Donnerstag, 25. April 2024

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Schottlands Natur im Wandel
Lachsfarmen auf dem Vormarsch

Die schottische Lachsindustrie profitiert davon, dass China sauer ist auf Norwegen. Hat es das Nobelpreiskomitee in Oslo doch gewagt, dem chinesischen Dissidenten Liu Xiabo den Friedensnobelpreis zu geben. China kauft seitdem keinen Lachs mehr aus Norwegen, dafür hat Schottland seine Lachs-Exporte nach China verdoppelt. Dass die Firmen zum Teil dieselben sind, stört Peking nicht.

Von Gabor Paal | 11.08.2016
    Ein Monitor zur Überwachung der Lachsbestände in Schottland
    Überwachung der Lachsbestände in Schottland (Deutschlandradio / Gabor Paal)
    Marine Harvest, ein norwegischer Aquakultur-Konzern – hat schon seit langem eine Niederlassung im schottischen Fort William. Dort hat auch Manager Steve Bracken sein Büro.
    "1971 hat Schottland 14 Tonnen Lachs produziert. Heute sind es 160.000 Tonnen. Wir haben 47 Lachsfarmen, und wollen immer noch expandieren, ebenso wie unsere Konkurrenz."
    Zur nächstgelegenen Lachsfarm von Marine Harvest muss Bracken nicht weit fahren. Eine knappe halbe Stunde mit dem Auto und dann noch mit der Fähre ans andere Ufer des malerischen Loch Linnhe.
    Ein "Loch" bezeichnet im schottischen Gälisch beides: Sowohl die langgezogenen Binnenseen, die die von eiszeitlichen Gletschern ausgeschabten Täler füllen – wie das berühmte Loch Ness. Als auch die fjordähnlichen und ebenso langgezogenen Meeresbuchten und Meeresarme. Manche Lochs enthalten also Süßwasser, andere Salzwasser. Und an der zerklüfteten schottischen Westküste liegen beide nah beieinander. Dadurch eignen sie sich für die Lachszucht besonders gut. Denn Lachse leben sowohl im Salz- als auch im Süßwasser, je nach Entwicklungsstadium. Zudem gibt es in den geschützten Meerwasser-Lochs praktisch keinen Wellengang.
    "Im Süßwasser ziehen wir die jungen Lachse, die Salmlinge, auf. Nach einem Jahr bringen wir sie dann auf die Farm im Salzwasserloch. Und nach einem weiteren Jahr 'ernten' wir die Fische. Die größten wiegen dann etwa vier Kilo. Anschließend ist Farm erst mal leer. Es folgt dann eine Brachperiode – wie es sie im Ackerbau auch gibt: Eine Phase, in der die Farm ruht. Die Zeit nutzen wir, um die Geräte und die Anlage zu reinigen, um dann wieder von vorne anzufangen."
    Starke Schlauchleitungen führen vom Ufer zur Zuchtstation. Sie transportieren das Futter zu den Lachsen. Menge und Zusammensetzung werden von Mitarbeiter Chris Ryan genau eingestellt.
    Das Futter bestehe aus Fischmehl und Fischöl. Aber auch aus Pflanzeneiweiß und pflanzlichem Öl. - Außerdem sind Vitamine und Mineralien beigemischt, ergänzt Steve Bracken – und ein Pigment, das die rosa Farbe vom Lachs erzeugt. Das Futter müsse auch gewährleisten, dass die langkettigen Omega3-Fettsäuren und damit der hohe Nährwert vom Lachs erhalten bleiben.
    Dorfbewohner wollen keine Lachsfarm
    Eileen Armstrong kann sich für den hohen Nährwert des Lachses wenig begeistern. Sie betreibt ein Gästehaus auf der Urlaubs-Insel Skye, ziemlich abgelegen, 200 Meter von einem kleinen Strand entfernt – in einem winzigen Ort namens Ord. Von ihrem Wohnzimmer aus hat man einen herrlichen Blick auf die Bucht von Loch Eishort. Auch da soll eine Lachsfarm hin, noch viel größer als die im Loch Linnhe. Geplant von der – auch hier wieder: norwegischen – Firma Grieg Seafood Hjaltland.
    "Loch Eishort ist einer der friedlichsten Orte, die ich kenne. Besucher lieben diese Gegend, sie schätzen die Spaziergänge in dieser schönen Natur und die Stille. Sie baden an unserem Sandstrand und fahren Kayak. Eine Lachsfarm würde nicht nur die Bucht verschandeln, sie macht auch Lärm. Mit einer Fischfarm in der Bucht wäre der Erholungswert dahin und unsere Gäste würden nicht mehr kommen."

    Eileen Armstrong hat sich deshalb mit Umweltschützern in der Region zusammen getan, die noch ganz andere Argumente gegen Lachsfarmen haben. Der Biologe James Merryweather kann lange Vorträge halten über die biologische Vielfalt in den schottischen Lochs, die Langustinen, die korallenähnlichen Seefedern, das Seegras. Der Meeresboden eines Lochs sei ein ganz besonderes Habitat.
    Lachsfarmgegner James Merryweather
    Der Biologe und Lachsfarmgegner James Merryweather (Deutschlandradio / Gabor Paal)
    "Das Habitat von Loch Eishort würde sehr empfindlich reagieren. Die Lachse scheiden Massen an Exkrementen aus. Die Firma selbst spricht von acht- bis neunhundert Tonnen pro Jahr - eine enorme Menge. Sie werden sich nicht nur als Dreckschicht auf dem Meeresboden ablagern, was den Tod vieler Tiere und Pflanzen bedeuten würde. Gelöste Stoffe werden auch zu einer Eutrophierung beitragen, zu einer Anreicherung von Nährstoffen."
    Roger Cottis hat sich ebenfalls dem Widerstand gegen die Lachsfarm angeschlossen. Auch er ein Biologe, Spezialgebiet Meeressäugetiere. Er sieht eines der Hauptprobleme der Lachszucht in den Krankheiten, die dort unfreiwillig gezüchtet werden.
    Diese Farmen sind eine Brutstätte für Seeläuse, die die Lachse befallen. Und wenn kranke Lachse aus einer Lachsfarm entkommen, tragen sie die Seeläuse ins offene Meer und übertragen sie auf wilde Lachse, aber auch auf Meerforellen. Die Lachsfarmen wiederum bekämpfen den Seelausbefall mit Chemikalien – die landen aber dann auch im Meer und schädigen die Krustentiere.
    Seeläuse als größte Herausforderung
    Im Büro von Lachsfarmmanager Chris Ryan stehen mehrere Monitore. Auf ihnen beobachtet er das Geschehen in den schwimmenden Netzgehegen, verfolgt, ob die Lachse das Futter akzeptieren, wie sie sich verhalten. Ob sie von Seeläusen befallen sind. Im Moment sei da aber nichts zu sehen.
    Steve Bracken führt das auf die neue Methode zurück, mit der Marine Harvest seit wenigen Jahren experimentiert: Statt mit Chemikalien werden die Seeläuse mit Hilfe ihres natürlichen Feindes bekämpft: dem Lippfisch.
    "Es stimmt, Seeläuse sind unsere größte Herausforderung. Wir setzen nun in jedes Netz, in dem die Lachse schwimmen, einen Lippfisch dazu. Wenn Seeläuse einen Lachs befallen, frisst der Lippfisch sie ihnen von den Schuppen. So konnten wir hier im letzten Zyklus komplett auf Medikamente oder Chemikalien verzichten."
    Diese Form der biologischen Parasitenbekämpfung hat auch Nachteile. Auch Lippfische müssen gefüttert werden – aber mit anderer Nahrung als die Lachse. Und nach zwei Produktionszyklen hat ein Lippfisch seinen Dienst getan - und dann?
    "Wir wissen noch nicht, was wir mit ihnen machen. Manche sagen, man könne sie doch zu Suppe verarbeiten - das müssen wir sehen. Doch die Gesundheitsbestimmungen schreiben vor, die Fische zu töten, andernfalls könnten sie Krankheiten ins offene Meer tragen."
    Die wenigen bisherigen Versuche reichen allerdings nicht, um die Lachsfarm-Gegner von der Lippfisch-Methode zu überzeugen. Mit Steve Bracken von Marine Harvest fahre ich im Boot noch zu einer der schwimmenden Inseln im Loch und besichtige die Zuchtstation mit den Lachsen. Immer wieder springt einer aus dem Wasser. Doch dann.
    "Was Sie da hören, ist ein Ton, der Seehunde fernhalten soll, die sich sonst durchs Netz beißen würden. Funktioniert nicht immer. Dieses Fiepen ertönt öfter als es vermutlich nötig wäre – einfach um sicher zu gehen."
    Diese Praxis nährt wiederum die Argumente der Lachsfarmgegner.
    "Ja, diese Töne schädigen das Gehör der Seehunde. Aber sie irritieren auch Schweinswale und Delfine. Diese Tiere verwenden akustische Signale zur Ortung und Kommunikation. Wenn sie diesen Tönen ausgesetzt sind, kann das dazu führen, dass sie stranden. Wir sehen tatsächlich strandende Wale rund um Skye – das ist ein echtes Problem."
    Die Lachsfarm-Gegner auf Skye sind optimistisch, dass sie die vor ihrer Küste geplante Lachsfarm noch verhindern können – die Behörden haben Umweltargumente in jüngerer Zeit stärker berücksichtigt und Anträge auf eine Lachsfarm abgelehnt.