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Schöner sterben

"Melancholia", so heißt der Planet, den Lars von Trier unaufhaltsam auf die Erde zurasen lässt. Der nur noch wenige Tage entfernte Weltuntergang konfrontiert die Menschen ein letztes Mal mit der Frage: "Wie soll ich leben?" Die Kritiker in Cannes waren begeistert, jetzt kommt der Film ins Kino.

Von Josef Schnelle | 06.10.2011
    "Die Erde ist schlecht. Wir brauchen nicht um sie zu trauern."

    Einen wunderschönen Film über das Ende der Welt habe er drehen wollen, sagt Lars von Trier. Dass ihm das gelungen ist, ist nach wenigen Minuten schon klar. Der Planet "Melancholia" trifft in perfekter Tricktechnik die Erde. Kirstin Dunst muss im Brautkleid die ganze Last der Welt hinter sich her schleifen, ganz so, als sei sie eben erst Bunuels andalusischem Hund, seinem surrealistischen Manifest entsprungen. Der Weltuntergang ist eine beschlossene Sache. Da kann man doch einmal auf scheinbar glücklichere Zeiten zurückblicken. Zum Beispiel auf eine Hochzeit. Dass die gar nicht so glücklich ist, wird schon in der Rede der Brautmutter klar.

    "Ich war nicht in der Kirche. Ich glaube auch nicht an die Ehe. Du hast ein fantastisches Fest auf die Beine gestellt. Bis dass der Tod uns scheidet. Auf ewig. Justine und Michael? Lasst von mich eines sagen: genießt es, solange es dauert."

    Charlotte Gainsbourg spielt Claire, die realistischere und diesseitigere zweier Schwestern. Natürlich ist die Hochzeit perfekt, wenn nur nicht alle Beteiligten so große Lust hätten, das Idyll zu zerstören. Das rauschende Fest auf dem Land in einem traumhaften Anwesen ist irgendwie verflucht. Alle Reden sind vergiftet, die Miniaturen der Festszenen werden mit großem Staraufgebot rasch abgehakt und verfremdet, ganz so als hätte Robert Altman ein böses Remake seines Klassikers "Eine Hochzeit" gedreht.

    Justine, die glückliche Braut ist alles andere als das. In einer Atempause der Zeremonie verführt sie einen jungen Mann auf der Golfplatzwiese vor dem Haus und ist hernach gar nicht aus der Badewanne zu kriegen, in der sie sich jedem weiteren Zeremoniell entzieht. Derweil wird draußen am Nachthimmel der noch ferne Planet immer größer. Der heißt natürlich "Melancholia" und bedroht die Welt. Claire befürchtet das Schlimmste:

    "Ich fürchte mich vor diesem dummen Planeten." – "Diesem dummen Planeten, diesem wundervollen Planeten. Erst war er schwarz. Jetzt ist er Blau. Liebling, das wird das erstaunlichste Ereignis, das wir in unserem Leben erfahren werden. In fünf Tagen wird er uns erreichen. Aber er wird uns nicht treffen. Genauso wenig wie den Merkur. Da wussten wir es auch vorher. Und dass er die Venus nicht trifft war auch vorhersehbar. Also wird er auch die Erde nicht treffen. Das wissen wir bereits."

    Die Melancholie, die auf uns zurast ist natürlich nicht ein rein äußeres Geschehen, sondern das elementare Seelendrama der Zerfallen seins mit der Welt, die Lars von Triers Lebensthema ist, das er in seinen Filmen immer wieder darstellt und damit einer der ganz großen Filmautoren unserer Zeit geworden ist. Mit einer Drahtschlinge, die sie in den Nachthimmel halten, überprüfen Claire und ihr Mann jeden Abend, ob und wieviel "Melancholia" wächst und die Angst in ihren Seelen wächst mit.

    Gleich am Anfang haben wir ja schon erfahren, dass die Gefahr nicht so einfach vorüber ziehen wird. Justine, die fast lebensuntüchtige depressive Schwester wird mit jeder Minute, in der sich die Katastrophe nähert, stärker. Die Rollen wechseln und am Ende wird die Frage: Soll man beim Weltuntergang ein Glas Champagner trinken oder dem Untergang ins Auge sehen mit der schönsten Szene des Filmes beantwortet.

    Von Triers Meisterwerk, dem in Cannes wegen eines Auftritts des Regisseurs, die gebührende Aufmerksamkeit und bis auf den Darstellerpreis für Kirstin Dunst sämtliche Preisehren versagt blieben, ist in ein paar Minuten kaum zu beschreiben. So werden die filmwissenschaftlichen Dechiffriersyndikate schon ihr Besteck wetzen, um die Bildwelten des Films zu entschlüsseln. Von Trier – ein großer Opernliebhaber – hat sich prominente Unterstützung geholt. Der Film wird ungewöhnlich konsequent für einen Film mit einer einzigen Musik unterlegt. Mit der Ouvertüre von Wagners Tristan und Isolde, die ihn trägt und überhöht. Lars von Trier

    "Sehr früh habe ich die Musik Wagners ausgewählt. Das würde man normalerweise nicht als melancholische Musik bezeichnen, eher als romantische Musik. Es ist nicht wirklich logisch, dass ein Film über das Ende der Welt eine romantische Musik hat, aber so ist das geworden."