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Schöne Bilder, schöne Stimmen, wenig Dramatik

Werner Herzog ist neben seiner Arbeit als Filmregisseur seit Jahrzehnten auch für die Opernbühne tätig. In Rom hat er nun ein seltener gespieltes Frühwerk von Giuseppe Verdi inszeniert: "I due Foscari".

Von Michael Horst | 07.03.2013
    Fans des großen Regisseurs hätten gewarnt sein sollen: Zwar gilt Werner Herzog als passionierter Opernregisseur, seit er vor über 25 Jahren dieses Metier für sich entdeckt hat. Aber seine letzte Arbeit für die Opernbühne liegt immerhin schon fünf Jahre zurück, und Opernarbeiten anderer Kollegen pflegt er grundsätzlich nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und noch etwas Interessantes gab Herzog bei einem Publikumsgespräch vor der römischen Premiere der "Due Foscari" zu Protokoll. Für ihn bestehe in ästhetischer Hinsicht ein großer Unterschied in der Funktion, die Musik in seinen Filmen hat, und derjenigen in der Oper. Bei seinen Filmen solle die Musik nicht die Handlung unterstützen oder untermalen, sondern eine Art Parallelstrang an Empfindungen und Emotionen entwickeln. Wie etwa in dem Film "Hirten der Sonne", wo Stammeskrieger in der Sahara gezeigt werden, während der letzte Kastrat der päpstlichen Kapelle Gounods "Ave Maria" singt. Bei der Oper dagegen, das weiß auch Herzog, verweist die Musik auf die Handlung, so wie die Handlung auf die Musik verweist. Beide sind untrennbar miteinander verbunden.

    Insofern durfte man gespannt sein, welche visuellen Lösungen der Regisseur für "I due Foscari" finden würde. Verdis sechste Oper ist knapp und klar konzipiert, sie wird geprägt von einem durchgehend düsteren Tonfall. Aber sie stellt an einen Regisseur besondere Herausforderungen, da eigentlich nichts Dramatisches passiert und alles von Anfang an wie erwartet auf das tödliche Ende zuläuft. Es gibt drei Protagonisten: Jacopo Foscari, der unrechtmäßig des Mordes an einem anderen Patrizier angeklagt wird, seine Ehefrau Lucrezia - und seinen Vater, den Dogen, der hin- und hergerissen ist zwischen seinen Pflichten als Doge und der Liebe zu seinem Sohn. Und alle drei warten mehr oder wenig macht- und hilflos auf den Richterspruch, es gibt keine überraschenden Wendungen, und nicht einmal der Bösewicht, der die ganze Mordintrige eingefädelt hat, tritt als Gegengewicht stärker in Erscheinung.

    Herzog nimmt diese Herausforderung nicht an. Es reicht ihm, gefällige Arrangements auf die Bühne zu bringen, in grauen Steinwänden, dekoriert mit venezianischen Löwen. Schneehaufen und Eiszapfen deuten auf die eingefrorenen Gefühle hin, aber sie wirken nur wie Kulisse. Hilflosigkeit, Isolation, Machtwillkür, das sind die Themen, die sich bei den "Due Foscari" aufdrängen, aber Herzog findet dafür kein einziges starkes oder originelles Bild, das über den bloßen Text hinausweisen würde. Er wagt es nicht, an der Oberfläche zu kratzen, um in die Abgründe dieser seelischen Tragödie zu schauen.

    Die Sänger schreiten und gestikulieren so klischeehaft, wie man es aus alten Zeiten kennt, und mit dem Chor, sozusagen die vierte Macht in dieser Oper, weiß der Regisseur am wenigsten anzufangen. Die Mannen stellen sich gleich in einer Reihe im Halbrund auf, um Dirigent und Publikum direkt ins Auge zu blicken.

    Wie gut, dass die musikalische Seite des Abends reichlich Entschädigung bot. Riccardo Muti zeigte mit jedem Takt dieser Aufführung, dass ihm die "Due Foscari" ein Herzensanliegen sind - und dass er zu den Maßstab setzenden Verdi-Dirigenten unserer Zeit gehört. Er lotete jedes Detail sorgsam aus, er forcierte den jugendlichen Drive dieser Oper und er legte das klangvolle Fundament für die Sänger. Tatjana Serjan brillierte in der höchst anspruchsvollen Rolle der Ehefrau Lucrezia, und Francesco Meli bewältigte die Klippen seiner Tenorpartie souverän und mit großer Musikalität. Es hätte ein packender Abend werden können. Aber dazu hätten Werner Herzog etwas mehr als ein paar schöne Bilder einfallen müssen.