliche und einheitliche Einführung antreten müssen. Thüringens Justizminister Dieter Lauinger meint, eine kurze Einführung auf freiwilliger Basis sollte genügen:
    "Auf der anderen Seite wollen wir ja gerade diese unjuristische Sicht der Dinge auf den Prozess haben. Dass Leute ihre Meinung einbringen, die eben gerade nicht juristisch vorgeprägt ist wie von den hauptamtlichen Richtern, denen man ja manchmal vorwirft, der "gesunde Menschenverstand" würde bei der Entscheidung fehlen. Genau dieses Element sollen ja Schöffen in die Entscheidungsfindung einbringen. Und da ist es vielleicht gerade in meinen Augen eher hilfreich, dass man nicht noch einen Jura-Crashkurs bekommt."
    Ein anderes Problem liegt in der Entschädigung der Schöffen. Deren Arbeitgeber müssen sie freistellen. Den entgangenen Lohn zahlt dann der Staat – gedeckelt bei 24 Euro pro Stunde. Aber die Sache habe einen Haken, meint Andreas Höhne:
    "Es gibt die Benachteiligung: Das BAG – Bundesarbeitsgericht – hat geurteilt 2009, dass nur die Kernarbeitszeit bezahlt wird. Und das ist ein Riesenthema, wo Leute, die Tarifangestellte sind, die Zeit gar nicht mehr reinarbeiten können. Und das ist eine Benachteiligung, und die muss jetzt der Bundesgesetzgeber wieder gerade rücken."
    Außerdem gelte für Schöffen kein Arbeitszeitgesetz und kein Mutterschutz, beklagt Höhne. Und überhaupt gebe es gelegentlich Probleme mit der Arbeitsfreistellung. Das größere Problem seien jedoch die geringen Bewerberzahlen für das Schöffenamt, da sind sich Minister, Interessenvertreter und Richter einig. Auf dem Land, wo man sich kenne, sei das noch einfacher. In größeren Städten aber komme man mit der Freiwilligkeit schnell an die Grenzen, meint der Richter Holger Pröbstel:
    "Ich weiß von einem Freund in Frankfurt: Als sie dort niemanden gefunden haben, sind sie das Einwohnermelderegister durch und haben einfach Leute rausgesucht. So kann man sich natürlich Wahlbewerber auch verschaffen. Aber es wäre natürlich schon besser, wenn sich mehr Leute freiwillig finden, die sagen, "An so etwas hätte ich Spaß oder Interesse." Denn – das ist meine Erfahrung – wenn ich die Schöffen erst mal habe, die sehen die Welt dann plötzlich ganz anders.