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Schottland
Befürworter der Unabhängigkeit holen auf

Noch gut zwei Wochen, dann entscheiden die Schotten über eine mögliche Unabhängigkeit. Dass es wirklich soweit kommen könnte, glaubte zu Beginn der Kampagne kaum einer. Doch die YES-Scotland-Bewegung hat enorm aufgeholt: Umfragen zufolge liegen die Better-Together-Unionisten nur noch sechs Prozent vor den Befürwortern der Unabhängigkeit.

Von Jochen Spengler | 03.09.2014
    Rühren die Werbeltrommel für die Unabhängigkeit: die blau-weiße YES-Scotland Bewegung
    Rühren die Werbeltrommel für die Unabhängigkeit: die blau-weiße YES-Scotland Bewegung (AFP / Andy Buchanan)
    Gerade ein Jahr ist es her, als Peter Kellner, Meinungsforscher und Chef des renommierten Instituts YouGov, voraussagt, dass es nichts werde mit dem Unabhängigkeitsreferendum, vielleicht in 20 Jahren:
    "Je näher wir dem Entscheidungstermin rücken, desto mehr Leute fragen sich: Was bedeutet Unabhängigkeit denn konkret? Und die Schotten denken: Meine Güte, was für ein Schlamassel."
    Kellner ermittelt damals: 59 Prozent gegen die Unabhängigkeit, nur 29 Prozent dafür. Doch Kellners Prognose erweist sich als vorschnell. Zwar liegen in bislang 80 Meinungsumfragen die Separatisten niemals vorn, aber sie haben inzwischen Boden gut gemacht.
    Ihre Initialzündung war nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh, die 700 Seiten dicke Vision für ein unabhängiges Schottland, die im letzten November Aufbruch signalisiert.
    "Die Leute wollen Ideen für das unabhängige Schottland haben, nicht nur die negativen Sachen über den jetzigen Stand, und parallel hat sich die No-Seite, die Better-Together-Seite auf Themen konzentriert, die die Wähler nicht besonders bewegen und nicht wahlentscheidend sind, nämlich Europa und die Währungsfrage. Auch als Barroso gesagt hat, ihr könnt das nicht, wo schnell herauskam, das war mit Cameron abgesprochen, das kommt nie gut an in Schottland."
    Statt eine goldene glänzende Vision für ein Schottland innerhalb Großbritanniens zu präsentieren, schüren die Unionisten in London Angst; sie warnen vor der Unsicherheit, davor dass ein unabhängiges Land nicht so ohne weiteres EU-Mitglied werden und auch nicht das Pfund als Währung behalten könne.
    Die Separatisten halten dagegen, dass ein Schottland ohne England wirtschaftlich besser dastehen werde. Denn wahlentscheidend ist die Wirtschaftsperspektive eines eigenständigen Staats:
    "Wer glaubt, Schottlands Wirtschaft geht es besser danach, wählt ja!"
    Alistair Darling (links) und Alex Salmond lieferten sich im letzten TV-Duell vor dem Unabhängigkeitsreferendum in Schottland ein hitziges TV-Duell.
    Alistair Darling (links) und Alex Salmond lieferten sich im letzten TV-Duell vor dem Unabhängigkeitsreferendum in Schottland ein hitziges TV-Duell. (AFP / David Cheskin)
    Über Monate kann die Ja-Kampagne ihren Rückstand peu à peu verringern, und vor eineinhalb Wochen bekommt ihr Anführer Alex Salmond in einem TV-Duell viel Beifall für sein Hauptargument: Schottland Zukunft solle in der Hand der Schotten selbst liegen:
    "Wir glauben, dass wir uns selbst besser regieren können als irgendjemand anders. Wir müssen uns nicht erst erheben und zu einer Nation werden. Wir müssen bloß dafür stimmen, an uns selbst zu glauben. Dies ist unsere Zeit, unser Moment – lasst ihn uns mit beiden Händen greifen."
    Salmonds Visionen elektrisieren das Land, überall wird diskutiert, in den Familien, im Pub, im Radio und Fernsehen.

    Und wer in diesen Tagen durch Schottland fährt, gewinnt den Eindruck, das Rennen sei bereits gelaufen - zugunsten der Unabhängigkeit: auf Straßen und Plätzen, in Dörfern und Städten sieht man vor allem die blau-weißen YES-Scotland Plakate, Schilder und Aufkleber der Ja-Basisbewegung; ein buntes Heer von Freiwilligen aus vielen politischen Lagern: Sie sind jeden Tag unterwegs, klopfen an Türen, verteilen Flugblätter. Sie sind leidenschaftlicher und oft auch aggressiver als Unions-Anhänger wie der Labour Abgeordnete Jim Murphy.
    Kampagnen-Plakat gegen die Unabhängigkeit Schottlands
    Kampagnen-Plakat gegen die Unabhängigkeit Schottlands (AFP / Andy Buchanan)
    Er wird von einem Mob als Verräter niedergeschrieen und attackiert und muss seine Werbetour unterbrechen. Pro-Union-Promis erhalten Hassmails, viele Anhänger wirken eingeschüchtert, Geschäftsleute wollen sich nicht öffentlich äußern. Vielleicht werden sie sich klammheimlich an der Wahlurne rächen. 80 Prozent Beteiligung könnten es werden und es wird auf jede Stimme ankommen.
    Denn es ist wie ein Paukenschlag, als Peter Kellners YouGov gestern bekanntgibt, dass die einstige 30-Punkte-Führung der Better-Together-Unionisten auf nurmehr sechs Punkte geschrumpft ist. Nur noch 48 Prozent sind derzeit gegen, aber schon 42 für die Unabhängigkeit – zehn Prozent wissen noch nicht.
    Fazit des Wahlforschers John Curtice:
    "Das Nein-Lager ist noch vorne, aber es sieht so aus, als ob die Ja-Seite in den letzten zwei/drei Wochen ziemlichen Schwung bekommen hat. Beide werden in den letzten vierzehn Tagen hart kämpfen, weil das Nein-Lager nun nicht mehr sicher sein kann zu gewinnen und die Ja-Seite noch auf einen Sieg hoffen darf."