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Schorlemmer kritisiert "römische Arroganz" der katholischen Kirche

Die katholische Kirche habe Angst vor Reformen, sagt der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer. Von den Gesprächen zwischen Papst und Vertretern der Evangelischen Kirche erwarte er daher nichts.

Friedrich Schorlemmer im Gespräch mit Gerd Breker | 23.09.2011
    Gerd Breker: Der zweite Tag des Papstes in seiner Heimat in Deutschland. Der Staatsbesuch geht langsam über in den Besuch des Kirchenführers. Der Dialog mit den Religionen hat am Vormittag noch in Berlin begonnen, nun folgt der Besuch im Lande Luthers und kann die bislang ausgesparte Ökumene zum Thema werden. Der Bischof der evangelischen Kirche von Berlin und Brandenburg, Markus Dröge, hat sich von den bisherigen Äußerungen des Papstes mit Blick auf die Ökumene enttäuscht gezeigt. Insbesondere vom ökumenischen Gottesdienst in Erfurt heute erhofft er sich ein Zeichen.

    Der Papst in Luther-Land. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, hat heute früh in diesem Sender seine Erwartungen an den Besuch des Papstes benannt.

    "Er bedeutet, dass die Tonlage eine völlig andere geworden ist und dass die Katholische Kirche sich verändert hat. Sie hat manche der Grundeinsichten der Reformation auch für sich ganz stark gemacht, etwa die Zentrierung des Glaubens auf Jesus Christus, etwa die große Bedeutung der Heiligen Schrift. Das sind Dinge, die uns heute verbinden und nicht trennen. Die Ökumene wird nicht morgen oder heute Nachmittag neu sein. Es ist aber auch nicht so, dass wir uns einfach nur freundlich begegnen können, so nach dem Motto "schön, dass wir uns mal gesehen haben", sondern ich hoffe doch, dass es Impulse geben wird."

    Breker: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, heute früh im Deutschlandfunk. – Und am Telefon begrüße ich nun Friedrich Schorlemmer, ehemaliger Leiter der Evangelischen Akademie Wittenberg, evangelischer Pfarrer aus der Luther-Stadt Wittenberg. Guten Tag, Herr Schorlemmer.

    Friedrich Schorlemmer: Guten Tag.

    Breker: Herr Schorlemmer, wenn Sie zusammenfassen sollen, was Ihre Erwartungen an die heutigen Gespräche sind?

    Schorlemmer: Ich hatte zunächst erwartet, dass der Papst bei seiner Reise auch mit den innerkatholischen Kritikern spricht, mit den 200 Theologieprofessoren, die wichtige Fragen an die Kirche stellen, anstatt dass er sagt, dass die Kirche das größte Geschenk Gottes an die Welt sei. Die Kirche ist die Gemeinschaft der geheiligten Sünder, und darüber muss auch im Augustinerkloster jetzt gesprochen werden. Ich habe keine Erwartungen an dieses Gespräch, außer dass es einen symbolischen Wert hat, dass er an eine Wirkungsstätte des Reformators geht, denn man will hinterher gar nichts sagen. Also ist das, was man da besprochen hat, nicht der Rede wert. Ich habe leider keine Erwartungen nach dem, was bisher war, denn was ich bisher auch gesehen habe, war viel Schall und Weihrauch einer etwas triumphalistisch auftretenden Kirche.

    Breker: Bislang war der Papst in seinen Äußerungen ja allgemein-philosophisch, in seiner Rede vor dem Bundestag. Er hat wenig gesagt zu den tatsächlichen Problemen der Menschen, auch der Christen hierzulande. Erwarten Sie da eine Änderung?

    Schorlemmer: Er hat ja noch einen Tag Zeit. Aber ich meine, was ich ganz gut und richtig finde, dass er die Gerechtigkeit als Basis des Friedens hervorgehoben hat. Das sind doch wichtige Aussagen, die für politisches Handeln auch von Bedeutung sind. Aber wenn er schon über Ökologie spricht, dann doch nicht nur um die Gefahr der Manipulierung menschlichen Lebens, sondern auch der Zerstörung, der Ausbeutung, des Umganges mit den Tieren, des Verbrauchs und der Vernichtung von Natur. Er hat sich dem Konkreten fast völlig entzogen. Und was mich besonders aufgeregt hat, als Protestanten natürlich, dass er über die Philosophie der Antike, das christliche Mittelalter direkt in die Aufklärungszeit kommt und die Reformation da völlig herauslässt bei seiner Rede. Also das verstehe ich nicht. Und er hat auch nicht, was einem Christen gut anstünde, mea culpa gesagt, denn die Menschenrechte sind gegen die Kirchen durchgesetzt worden und nicht unser Produkt, wiewohl die Menschenrechte, glaube ich, dem christlichen Menschenbild entsprechen.

    Breker: Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider – wir haben es eben gehört -, sieht schon einen Wandel innerhalb der Katholischen Kirche. Sehen Sie den auch?

    Schorlemmer: Ja wenn man so bescheiden ist wie der Ratsvorsitzende, dann sieht man einen Wandel. So bescheiden bin ich nicht nach 500 Jahren. Was bilden wir auch für ein Bild gegenüber den Nichtchristen mit unserer Zerstrittenheit, oder damit, dass wir nicht in der Lage sind, einander zum heiligen Abendmahl, zur heiligen Eucharistie einfach nur einzuladen. Und dass der Papst darauf verzichtet, hat bisher, die Fragen der katholischen Christen, unserer beiden höchsten Repräsentanten, des Bundespräsidenten und des Bundestagspräsidenten, irgendwie zu beantworten, wenn er nicht mal das tut, wieso soll er dann auf evangelische zugehen.

    Breker: Kann die katholische Kirche, ist sie eigentlich in der Lage, sich stark genug, sich wirklich zu öffnen, sich zu wandeln, sich ein wenig zu reformieren? Ist das der Fall?

    Schorlemmer: Sie hat, glaube ich, Angst davor, wenn sie anfängt, sich zu reformieren, dass das Ganze dann irgendwie zusammenfällt, und deswegen polemisiert der Papst stark gegen Relativismus, aber was er macht, ist auch ein alter Dogmatismus. Er ist gegen Individualismus und an die Stelle kommt dann so ein kirchlicher Kollektivismus. Nein, es geht um die Freiheit des Individuums in der Gemeinschaft von Menschen, die den richtigen Weg nach dem Leben suchen, und dazu gleichzeitig, wie die 300 katholischen Priester sagten, gleichzeitig klar machen, dass wir auch mit der Sünde in den eigenen Reihen ernst machen und dann von Versöhnung sprechen. Ich hoffe, dass er auch noch eine Begegnung mit den Missbrauchsopfern sucht. Das wäre ein wichtiges Signal.

    Breker: Herr Schorlemmer, man fragt sich ja, wenn es denn überhaupt eine Annäherung zwischen der katholischen und der reformierten Kirche geben soll, wer soll das denn bewerkstelligen aufseiten der Katholiken, wenn nicht ein Papst, der in Deutschland geboren ist, im Land der Reformation geboren ist. Ist das eine Chance, die, wenn sie nicht genutzt wird, vertan ist?

    Schorlemmer: Das wäre sehr, sehr schade. Die ist schon vertan. Leider hat er ja schon in seiner 30-jährigen Tätigkeit in Rom eher das sehr Konservative betont. Er hätte doch auch als ehemaliger Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils das Zweite Vatikanische Konzil eher fortsetzen sollen. Aber er hat da nichts bewegt und ich denke, auch Johannes-Paul II. hat da nichts bewegt. Das finde ich einfach sehr, sehr schade, denn er müsste ja auch wissen, was es heißt, in einem Land zu leben, wo es mehrere Kirchen gibt, und das sind Kirchen, und nicht "die Kirche" und dann noch einige Glaubensgemeinschaften. Diese römische Arroganz müsste als Erstes abgelegt werden, und dafür ist er leider mitverantwortlich, ein Mann, der ansonsten auch sehr bescheiden auftritt, ein eher schüchterner Mensch zu sein scheint, und doch den Menschen wie gestern im Stadion, doch den katholischen Menschen eine Glaubensstärkung gibt, aber auch gleichzeitig Treue einschwört zur Kirche, und dann gibt es nur eine Kirche, das ist die Kirche, die römische. Also dieser römische Alleinvertretungsanspruch muss eigentlich weg. Wir müssen zu einer Einheit in versöhnter Vielfalt kommen. Das ist auch das, was die Welt von uns erwartet, und ich glaube, das entspricht auch dem Geist Christi.

    Breker: Also das, was da im Augustinerkloster gleich ablaufen wird, aus Ihrer Sicht mehr eine Showveranstaltung?

    Schorlemmer: Nein, keine Show, aber außer reden nichts gewesen.

    Breker: Friedrich Schorlemmer war das, evangelischer Pfarrer aus der Luther-Stadt Wittenberg und zu DDR-Zeiten Bürgerrechtler. Herr Schorlemmer, ich danke Ihnen für Ihre klaren Worte.

    Schorlemmer: Ja ich hoffe, dass es doch anders wird, als ich denke.