Donnerstag, 18. April 2024

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Schriftsteller Doron Rabinovici
"Das Abendland wird in Stellung gebracht"

Der österreichisch-israelische Schriftsteller Doron Rabinovici misstraut der Rede von einer "christlich-jüdischen Tradition". Wer sie bediene, treibe bloß das alte Spiel der pauschalisierenden Ausgrenzung. Die Orientierung an der Idee eines "Abendlands" führe zu weniger Freiheit für alle Minderheiten.

Von Hans Rubinich | 14.08.2018
    Der österreichisch-israelische Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici
    Der österreichisch-israelische Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici (imago / SKATA)
    Doron Rabinovici zählt zu den bekanntesten österreichischen Schriftstellern. In seinen Büchern beschreibt er eine düstere Zukunft. Das hat mit seiner Vergangenheit zu tun.
    Er erzählt: "Meine Großmutter und meine Mutter sind die Überlebenden aus einer großen Familie aus Wilna, dem Jerusalem des Nordens, die zum Großteil ermordet worden ist."
    In seinem Stück "Die letzten Zeugen", uraufgeführt 2013 am Burgtheater in Wien, tragen sechs Schauspieler im Beisein von Überlebenden, darunter auch seine Mutter, Texte über die Schoah vor. Doron Rabinovici will die Deutung der Geschichte nicht den Rechtspopulisten überlassen.
    "Es ist nicht so, dass sie diese Erinnerung ausblenden wollen wegen der Schrecklichkeiten, die damals passiert sind. Das würden sie aushalten. Es ist nicht so, dass die Gräuel, die damals begangen worden sind, nicht zugegeben werden können für diese Kräfte. Sondern es ist aufgrund der Kontinuitäten jener Bedingungen, die damals am Ende zur Vernichtung führten, die es heute noch immer gibt, und auf denen die aufbauen wollen. Das sind rassistische Kräfte. Das sind teils auch antisemitische Kräfte. Das sind auf jeden Fall aber Machtverhältnisse und Strukturen, die noch immer weiterwirken."
    Unter Einschluss der einen gegen die anderen
    Rabinovici sieht die Tendenz, Juden gegen Muslime auszuspielen. Die christlich-jüdische Kultur wird auch in Österreich bemüht. Problematisch sei es nun, so Doron Rabinovici, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einer rechtspopulistischen Partei eine Koalition eingegangen ist, mit der FPÖ.
    Die Freiheitliche Partei Österreichs, einst gegründet von ehemaligen Nationalsozialisten, setzt sich ein für eine sogenannte "Europäische Allianz gegen Islamisierung". Sie ist dafür, die Religion in jedem Reisepass eintragen zu lassen. Der neue Innenminister Herbert Kickel von der FPÖ sprach vor kurzem davon, Asylbewerber sollten in Zukunft "konzentriert in Grundversorgungsnetzen" untergebracht werden. Journalisten empörten sich darüber, seine Formulierung klinge wie NS-Konzentrationslager. Und immer warnt die FPÖ vor einer Islamisierung Österreichs, vor dem Untergang des Abendlandes. Das Abendland sei christlich-jüdisch geprägt. Rabinovici:
    "Das ist sehr lustig, weil solange es nicht darum ging, gegen Muslime zu hetzen, war von der christlich-jüdischen Tradition weniger die Rede. Sie wird hervorgeholt, um eigentlich das zu tun, was eine jüdisch-christliche Tradition jahrhundertelang verhindert hat. Es war keine jüdisch-christliche Tradition. Es war eine Tradition gegen den Juden als Außenseiter. Durch Jahrhunderte hindurch zieht sich wie ein roter Faden, wie eine Blutspur, der Hass gegen die Juden. Das ist es. Und nun ist es so, dass im Namen der Aufklärung das Abendland gegen den Islam, das jüdisch-christliche Abendland, das es so gar nicht gegeben hat, gegen den Islam in Stellung gebracht werden soll."
    Das alte Spiel heißt: "Ich pauschalisiere"
    Doron Rabinovici wird in 1961 in Tel Aviv geboren, drei Jahre später siedelt die Familie nach Wien um. 1997 erscheint sein erster Roman "Auf der Suche nach M". Nach dem Studium promoviert er im Jahr 2000. Im selben Jahr kommt die FPÖ an die Regierung. Doron Rabinovici und viele andere rufen zur Großdemonstration auf. Seiner Meinung mache diese Partei, damals wie heute, in der deutschnationalen Tradition weiter, als ob es den Nationalsozialismus nie gegeben hätte. Doron Rabinovici plädiert damals wie heute für ein freies Denken, das von keiner Religion bestimmt wird.
    "Wenn wir die freie Gesellschaft verteidigen wollen, dann müssen wir auf mehreren Seiten zugleich kämpfen und zwar gegen Rassisten und Antisemiten auf allen Ebenen. Wir können es uns nicht aussuchen. Wir können nicht mit dem einen Antisemitismus Frieden schließen, um gegen den anderen zu Felde zu ziehen. In dem Moment, wo ich sage: 'der Islam', 'die Muslime', spiele ich das alte Spiel, das ich gegen die Juden gespielt habe, weiter. Ich pauschalisiere. Und ich sehe die Welt aufgeteilt in ethnische oder religiöse Gruppen. Das aber bedeutet, dass alle jene, die glauben: Na ja, jetzt aber sind die Juden auf der Butterseite, die irren sich. Sie irren sich deswegen, weil in einem Europa, das wieder Abendland werden möchte, werden alle Minderheiten letztlich in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Es kann nicht sein. Es ist wie Flächenbombardements für die Menschenrechte. Also, das funktioniert nicht."
    Keine ernsthafte religionspolitische Diskussion
    Er vermisst in Österreich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit religionspolitischen Fragen.
    "Nämlich wenn wir diskutieren über kulturelle Fragen. Das Schächten, die Beschneidung, das Kopftuch - alles Themen, über die diskutiert werden kann, aber wenn sie ins Zentrum der Auseinandersetzung geraten und nur noch darüber diskutiert wird, dann haben wir eine Erfahrung. Wir haben Erfahrung. Nämlich der Diskurs über das Ressentiment kann hochgehen wie ein Feuer ganz schnell, und das ergreift dann die gesamte Gesellschaft."
    In Österreich hätten sich, so Doron Rabinovici, die politischen Machtverhältnisse seit einem halben Jahr, seit den vergangenen Wahlen, verschoben:
    "Ich sehe das auf der Straße, wo ich wohne. Ich lebe im zweiten Bezirk. Ich habe dort orthodoxe Nachbarn. Ich sehe auch muslimische Familien. Ich sehe das und dennoch sehe ich auch das andere in der richtigen Proportion. Und das, was ich tue, ist, dass ich mich gegen den Rassismus da und dort wehre. Und ich bin nicht bereit für die rechten Rassisten das Kanonenfutter abzugeben, für ihren Rassismus. Auf keinen Fall."