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Scholz

Gehm: Seit 14 Tagen offiziell im Amt, Herr Scholz, und der Auftakt der Legislaturperiode - was nun mit Ihrem Amtsantritt nichts zu tun hat - ist alles andere als einfach. Der Wind bläst Rot-Grün ins Gesicht, kräftig, dem Kanzler und auch der SPD. Unerwartet kommt das ja nicht.

Karl-Heinz Gehm | 03.11.2002
    Scholz: Wir alle wissen, dass wir seit den günstigen Konjunkturprognosen, die wir 2000 bekommen haben, Stück für Stück nach unten korrigiert werden von all den Wirtschaftsforschungsinstituten. Auch in diesem Jahr haben alle immer geglaubt, wir würden einen Aufschwung bekommen. Jetzt wissen wir, dass er sich in diesem Jahr nicht mehr ereignen wird. Und das hat Folgen für die Finanzen des Staates, für die Sozialversicherung, und wer klug ist, reagiert darauf.

    Gehm: Es bleibt dabei: Die Euphorie, die nach dem Wahlsieg ja da war, ist relativ schnell verflogen. Ist da in der Nachbereitung dieses Wahlerfolges gepatzt worden, sind Fehler gemacht worden? Wo liegen die?

    Scholz: Ich glaube, dass wir vor allem richtig gehandelt haben und nicht versuchen, etwas zu tun, was über ein paar Monate hilft aber angesichts der Ausgangsbedingungen nicht helfen kann. Denn wenn die wirtschaftliche Lage so ist, könnte man zwar versuchen, darüber hinwegzusehen, aber es ist besser, jetzt die Reaktionen zu akzeptieren, auch die Kritik, als keine Lösung anzubieten.

    Gehm: Die Reaktionen auf die Regierungserklärung und auf den Koalitionsvertrag, die ja durchaus gemischt waren - sie aus SPD-Sicht erträglich zu nennen, wäre vielleicht geprahlt -, haben Sie diese Reaktionen überrascht?

    Scholz: Uns haben die Reaktionen nicht überrascht, denn es ist zwar so, dass uns ständig alle empfehlen, dass wir mutig sein sollen, aber wenn wir mutig sind, dann wollen sie nicht Beifall klatschen, sondern dann kommt genau das, weswegen uns vorher angekündigt wurde, es müsste Mut erfordern. Also, wir haben uns entschieden, dass wir den Weg weitergehen der Haushaltskonsolidierung. Die Nettoneuverschuldung wird Stück für Stück zurückgefahren, wenn auch nicht so schnell wie ursprünglich geplant – trotzdem, 2006 sollen keine neuen Schulden mehr hinzukommen, wie gedacht. Wir senken die Steuern 2004 und 2005, das sind 29 Milliarden Euro, die an die Bevölkerung zurückgegeben werden, und haben uns entschlossen, diese Steuerreform unangetastet zu lassen, einschließlich der Absenkung des Eingangssteuersatzes auf 15 Prozent und des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent. Und gleichzeitig sagen wir aber, ist es notwendig, dass wir den Weg der Schließung von Steuerschlupflöchern und Subventionen weitergehen. Das macht immer Ärger. Wer sich vielleicht gedacht hätte, dass das Beifall bringt, hat sich geirrt.

    Gehm: Wie wird denn bei der SPD politisch kalkuliert? Für Trendwende und Ende der Durststrecke im nächsten Jahr noch?

    Scholz: Ich glaube, dass es schneller gehen wird. Wir werden Mitte November die Steuerschätzung haben, und dann werden wir die Kooperation der CDU-Ministerpräsidenten schnell sehen.

    Gehm: Die Union macht sich die Situation natürlich zunutze in ihrer Politik. Sie spricht von einer schamlosen Wählertäuschung und ermuntert freundlicherweise das Wahlvolk in Hessen und Niedersachsen zur Revanche, wenn dort im Februar gewählt wird. Das ist eine Strategie, die eigentlich nicht ungefährlich ist für die SPD.

    Scholz: Das, was die CDU macht, ist die Fortsetzung dessen, was sie schon im Wahlkampf getan hat, nämlich mit vielen uneinlösbaren und unwahren Behauptungen zu agieren. Auch jetzt ist es so, dass bei allem, was vorgetragen wird, nie zu Ende gesagt wird, was denn nun eigentlich die Konzepte von CDU/CSU sind. Würden die Menschen das hören, wüssten sie, dass das Konzept bedeutet, dass den Rentnern die Renten begrenzt werden sollen – das ist CDU-Konzept –, und dann wüssten sie, dass gesundheitliche Leistungen, die bis heute die Krankenversicherungen leisten, nicht mehr zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir hören, dass man was tun muss beim Gesundheitssystem, aber wir hören nicht, was. Und wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass es genau diese Konzepte sind. Die gleichen Menschen, die uns dazu auffordern, mutig zu sein, wenn wir den kleinen Leuten etwas wegnehmen bei Rente und bei dem Gesundheitssystem, finden es überhaupt nicht mutig, wenn wir sagen, dass es aber auch in Ordnung ist, dass jemand, der einen großen Dienstwagen fährt, den privaten Nutzungsanteil gerechter besteuern soll.

    Gehm: Das lässt sich dem Wähler vermitteln – Frage –, dass Mut zu haben honoriert werden muss?

    Scholz: Wir setzen darauf, dass es honoriert wird, Mut zu haben.

    Gehm: Die Strategie der Koalition – die Strategie der SPD – heißt Politik machen in diesen Wochen und Monaten. Das heißt, Politik in einer angespannten wirtschaftlichen Lage, so die Regierungserklärung. Die Maschinerie zur Gesetzgebung läuft an in diesen Tagen schon. In dieser Woche wird die Koalition die ersten Gesetzentwürfe einbringen in den Bundestag. Über den Fahrplan wird das SPD-Präsidium diesen Sonntagabend befinden. Das Motto heißt natürlich 'Tempo machen'.

    Scholz: Das Motto heißt 'Tempo machen', aber das Motto heißt auch 'vernünftig handeln'. Wir werden alle Gesetze, die wir in den Bundestag einbringen, sorgfältig vorbereiten durch die Ministerien, und wir werden auch nicht nur alle Reformvorhaben in diesem Jahr zu Ende bringen wollen, sondern das geht dann auch weiter.

    Gehm: Der erste Brocken ist ja nun im Bundestag in der letzten Woche schon andiskutiert worden – Gesetzespaket Gesundheitswesen, sprich das Vorschaltgesetz. Das Sparvolumen soll über drei Milliarden Euro liegen: Eine Notoperation, die politisch nicht ungefährlich ist, denn die Lobby wird natürlich Sturm laufen.

    Scholz: Die Lobby wird Sturm laufen, darüber machen wir uns keinerlei Illusionen. Unsere Entscheidung ist, dass wir sagen, es gibt sehr viel Geld, das im Gesundheitswesen umgesetzt wird. Die Krankenkassen nehmen viele Beiträge ein, die weitergeleitet werden an viele, die am Gesundheitssystem verdienen. Und wir wollen dafür sorgen, dass die Beitragsanstiege begrenzt werden, indem wir uns mit den mächtigen Lobbyisten anlegen, zum Beispiel mit der Pharmaindustrie, die viel Geld verdient und die in Deutschland nach wie vor höhere Preise für ihre Produkte bekommt, als für die gleichen Produkte in anderen Ländern.

    Gehm: Wieviel Gegenwind wird die Koalition denn da aushalten?

    Scholz: Viel, aber wir werden ihn auch aushalten. Das ist die eigentliche Botschaft.

    Gehm: Wie stabil sehen Sie denn den Konsens innerhalb der Koalition, innerhalb von Rot-Grün bei diesen anstehenden Spar- und Sanierungaktionen?

    Scholz: Der Konsens ist ziemlich groß. Wir haben uns im Koalitionsvertrag verständigt auf diese Maßnahmen, und alle wissen, dass in einer ernsten Zeit es nicht einfach möglich ist, mit ganz leichten Maßnahmen zu reagieren.

    Gehm: Es gibt erstes Gegrummel bei den Grünen in Sachen Erhöhung Rentenbeitrag und Ausgestaltung der Ökosteuer. Kommt das überraschend?

    Scholz: Wir sind jetzt dabei, die Dinge zu Ende zu diskutieren. Bei der Ökosteuer haben wir gesagt, dass von Ausnahmebestimmungen, die bisher existiert haben, einige gestrichen werden, haben aber ein so vertretbares Finanzvolumen dabei vereinbart, dass genügend Spielraum für Ausnahmen ist, denn unser Ziel ist, dass diese Besteuerung nicht dazu führt, dass wirtschaftliche Tätigkeit in Deutschland sich nicht mehr rechnet oder ins Ausland verlagert wird. Das ist etwas, worauf wir uns verständigt haben, das kriegen wir auch im Konkreten hin. Bei dem Rentenbeitragsanstieg ist es letztlich ja so, dass wir stolz sagen können: Wir sind immer noch weit weg von den Werten, die unter Helmut Kohl gegolten haben. Als wir 98 angefangen haben zu regieren, waren es 20,3 Prozent, und die Planungen von Kohl und Blüm waren, dass wir heute bei einem Wert von über 21 Prozent Rentenbeitrag liegen. Deshalb muss man auch die Diskussion über den Anstieg des Rentenversicherungsbeitrags von 19,1 Prozent auf einen Wert, der vielleicht 19,5 Prozent beträgt, in dieses Verhältnis setzen.

    Gehm: Gehen Sie von 19,5 aus? Von 19,3 war die Rede. 19,5 ist jetzt ins Auge gefasst, wird das für diesmal Ende der Fahnenstange sein?

    Scholz: Seriöse Politik besteht ja darin, dass man nicht auf einem Parteitag ausrechnet, wie hoch die Beiträge sein müssen, damit die Renten jeden Tag gut finanziert werden können. Das ist eine Aufgabe, die von denjenigen, die Verantwortung haben in der Rentenversicherung und von dem Ministerium zu bewältigen ist. Und wir werden das, was die uns vorschlagen, deshalb zu befolgen haben. Eine grundsätzliche Strukturreform ist bereits bewältigt. Jetzt müssen wir kurzfristig nur damit umgehen, dass eine anhaltend schlechte Konjunktur in Deutschland und überall sonst auf der Welt natürlich Folgen hat für die Einnahmen der Rentenversicherung. Das kann man aber auch mit einer kurzfristigen Reaktion lösen. Die Rentnerinnen und Rentner werden ihre Renten bekommen; wie gedacht und geplant wird es weiter steigen.

    Gehm: Die Strukturreform Rente - vollzogen in der letzten Legislaturperiode. Im Gesundheitswesen steht die Reform erst noch bevor, wenn das Vorschaltgesetz verabschiedet ist. Die Planungs-, die Reihenfolge wird sein: Regierungskommission und dann einen Gesetzentwurf oder mehrere Gesetzentwürfe, und das Ergebnis dieser Bemühungen wird dann auch im Bundesrat noch eine Mehrheit finden müssen. Gibt es eine Zeitvorstellung, wann es in dieser Legislaturperiode sein könnte?

    Scholz: Die grundsätzliche Reform, die soll im nächsten Jahr ins Werk gesetzt werden, und unsere Zeitvorstellung ist, dass dann, wenn da ein vernünftiges Ergebnis rausgekommen ist, wir auch an das Gesetzgebungsverfahren gehen. Da sind wir im übrigen sicher, dass wir auch Zustimmung bekommen werden. Differenzierung in Patienten unterschiedlicher Einkunftsart werden wir nicht mitmachen, und das ist die Hauptlinie bei der Reform.

    Gehm: Ein Reformwerk wird in diesen Tagen auf den Tisch gelegt, das ist die Umsetzung des Hartz-Konzeptes. Der Anfang wird gerade gemacht, und die Wogen gehen hoch. Die Gewerkschaften zeigen in bestimmten Bereichen die Zähne.

    Scholz: Wolfgang Clement setzt die Hartz-Vorschläge um. Er macht das im festen Dialog mit den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften. Das ist ja auch die Grundidee, die hinter dem Hartz-Konzept steckt, und ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass das gelingen wird.

    Gehm: Kürzung Arbeitslosengeld macht den Gewerkschaften gewisse Probleme. Es ist die Rede von einem möglicherweise anstehenden Dammbruch. Kann man den Gewerkschaften diese Furcht nehmen?

    Scholz: Die Kürzung des Arbeitslosengeldes zählt nicht zu unseren Planungen, sondern wir werden bei der Struktur der Leistung der Bundesanstalt für Arbeit neue Wege beschreiten, insbesondere, indem wir Stück für Stück den Beschluss umsetzen, dass Arbeitslosenhilfe, die eine Sozialhilfeleistung des Bundes ist und sich an die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld anschließt, und Sozialhilfe, die eine Sozialhilfeleistung von den Kommunen ist, zusammengelegt werden, indem arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger ebenfalls berechtigt werden, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet, dass wir insbesondere bei den Anrechnungsbestimmungen von eigenem Einkommen und Vermögen mehr dem uns annähern in dieser Frage. Das wird jetzt gleich umgesetzt, und das halte ich für eine wichtige Reform, die aber gut ist, nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten, sondern auch unter Gesichtspunkten der Förderung des Arbeitsmarktes.

    Gehm: Soziale Gerechtigkeit als sozialdemokratischer Grundwert, Herr Scholz, wird groß geschrieben in Ihrer Partei. Nur gegebenenfalls kommt dann bei Einsparungen weniger Geld in die Kasse, und das wird nicht im Sinne des Finanzministers sein. Wenn beim Arbeitslosengeld, bei Arbeitslosenhilfe, wenn bei Eigenheimzulage weniger gespart wird, dann muss ja wohl in einem anderen Bereich zusätzlich gespart werden, damit der Finanzminister seine Quote erfüllen kann.

    Scholz: Dass wir insgesamt bei den Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit Veränderungen vornehmen, die auch dazu beitragen, dass die Finanzen dieser wichtigen Einrichtung in Ordnung bleiben, dass steht außer Frage. Was die Eigenheimzulage betrifft, ist es so, dass wir jetzt mit allen diskutieren über die Konkretisierung des gesetzgeberischen Vorhabens. Es geht darum, dass wir eine jahrelange Fehlsubvention neu gestalten und sie nicht mehr als fehlerhafte, sondern als geeignete Subvention ausgestalten. Dabei spart der Staat Geld, aber er fördert trotzdem diejenigen, die sich ohne eine staatliche Unterstützung private Eigentumsleistung nicht leisten könnten. Kinder stehen im Mittelpunkt, und wir wollen angesichts der Notwendigkeit, unsere Städte zu entwickeln, sicherstellen, dass es keine Differenzierung zwischen Alt- und Neubauten gibt. Das sind die Grundanliegen, die wir dabei verfolgen.

    Gehm: Stichwort Familienpolitik: Ein Schwerpunkt im Regierungsprogramm der SPD, ein Schwerpunkt, der auch mit einer neuen Ministerin besetzt wird. Herr Scholz, was erwarten Sie sich von diesem Politikbereich als Push einer sozialdemokratischen Politik?

    Scholz: Die SPD hat in den letzten Jahren viel für Familien mit Kindern getan. Das merkt man nicht zuletzt an der Kindergelderhöhung, an den Verbesserungen bei Wohngeld und Bafög, aber auch an Gesetzen, die das Vereinbarmachen von Beruf und Familie leichter gemacht haben, bei Teilzeit zum Beispiel. Für die Zukunft wird es darauf ankommen, dass wir einen richtigen Rückstand unseres Landes aufholen. Wir haben weniger Ganztagsschulen als in vergleichbaren Ländern Europas. Wir haben weniger Ganztagsbetreuung und auch nicht genügend Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im Krippenbereich. Wir wollen da eine kulturelle Revolution erreichen, dass Deutschland auf das gleiche Niveau kommt als anderswo. Deshalb ist unser Ziel, als Staat dafür zu sorgen, dass Männer und Frauen und Kinder es besser haben, als das heute der Fall ist. Und das wollen wir mit diesem Projekt erreichen. Vier Milliarden Euro für Ganztagsschulen als Initialzündung, ein Gesetz, das 20 Prozent Krippenplätze vorschreibt, auch als erster Schritt zu einer viel größeren Wende. Und vielleicht kann man das so sagen: Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.

    Gehm: Sehen Sie, dass das Thema 'Familienpolitik' in der öffentlichen Wahrnehmung den richtigen Stellenwert hat?

    Scholz: Es hat in der Wahrnehmung der Eltern einen ganz hohen Stellenwert. Und sie sind immer saurer darüber, dass die Bürgermeister in den Gemeinden, dass die Landesregierungen nicht genügend dafür tun, dass das, was sie jetzt für ihre Kinder an Betreuung haben wollen, auch zur Verfügung steht. Es nützt ja keinen Eltern, wenn diese Reform in 20 Jahren beendet ist. Dann sind ihre Kinder groß und erwachsen.

    Gehm: Nord-Süd-Gefälle beim Umsetzen der Familienpolitik?

    Scholz: Es gibt ein gewaltiges Nord-Süd-Gefälle. Die Zahl der Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Bayern oder Baden-Württemberg ist viel geringer als in vielen anderen Bundesländern. Und auch das wird die Menschen bewegen. Die CDU hat die Zustimmung der Menschen zu ihrer familienpolitischen Konzeption verloren und agiert jetzt auch ganz hilflos. Sie hat im Wahlkampf versucht, das Defizit auszugleichen indem kurzfristig Frau Reiche eine Rolle spielen durfte. Aber gleich nach der Wahl ist es schon wieder vorbei, und man kehrt zurück zu der Politik, die schon 1950 nicht mehr richtig war.

    Gehm: Die Opposition argumentiert, der zweite Griff in die Tasche des Bürgers komme nach den Februarwahlen. Was sagen Sie dazu?

    Scholz: Das ist nicht wahr. Das wissen die Damen und Herren von CDU/CSU und FDP auch, aber sie werden es trotzdem immer wieder sagen.

    Gehm: Wann kommt denn die Bundesratsinitiative 'Vermögenssteuererhöhung, Erbschaftssteuer'?

    Scholz: Das können nur die Ministerpräsidenten beantworten. Eine Bundesratsdiskussion über dieses Thema und eine Entscheidung des Bundesrates, die an den Deutschen Bundestag herangetragen wird, ergibt sich ja nur dann, wenn sich die Ministerpräsidenten von CDU/CSU und SPD zumindest mehrheitlich auf eine gemeinsame Linie verständigen. Da sollte dann der Bund auch nicht in die Diskussion der Länderkammer eingreifen, sondern denen das überlassen.

    Gehm: Der Umgang zwischen Koalition und Opposition, Herr Scholz, ist nicht gerade sonderlich glücklich im Augenblick. Das Bundesverfassungsgericht wird demnächst in einer Eilentscheidung über die Unionsklage in Sachen Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses befinden müssen. Schaukeln sich da nicht politische Kleinkariertheiten hoch?

    Scholz: Sicherlich kann man sehr deutlich feststellen, dass die Empörung bei CDU/CSU und FDP darüber, dass der fast schon für sicher gehaltene Wahlsieg nicht eingetreten ist, sehr spürbar ist. Andererseits ist es so, dass wir alle zusammen arbeiten werden müssen und wir das auch mit großer Ruhe und Gelassenheit betreiben. Schön ist natürlich, wenn die Strukturen so sind, dass nicht Obstruktionen sondern konstruktive Zusammenarbeit im Vordergrund steht. Darum geht es übrigens auch bei der konkreten Frage, die Sie angesprochen haben. Wir wollen, dass die Mehrheiten, die sich im Deutschen Bundestag finden, auch bei der Diskussion über Vermittlungsergebnisse eine Rolle spielen, weil es ansonsten sehr zeitaufwendig ist und in ganz vielen Runden immer wieder neu bewegt werden muss, was wir vorhaben.

    Gehm: Die Mehrheiten sind eng. Rot-Grün hat gesagt: Mehrheit ist Mehrheit. Diese Mehrheit muss sich ja auch Tag für Tag beweisen. Sind Sie zuversichtlich?

    Scholz: Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Mehrheit sich beweisen wird. Enge Mehrheiten führen ja zu mehr Verantwortlichkeit bei den einzelnen Abgeordneten. Aus Sicht eines Generalsekretärs ist das durchaus keine schlechte Lage.

    Gehm: Wenn der Bundestag demnächst über die Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr zu entscheiden hat, Herr Scholz, steht dann diese Mehrheit auch?

    Scholz: Die Mehrheit steht, sie hat gestanden und wird weiter stehen.

    Gehm: Herr Scholz, neben den Schlagzeilen, welche uns die Koalition derzeit mit ihrem Sparpaket beschert, ist auch die FDP rührig in diesen Wochen – Stichwort 'Spendenaffäre'. Der Staatsanwalt hat schon Arbeit, und im Zweifel wird auch ein Untersuchungsausschuss bald Arbeit haben.

    Scholz: Die Spendenaffäre muss aufgeklärt werden. Wir wünschen uns, dass die FDP dazu ihren eigenen Beitrag leistet, nichts vertuscht und hinter dem Berg hält. Im übrigen ist das eigentliche Problem der FDP ja nicht nur diese Spendenaffäre, sondern, was alles aus den möllemannschen Eskapaden wird und wer an ihnen eigentlich beteiligt war. Da bin ich wirklich sehr gespannt, denn man konnte ja schon im Sommer feststellen, dass der eine oder andere, der sich jetzt so sehr von Herrn Möllemann abgrenzt, zum Beispiel Herr Westerwelle, doch eine Zeit lang den Gedanken nicht loswerden konnte, dass man mit so einer Art 'Möllemannstrategie', auch, was dessen politischen Konzepte betrifft, Zustimmung bei Wählern kriegen kann. Das rächt sich jetzt.

    Gehm: Nach dieser Klausurtagung der FDP-Spitzengremien - sehen Sie den Vorsitzenden aus der Bedrängnis?

    Scholz: Die FDP hat einen Vorsitzenden, der vor allem dadurch beschützt wird, dass die Personaldecke bei der FDP so dünn ist, dass keiner wüsste, wer ihm nachfolgen sollte. Wäre es so, dass da zwei/drei gute Politiker oder Politikerinnen wären, denen man ohne weiteres den Vorsitz der FDP zutraute, wäre Herr Westerwelle möglicherweise schon nicht mehr im Amt.

    Gehm: In Sachen Parteispenden, Herr Scholz, ist ja auch die SPD ein gebranntes Kind. Die letzte Parteispendenaffäre wird derzeit vor Gericht in Köln ausgefochten. Einen Vergleichsvorschlag hat die Partei dieser Tage rigoros abgelehnt. Ist das eine pädagogische Maßnahme, ein Zeigefinger?

    Scholz: Wir wollen in der Frage 'Parteispenden und -finanzierung' unnachsichtig sein. Und wenn bei uns Leute sich danebenbenommen haben, dann können sie nicht auf unsere Milde rechnen. Das ist das, was wir damit ausdrücken wollen. Wir verlangen Schadenersatz von denjenigen, die sich danebenbenommen haben. Da gibt es keinen Platz für Milde sondern nur Platz für alle Härte.

    Gehm: Wir bleiben bei der SPD und ihrem neuen Generalsekretär. Was haben Sie sich vorgenommen?

    Scholz: Ich habe mir vorgenommen, dafür zu sorgen, dass die SPD als Regierungspartei eine spannende Partei ist. Das setzt voraus, dass die Dinge, die die Menschen bewegen, bei uns diskutiert werden - auch die, die demnächst als Probleme erst auftauchen, frühzeitig und rechtzeitig und vielleicht gleicht, bevor es losgeht, bei uns eine Rolle spielen. Denn nichts wäre schlimmer als eine Partei, die nicht interessanter ist als das, was man in Zeitungen, Rundfunksendungen und Fernsehsendungen auch mitbekommen kann. Und wenn uns das gelingt und die Menschen sich daran beteiligen können, dann wird es auch gelingen, dass unsere Partei die Kraft ihrer vielen hunderttausend Mitglieder in das politische Geschehen einbringen kann.

    Gehm: Peter Glotz, lange her, hatte einst von der Unbeweglichkeit des Tankers gesprochen und die SPD gemeint. Wie beweglich oder wie unbeweglich ist die SPD denn heute?

    Scholz: Die SPD ist eine große Partei, und daraus ergeben sich Vorteile und auch Schwierigkeiten. Es kommen in unseren Ortsvereinen Menschen zusammen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen was Bildung, Beruf und Erfahrung betrifft. Und das alles nutzbar zu machen, das macht nach wie vor die demokratische Kraft unserer bald 140 Jahre alten Partei aus. Und was wir gleichzeitig herstellen müssen, ist, dass wir uns damit auseinandersetzen, dass die Menschen heute nicht mehr – wie ich zum Beispiel – mit 17 in die SPD eintreten und ein Leben lang dabei bleiben, sondern dass sie erst einmal gucken. Und deshalb brauchen wir Wege, wie man als Interessierter oder Interessierte schon einmal mitdiskutieren kann und dann vielleicht hängenbleibt. Das werden wir vermehren, da haben wir viele Dinge in der Vergangenheit getan und das werden wir auch in Zukunft weiter so handhaben.

    Gehm: Allerdings, in einem Punkt ist Ihr Vorgänger als Generalsekretär gescheitert: Das war das Thema 'Modernisierung der SPD – Parteireform'. Schreckt Sie das oder spornt Sie das an?

    Scholz: Klaus Müntefering ist nicht gescheitert mit der Parteireform. Einige Vorschläge sind nicht von allen unterstützt worden. Das betraf insbesondere die Beteiligung von Nichtmitgliedern an der Auswahl von Kandidaten für den Deutschen Bundestag. Ansonsten ist das in die Kultur der politischen Personalfindung unserer Partei mehr übergegangen, als viele schon bemerkt haben, und es wird darauf ankommen, dass wir das weiter machen. Denn nicht hier in der Berliner Parteizentrale werden Kandidaten ausgesucht, und jemand, der mit mir einen Rotwein trinkt und einen guten Eindruck macht, kriegt nicht gleich ein Bundestagsmandat, sondern es ist schon so, dass man in einer Demokratie andere Menschen überzeugen muss. Aber es ist sicher richtig, dass wir überall das Verständnis dafür wecken und fördern müssen, dass es neben denjenigen, die schon dabei sind, die viel Erfahrung in der Partei und in der Diskussion mit der Bevölkerung als Vertreter der SPD gewonnen haben, auch andere darunter sein müssen, die aus anderen Strukturen unserer Gesellschaft Erfahrung mit einbringen. Und das kann uns im richtigen Verhältnis zueinander nur nützen.

    Gehm: Die SPD steht auch vor der Aufgabe, eine neues Parteiprogramm zu verabschieden. Da ist nun vieles aufgeschrieben worden. Wann aber soll dieses Programm verabschiedet werden und vor allem: Was soll die Botschaft sein?

    Scholz: Wir diskutieren über unser neues Grundsatzprogramm. Es gibt einen Zwischenbericht, in dem sehr sorgfältig aufgeschrieben worden ist, was alles zu diskutieren, zu bewegen und zu erörtern ist. Jetzt werden wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie es konkret weitergehen soll. Es macht keinen Sinn, ein Programm zu schreiben, von dem die Mitglieder nichts mitkriegen, vor allem nicht, solange es noch nicht entschieden ist, sondern es muss ja dann auch die Mitgliedschaft bewegen und begleiten. Ich glaube, dass unser Parteiprogramm davon profitieren kann, dass wir es das erste mal schreiben als Regierungspartei. Alle Parteigrundsatzprogramme, die wir geschrieben haben, sind immer in den Zwischenphasen geschrieben worden. Ich denke, dass die Fortschreibung unseres Programms nicht in noch mehr Länge besteht, dass das nächste Parteiprogramm dann 500 Seiten hat oder so ähnlich, sondern dass wir Ziele benennen, Anliegen, die die SPD begleiten in dieser Welt und das dann thesenartig zusammenfassen. Das ist der Sinn der Sache.

    Gehm: In zwei Jahren, wenn sich die Hamburger SPD dranmacht, die Wahlen zu gestalten, eine Spitzenkandidaten zu wählen, um die derzeitige Hamburger Stadtregierung abzulösen - wie wird Ihre Botschaft sein?

    Scholz: Unsere Botschaft wird im Hinblick auf die Regierung aus CDU, FDP und der Partei des Herrn Schill sein: Die können das nicht. Es hat nichts gebracht, und man sollte die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wieder dranlassen.