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Schönheit in Ägypten

Die ägyptische Kultur hatte ein ausgeprägtes Gespür für die Ästhetik des menschlichen Körpers. Auch nach drei Jahrtausenden ließen sich Künstler wie Giacometti und Picasso von der Hochkultur am Nil inspirieren. Eine Ausstellung in Karlsruhe zeigt warum.

Von Barbara Weber | 09.08.2007
    ""Das Denkmal eines Mannes ist seine Schönheit
    der mit dem schlechten Verhalten aber wird vergessen."
    "

    Inschrift auf einer Stele.

    Im Grunde bezog sich die Schönheit vor allem auf die Götter, auf die Tempel, auf die Wohnhäuser, auf alles eigentlich im täglichen Leben, was man verwendete und auch natürlich auf das Grab. Aber nicht nur, betont Anna Hoffmann, Ägyptologin und Kuratorin am Badischen Landesmuseum Karlsruhe, denn den alten Ägyptern ging es auch um...

    "...die innere Schönheit, von der im Alten Ägypten ja auch oft die Rede ist, also das Prinzip der ‚Ma’at’, das Prinzip der Gerechtigkeit, der Tugendhaftigkeit, der Rechtschaffenheit."

    Schönheit wurde idealisiert, über den Tod hinaus. Das war der Grund für aufwendige Einbalsamierungstechniken, denn der Tote musste unbedingt vor den Folgen der Vergänglichkeit geschützt werden, um ihm ein Leben im Jenseits zu ermöglichen:

    "Er wird aufgedunsen, alle seine Knochen verfaulen, die Glieder sind abgetötet und abgefallen, die Knochen aufgeweicht und das Fleisch ist eine übelriechende Masse geworden; er stinkt, er verfault und er verwandelt sich langsam in eine Menge Würmer, lauter Würmer."

    Diesen Verfallsprozess - so das ägyptische Totembuch - musste man auf jeden Fall verhindern. Das gilt auch für die Darstellung alter und hässlicher Menschen, die praktisch nicht vorkam. Bildnisse und Skulpturen von Menschen zeigten im Alten Ägypten vor allem Schönheit und Jugendlichkeit. Die muskulösen schlanken Figuren mit üppiger schwarzer Haarpracht spiegelten das Ideal des alten und mittleren Reiches wider. Das lässt sich eindrücklich an einer kleinen Holzfigur aus dem Mittleren Reich um 1950 v.Chr. zeigen. Hoffmann:

    "Das ist die Senebi, so nennt sie sich. Und diese kleine zierliche Frau ist sehr aufrecht dargestellt. Sie hat beide Füße parallel gestellt, die Arme auch parallel am Körper herabhängend. Und diese Figur ist so genau und exakt gearbeitet, dass man, ohne dass es farblich angedeutet ist, an ihr sogar ein Gewand erkennen kann, und die Maserung des Holzes gibt quasi den Faltenwurf des Gewandes wider. Auch diese Figur steht ganz typisch für die aufrechte, gerade achsensymmetrische Haltung der altägyptischen Figuren."

    Praktisch nutzten die Ägypter ein Hilfsliniensystem, ähnlich einem Quadratnetz, dass vor Beginn der Arbeiten auf den Werkblock aufgemalt wurde. Nach diesem System richteten sie die Figuren aus. Die Kuratorin Dr. Anna Stollberg ergänzt, dass die Formensprache an einen modernen Künstler erinnert…

    "…und zwar Alberto Giacometti. Der hat diese Aufgerichtetheit der ägyptischen Statuen, die ja durch das Quadratnetz vorgegeben war, die Figur folgt ja in ihrem Verlauf den waagerechten und horizontalen Vorgaben des Quadratnetzes, dadurch kommt das, dass man zum Beispiel ganz gerade, ganz aufgerichtete straffe Schultern hat, dass die Gliedmaßen meist genau parallel am Leib geführt werden und dass die Figur auch ganz streng auf Frontalität ausgerichtet ist. Diese Darstellungsprinzipien hat Giacometti in seiner ‚Femme de Venice’ aufgegriffen und sie genauso dargestellt, wie man das hier bei dieser ägyptischen Dame sehen kann."

    Am Beispiel der kleinen Figur aus Holz lässt sich gut erläutern, welche Motive die Kuratoren mit der Verbindung von alter ägyptischer Kunst mit Ausdrucksformen der Moderne verfolgten. Anna Stollberg:

    "Wir wollten uns nicht beschränken auf diese klassische Ägyptenrezeption, wo man eben nur übernommene Motive in neuen Materialien kopiert, sondern wir wollen zeigen, wie die Formprinzipien, die Stilprinzipien der ägyptischen Kunst bei modernen Künstlern aufgegriffen wurden. Also nicht eine Kopie von Motiven, sondern einfach nur die Art und Weise, woran man jedes Kunstwerk als typisch ägyptisch erkennt, das wollten wir wiederentdecken in den Werken moderner und zeitgenössischer Künstler."

    Altägyptische Kunst hat auf einige moderne Künstler bleibenden Eindruck gemacht. Dabei ging es den antiken Künstlern manchmal nur ums schiere Überleben. Um das im Jenseits zu garantieren, mussten die Toten und ihre Abbildungen möglichst vollkommen die weite Reise in die Unterwelt antreten. Anna Hoffmann:

    "Das ist eine sogenannte Scheintür, also auch wieder ein Bauelement aus einem altägyptischen Grab, und hier sehen wir den Grabherren Anch mit seiner Frau groß dargestellt im Relief, und was das auffälligste, bekannteste an altägyptischen Flachbildern, also Reliefbildern ist, ist, dass die Darstellungsweise verdrehte Körper wiedergibt. Also es ist eine Mischung aus der Profilansicht, also das Gesicht im Relief ist immer im Profil dargestellt, während der Oberkörper frontal dargestellt ist, auch beide Arme sind in diesem Fall zu sehen, was aus der reinen Profilansicht gar nicht möglich wäre. Und dann drehen sich die Darstellungen wieder, so dass die Beine wieder vollkommen im Profil dargestellt sind. Das ist eigentlich das typische bei altägyptischen Flachbildern, diese fast unrealistische Wiedergabe der Körper, um den Körper möglichst vollständig mit all seinen Bestandteilen abzubilden."

    Und Anna Stollberg fährt fort:
    "Typisch für ägyptische Darstellungen für Menschen ist nicht, ein Porträt zu schaffen, einen Menschen darzustellen, wie er tatsächlich aussieht, das war nie die Intention der alten Ägypter, sondern die Darstellung eines Menschen hatte eine Auswirkung auf das Jenseits. Jeder Mensch musste im Jenseits funktionsfähig sein. Und damit er das erreicht, hat man ihn eben nicht nur frontal dargestellt oder nicht nur im Profil dargestellt, sondern ein ägyptischer Künstler geht um einen Menschen herum und piekt sich alle Elemente heraus, die im Jenseits da sein müssen, die im Jenseits funktionsfähig sein müssen."

    Diese ägyptische Darstellungsweise hat ein moderner Künstler immer wieder aufgegriffen: Pablo Picasso. Typisch sein "Torse de Femme", eine Aquatintaradierung aus dem Jahr 1953.

    "Wenn Sie sich das Auge anschauen, ganz im Zentrum sitzt ein von vorne frontal wiedergegebenes großes, weit geöffnetes Auge, also es ist ganz klar dargestellt, dass hier eine Frontalansicht des Auges wiedergegeben ist. Rechts davon sehen Sie noch mal ein sehr schön gezeichnetes großes Auge, aber diesmal ganz genau in der Profilansicht. Wenn wir ein bisschen weiter runter gehen, dann sehen Sie die Nase durch die beiden Nasenöffnungen deutlich als eine Frontaldarstellung gekennzeichnet. Aber daneben sehen Sie ein geradezu klassisch aussehendes griechische Profil, eine ganz gerade, wunderschön gearbeitete Nase im Profil",

    erläutert Anna Hoffmann und deutet auf die abgebildete Brust:

    "Wenn man sich die Brust der Dame anschaut, da sehen Sie es noch mal genau: Die von uns aus gesehene rechte Brust ist frontal dargestellt, die linke Brust ist im Profil zu sehen und der Abschluss des Bildes, das sind die beiden Hände, die von uns aus gesehen linke Hand ist sehr schön im Profil dargestellt und rechte Hand sogar in einer Draufsicht, also in einer wunderschönen Frontalansicht. Um das ganze noch ein bisschen deutlicher zu machen hat Picasso die Haare der Dame auch ganz abstrakt gestaltet, aber, wenn man weiß, in welcher Art von Ausstellung wir uns jetzt gerade befinden, dann sieht man, glaube ich, sehr schön die Vorlage. Das ist das waagrecht gestreifte sogenannte ‚Nemes-Kopftuch’, das Königskopftuch, das gewöhnlich Götter und Könige im Alten Ägypten getragen haben, das berühmte gelb und blau gestreifte Kopftuch. Und das ist hier von Picasso in der Frisur der Dame wiederverwendet worden."