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Schöpfer der Europahymne

Am 5. April 1908 wurde Herbert von Karajan in Salzburg geboren. In Berlin wurde er 1938 entdeckt und stieg zum bejubelten Star des Dritten Reiches auf. Nach dem Krieg bekam er zunächst ein Berufsverbot, bevor 1948 seine zweite Karriere an der Mailänder Scala begann.

Von Dietmar Polaczek | 05.04.2008
    Der wohl berühmteste Dirigent des vorigen Jahrhunderts, Herbert von Karajan, machte genau genommen zweimal Karriere. Die erste, im Dritten Reich, begann 1938 mit Wagners "Tristan", als Edwin von der Nüll in der Berliner Zeitung den Gemeinplatz erfand, der zu Karajans Markenzeichen wurde:

    "Das Wunder Karajan"

    Diese Karriere endete mit Wagners "Meistersingern" 1945. Der Konkurrent Wilhelm Furtwänglers fiel bei Hitler wegen eines betrunkenen Sängers in Ungnade, bekam einen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, versteckte sich aber in Italien. Dabei war er doch schon 1933 in die NSDAP eingetreten, um der Karriere nachzuhelfen, später sogar noch einmal. Nach dem Krieg hatte er deswegen Berufsverbot bis 1947.

    "Von allen Freunden, die man hatte, hat sich kein einziger mehr gemeldet. Jeder hat Angst gehabt, dass, wenn er es mit mir zu tun hat, es ihm angekreidet wird, und da waren sie alle feig’. Und plötzlich hab ich eine sehr ansehnliche Geldsumme bekommen – anonym. Fünf Jahre später habe ich gewusst, es war von Edwin Fischer."

    Heribert Ritter von Karajan kam am 5. April 1908 zur Welt. Er war technisch und musikalisch begabt, spielte blendend Klavier, studierte Musik und parallel dazu Maschinenbau in Wien, aber 1929 verlegte er sich ganz aufs Dirigieren. Es gibt kein großes Werk des deutschen klassisch-romantischen Repertoires, das er nicht dirigiert und auf Platten eingespielt hätte. Er spielte sogar - selten genug - Musik des 20. Jahrhunderts. Und alles auswendig, mit einem immensen Gedächtnis.

    1948 begann seine zweite Karriere. Zuerst an der Mailänder Scala, wo er auch seinem nicht immer glücklichen Ehrgeiz als Regisseur zu frönen begann. 1951 und 52 dirigierte er in Bayreuth, doch wegen Differenzen mit Wieland Wagner kehrte er nie wieder dorthin zurück.
    Karajan war medienbewusst und allgegenwärtig. Sein Tag hatte 25 Stunden: Er war Chefdirigent der Berliner Philharmoniker von 1956 bis 89, gleichzeitig von 1957 bis 64 künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper. Er prägte mit den Berliner und den Wiener Philharmonikern die Salzburger Festspiele. 1967 gründete er die Osterfestspiele Salzburg.
    In Wien erzählte man sich, wie Karajan ins Taxi springt und ruft:

    "Mensch. so fahren Sie doch schon!"
    "Aber wohin, Euer Gnaden?"
    "Egal. Ich werde überall gebraucht!"

    Diesen "Karajanuskopf" besingt Georg Kreisler in seiner Rossini-Parodie.

    Karajan hatte Teil an der Entwicklung der Aufnahmetechnik, der Quadrophonie, der Digitaltechnik. Er flog sein Privatflugzeug selbst, segelte, fuhr Ski und Auto, natürlich schnell. Kein Dirigent hat mit so viel Begabung und Machthunger so viel Bewunderung, aber auch so viel Irritation hervorgerufen. Niemand außer Karajan durfte in der Republik Österreich, die den Adel abgeschafft hatte, das "von" im Namen führen.

    Er hat nichts wirklich Neues gemacht, sagen seine Kritiker. Aber er hat es besser gemacht als alle vor ihm, sagen seine Verteidiger. Den Schwerkranken, trotzdem Rastlosen ereilte der Tod am 16. Juli 1989. Zwar wollte der Kompositionsschüler von Franz Schmidt niemals komponieren:

    "Ich will nicht! Es gibt soviel gute Musik. Was soll ich schlechte machen?"

    Dennoch ist er heute noch der meistgespielte Musikschöpfer in Europa: mit der Europahymne, seiner Beethoven-Bearbeitung aus der 9. Sinfonie. Aber wenn er das Original dirigiert, ist es schöner.