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Schönes über die Schönheit

Der Roman "Die Schönheitslinie" steckt voller sprachlicher Schönheiten und thematisiert Schönheit in allerlei Dimensionen. Es ist ein Buch, das über schöne Körper, schöne Kunst, das über Schönheit überhaupt meditiert, theoretisiert und plaudert. Dabei wimmelt es nicht nur von glänzenden Formulierungen des Autoren Alan Hollinghurst, sondern es erheitert immer wieder mit geradezu burlesken Szenen.

Von Hartmut Kasper | 22.06.2006
    Nick Guest, die Hauptfigur des Romans "Die Schönheitslinie" von Alan Hollinghurst, Nick Guest ist, wie sein Name schon sagt, ein Gast, und zwar ist er Gast bei den Feddens. Gerald Fedden dient als Staatssekretär im Innenministerium der Thatcher-Regierung - denn die Geschichte spielt in England in den 1980er Jahren - und der knapp 20 Jahre alte Nick hat den Sohn des Hauses, Toby, während seines Studiums kennen und lieben gelernt.

    Allerdings bleibt seine Liebe unerwidert, denn Nick ist homosexuell, und Toby ist es nicht. Dennoch hat man - oder hat Toby - Nick ins Haus eingeladen, eigentlich nur auf ein paar Wochen, aber am Ende werden es doch über vier Jahre gewesen sein, beinahe eine Zauberbergverweilzeit.

    Geralds Gattin Rachel stammt aus einer jüdischen Bankiersfamilie und ist demzufolge märchenhaft reich, und im Feddenschen Upper-Class-Haushalt in Notting Hill verkehren Politiker der ersten konservativen Garnitur ebenso wie Geschäftsleute aus den höchsten finanziellen Sphären, so dass Toby und seine manisch-depressive Schwester Catherine sich mit den Sprösslingen märchenhaft reicher oder doch mindestens künstlerisch interessanter Eltern paaren können. Auch Nick kommt nicht zu kurz und macht Karrieren, erotischer wie beruflicher Natur: Über eine Kontaktanzeige gelingt es ihm, endlich den ersehnten ersten Liebhaber aufzutun; und nach angemessener sexueller Lehrzeit liiert er sich mit Wani, dem orientalisch-schönen Sohn eines märchenhaft reichen Geschäftsmannes aus dem Libanon.

    Nick und Wani, Toby, und Gerald, Rachel und Catherine - es klingt, als wären wir Leser mit den Hauptfiguren unter uns und verkehrten mit ihnen in einer Art Marienhof der oberen Zehntausend. Denn auch in den Marienhöfen unserer Telewirklichkeit taucht ja immer irgend ein Carlos auf oder unter, will eine Lisa allein verreisen und bekommt eine Carolina die Windpocken. Oder ein Kind. Oder so.

    Über weite Strecken wirkt der Roman tatsächlich wie eine telenovela-taugliche Kette von miteinander verzahnten Liebesgeschichten, wenn auch die Schilderung homosexueller Akte im Detail mit ihrem unverblümt direkten Wortschatz das gängige Vorabend-Format sprengt.

    Und während in den Endlos-Serien kurz und bündig gesprochen, allenfalls vielsagend geseufzt wird, entfaltet Hollinghurst in seinem Roman ein sprachliches Artefakt aus wortgewaltigen Bausteinen: Kein Satz, der nicht eine wunderliche Wendung nimmt, die den Leser überrascht und aufhorchen lässt. Syntaktisches Glanzstück reiht sich an Glanzstück, Sentenz an Sentenz, und hier und da treibt der Stil wahre Blüten:

    Da wird ein "rosa Chiffonschal mit der Beharrlichkeit eines Betrunkenen zum Turban gewickelt"; da hört der Leser "hellen, nützlichen Gesang der ersten munteren Vögel", so, als würde ihr Gezwitscher im Laufe des Tags erheblich nachdunkeln und damit unnütz werden. Und das Kokain, das im Kreis solcher mattgoldenen Jugend als Grundnahrungsmittel dient, heißt freundschaftlich: das "feine weiße Genusspülverchen". So spreizt sich mancher Satz wie ein Solist; und es ist, als laute die geheime Botschaft vieler Perioden: "Schau doch, wie schön ich geraten bin!"
    Auch Nick, Sohn eines Antiquitätenhändlers aus der Provinz, will Schönheit, Luxus, nur vom Feinsten. Er promoviert über den großen Stilisten Henry James und lernt bald selbst, "aus dem Stegreif lange geschmeidige Sätze" zu bilden, die "reich an Anspielungen und syntaktischen Erschütterungen" sind; er plant, "The Spoils of Poynton", einen Roman von Henry James, zu verfilmen, und schließlich verdingt er sich bei Wani als "Ästhet" für dessen Zeitungsprojekt, eine Kunstzeitschrift, natürlich in Spitzenqualität, in der es um lauter ungewöhnlich-exotische Dinge gehen soll: um Miniaturen, indianische Skulpturen, Fünf-Sterne-Bordelle. Denn, so die Geschäftsidee: "Heutzutage verlangen die Menschen nach Luxusgütern. Da steckt das Geld."

    Aber Nicks und Wanis Projekt, den Geist von Henry James, Oscar Wilde und anderer Sensibilitätsvirtuosen in die Thatcher-Ära hinüber zu retten, scheitert, war wohl auch zu schön, um wahr zu werden. Aids grassiert und rafft die hübschen Männer um Nick dahin. Und Gerald, der aufstrebende Politiker, schlittert in einen Aktienskandal, der durch Presseberichte über seine Zweitbeziehung zu einer Assistentin und über den homosexuellen Hausgast der Familie zusätzlich Fahrt aufnimmt in Richtung Abgrund, Rücktritt, Untergang.

    Am Ende wird Nick des Hauses verwiesen, in dem er kurz zuvor noch mit der Premierministerin selbst getanzt hat, mit jener Mrs. Thatcher, die Feddens Feierlichkeit zu ihrer Silbernen Hochzeit einen zusätzlichen Glanz zu verleihen geruht hatte.

    "Die Schönheitslinie" steckt, das wird niemand bestreiten, voller sprachlicher Schönheiten, und thematisiert Schönheit in allerlei Dimensionen. Es ist ein Buch, das über schöne Körper, schöne Kunst, das über Schönheit überhaupt meditiert, theoretisiert und plaudert. Dabei wimmelt es nicht nur von glänzenden Formulierungen, sondern es erheitert immer wieder mit geradezu burlesken Szenen, wenn etwa auf einem Wahlkampf-Event eine Tory-Bürgermeisterin an einem Marmeladenstand die Preise so misstrauisch beäugt, als wollte sie sie herunterhandeln, während der mit ihr verfeindete Parteifreund Gerald im Bemühen, beim eigentlich verachteten Pöbel mitzutun, Lambrusco-Flaschen in der Tombola und ein Schwein beim Stiefelweitwurf gewinnt. Denn, so lehrt er das Volk sein Credo: "Für jeden etwas! Keiner kommt zu kurz!"

    Man sieht: Es zieht ein Hauch von Ironie durch die gelierten Formulierungen, ja durch den ganzen, mit erlesenem Vokabular geschmackvoll möblierten Roman. Und wenn das Buch auch keines ist, das man auf den Coffee-Table legt, um sich zwischendurch vor Lachen auf die Schenkel zu klatschen, so dürfen wir uns am Ende mit einem altmodischen Augenzwinkern eingestehen: Selten etwas so Schönes gelesen!