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Schriftstellerin Lara Schützsack
"Kinder haben einen direkteren Zugang zum Leben"

Familienstrukturen, Trennungen und wie Jugendliche in schwierigen Situationen ihren Weg finden: Das sind die Themen der Bücher von Lara Schützsack. Mit ihren Geschichten will sie Kindern etwas zutrauen - und auch zumuten.

Lara Schützsack im Gespräch mit Ute Wegmann | 13.04.2019
Nordrhein-Westfalen, Köln: Kinder lesen im Leseclub der Katholischen Grundschule Kapitelstrasse.
Lara Schützsacks Bücher sind immer aus der Sicht der Kinder erzählt, sagt sie selbst (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Ute Wegmann: "Und auch so bitterkalt" ist der Titel des 2014 erschienen Romans, mit dem Lara Schützsack sowohl den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis als auch den Ulla-Hahn-Autorenpreis gewann.
Lara Schützsack, geboren 1981 in Hamburg, studierte Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaften und Amerikanische Literatur an der Universität Potsdam, danach begann sie ein Drehbuchstudium an der Film- und Fernsehakademie Berlin.
"Draußen ist Sommer", das erste Drehbuch lief im Kino, hatte eine Nominierung in Cannes.
Lara Schützsack, Sie leben in Berlin, sind Schriftstellerin, gerade ist Ihr neuer Kinderroman erschienen – über den wir ausführlich sprechen werden - und Sie sind Musikberaterin. Wen beraten Sie?
Lara Schützsack: Musikberaterin, das war damals ein Titel, ich weiß gar nicht, ob der existierte oder ob wir uns einfach so genannt hatten: Ich beriet damals, ich mach das jetzt gar nicht mehr so, Regisseure bei der Auswahl der Musik für ihren Film. Oder auch mal Produzenten, die nicht wussten, welche Musik die Stimmung verstärkt, was sie nehmen sollten. Und weil ich mich sehr gut mit Musik auskannte, das ist jetzt auch nicht mehr wirklich so, hab ich Musikberatung gemacht.
Wegmann: Welche Musik ist Ihr Spezialgebiet? Die Klassik?
Schützsack: Nee, Indie, Pop, Folk, also Indie-Pop ist das, wo ich mich am besten auskenne.
Wegmann: Gibt es eine Lieblingsband?
Schützsack: Ja, Pulp ist eine Lieblingsband, I’m Kloot – nicht so bekannt, deutsche Musik höre ich auch ganz gerne: Gisbert zu Knyphausen. Und auch Klassiker wie Leonhard Cohen oder die Beatles.
"Die Denkvorgänge sind ganz anders"
Wegmann: Na, wenigstens die kenn ich. Sie schreiben ja noch Drehbücher, wie schwierig ist es, vom Roman zum Drehbuch zu wechseln?
Schützsack: Ich finde es relativ schwierig. Ich versuche das immer in Blöcken zu machen, weil ich finde, dass die Arbeit ganz anders ist. Die Denkvorgänge sind ganz anders. Drehbuch schreibe ich ja meistens zusammen mit Regie, das heißt man muss viel kooperativer sein und sich mehr auf Kompromisse einlassen, andererseits ist es auch sozialer, weil man im Austausch ist. Das macht es manchmal auch ein bisschen einfacher zu plotten. Also die Dramaturgie finde ich einfacher beim Drehbuch, weil man es zu zweit macht, das ist nicht so meine Stärke. Und beim Roman sitz ich dann ja mit vielen Sachen alleine. Das ist schön, weil ich gerne so wortmäßig tüftel, aber dramaturgisch ist es auch manchmal schwer.
2 Titel und die Autorin Lara Schützsack
Schreibt gerne Dialoge: Schriftstellerin Lara Schützsack (Cover Sauerländer / Fischer Verlag Autorenportrait (c) Christiane Wöhle)
Wegmann: Man unterscheidet ja beim Drehbuch zwischen Plotterin und Dialogschreiberin. Also sind Sie mehr fokussiert aufs Dialogschreiben?
Schützsack: Ich mag schon gerne das Dialogschreiben und Stimmungsbeschreibungen mag ich auch, aber alles, was Handlung vorantreibt, da bin ich eher zurückhaltend.
Wegmann: Sie schrieben den Roman "Und auch so bitterkalt". Eine Schwesterngeschichte, erzählt aus der Perspektive der jüngeren, die die ältere bewundert, von der eindeutig eine Faszination ausgeht. Aber auch eine Familiengeschichte, denn Lucinda, der Name der älteren, die im Mittelpunkt steht, hat ein Problem: Sie isst nur noch das Minimum, magert zusehends ab, versteigt sich in Fantasiewelten und spricht davon, Muse sein zu wollen. Und in der Tat, sie verzaubert die Jungs. Im Besonderen einen, der ihr regelrecht verfällt. Und weil auch er ein labiler, sensibler Mensch ist, kommt es zur Katastrophe.
Vor allem eine Familiengeschichte
Auf den ersten Blick ein Roman über Magersucht, auf den zweiten Blick und wie es der Titel auch verrät, der an das Märchen "Hänsel und Gretel" erinnert, vor allem eine Familiengeschichte?
Schützsack:Ich sehe es auch vor allem als Familiengeschichte. Der Fokus liegt auf der Beziehung der Schwestern, aber natürlich kann man das in dem Alter nie abgetrennt von den Eltern sehen. Und es ist schon eine spezielle Familienkonstellation und welche Auswirkungen die auf die Kinder hat.
Wegmann: Wir werden natürlich nicht zu viel vom Verlauf der Handlung oder vom Ende verraten, aber kann man in groben Zügen sagen, was da schief läuft in der Familie?
Schützsack: Für mich ist das schwierig zu sagen, weil ich nicht so psychologisch an die Stoffe rangehe, aber ich denke, dass es grundsätzlich so ist, in fast allen meinen Geschichten, dass die Kinder die Rolle der Erwachsenen einnehmen und die Erwachsenen sehr überflexibel sind und vielleicht zu wenig Halt bieten, in dem ,was sie den Kindern anbieten, auch an Regeln.
Wegmann: Würden Sie sagen, dass das ein Phänomen unserer Zeit ist, dass Eltern auch immer sehr mit sich beschäftigt sind und deswegen nicht so eine stabile Basis bieten können?
Schützsack: Das weiß ich nicht genau, ob Eltern heute mehr mit sich beschäftigt sind als früher, aber ich glaube, es ist eine größere Hemmung da, autoritär zu sein und feste Regeln zu bieten. Und ich glaube, dass Eltern häufig sehr viel nachdenken darüber, wie sie was am besten machen und sich in den neuen Konzepten verwirren und vielleicht zu reflektiert sind, um eine "gerade Linie" vorzugeben. Und dass das im Zweifelsfall zum Problem werden kann.
Eine Schwemme von Mädchen mit Essstörungen
Wegmann: Sie haben sich ja in dem Problemfall für die Magersucht entschieden, bei Ihrer Protagonistin Lucinda. Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Schützsack: Wenn ich mich an die Zeit mit 16, 17 Jahren zurückerinnere, so alt wie Lucinda ist, da war das die häufigste psychische Erkrankung, die in meinem Umfeld aufgetreten ist. Ich würde sogar sagen, es gab eine richtige Schwemme von Mädchen, die eine Essstörung hatten, mehr oder weniger ausgeprägt. Ich weiß auch nicht, ob man das immer gleich Magersucht nennt. Es gab aber diese Tendenz dahin. Das war ein großes Thema. Und ich weiß noch, dass die richtig magersüchtigen Mädchen, dass die von einer geheimnisvollen Aura umgeben waren. Man fand das komisch, hat nie darüber geredet, aber ein bisschen war es auch immer etwas Besonderes. Wenn jemand die Sache so durchgezogen hat, dann war das nicht ohne Faszination. Und ich glaube, dass ich diese Faszination aufgreifen wollte.
Wegmann: Um diese Faszination geht es ja vor allem auch zwischen den beiden Schwestern, zwischen der Jüngeren, die die Geschichte erzählt und auf die ältere schaut. War das Buch von Anfang an als Jugendbuch konzipiert?
Schützsack: Eigentlich nicht. Ich hab die Geschichte geschrieben, weil ich sie schreiben wollte. Das war sogar vorher eine Kurzgeschichte, dann ein Drehbuch, dann hab ich daraus einen Roman entwickelt. Und als ich den Roman geschrieben habe, hab ich mir keine Gedanken darüber gemacht, ob ich jetzt einen Jugendroman schreibe oder einen Erwachsenenroman. Das hab ich für mich offen gelassen. Ich hab nicht die ganze Zeit an einen jugendlichen Leser gedacht.
Wegmann: Wie war das dann, als sie schließlich den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis gewannen? War es Freude oder auch eine Irritation?
Schützsack: Da hab ich mich schon gefreut. Es ist ja dann vom Verlag sowohl als Erwachsenenroman als auch als Jugendbuch angeboten worden, ist aber ja bei Fischer KJB erschienen. Und als ich dann den Preis gewonnen habe, habe ich mich gefreut. Klar, ich war auch erstaunt, aber über einen Preis freut man sich.
Geschichte ist immer "ein Zwischenwesen"
Wegmann: Und – ich habe es eben schon erwähnt - der Titel, hat der tatsächlich eine Verbindung zu "Hänsel und Gretel"?
Schützsack: Der Titel kam vom Verlag, ich tu mich sehr schwer mit Titeln, man muss es ja da auf einen Satz oder ein Wort oder ein paar Wörter zusammendampfen. Und dieser Titel kam nun vom Verlag. Ich hab anfangs gehadert, aber gefallen hat mir, dass das Märchenhafte somit drin ist. Und bei allem Realismus hat die Geschichte ja auch etwas Märchenhaftes. Für mich war die Geschichte immer ein Zwischenwesen.
Wegmann: Wir hören mal kurz hinein in die Geschichte "Und auch so bitterkalt". Es liest Lara Schützsack.
Wegmann:Wie kam es zu der Erzählperspektive, warum erzählt die jüngere Schwester die Geschichte?
Schützsack: Sie erzählt, weil ich von Anfang das Gefühl hatte, dass das die interessantere Perspektive ist. Es ging mir ja um Bewunderung. Ich wollte die Geschichte einer symbiotischen Beziehung erzählen, wo eine die andere sehr bewundert. Das war in dem Fall die kleinere Schwester und dann die Essstörung, dass ist ja eine Zwangserkrankung. Und aus der Perspektive der Erkrankten zu erzählen, finde ich nicht so besonders interessant, weil das wohl sich wiederholende Gedankenvorgänge sind, die da stattfinden, das hat mich einfach nicht interessiert. Und es hat mich interessiert, das Thema aus einer anderen Sicht zu sehen. Über Magersucht ist ja schon viel geschrieben worden, aber die andere Perspektive fand ich einen neuen Zugang.
Wegmann: Die Schwester ist elf Jahre alt. Man kann aber nicht sagen, dass es ein Buch für Zwölfjährige ist.
Schützsack: Lucinda ist die Hauptfigur. Und dementsprechend richtet sich das Buch an das Alter. Malina ist eher wie eine Kamera. So war es auch schon im Drehbuch, auf dem der Roman ja basiert. Es gab ein bisschen Off-Text, ihr Voice-Over, ihre Stimme, aber sie agiert wie jemand, der beobachtet. Und die Hauptfigur ist die große Schwester, dafür ist das Buch richtig, für dieses Alter.
"Für mich kein Themenbuch"
Wegmann: Lucinda ist 16, haben wir noch gar nicht gesagt.
Haben Sie für das Buch recherchiert? Mit Psychologen gesprochen?
Schützsack: Nee, hab ich nicht. Es gab genügend Fälle in meinem Umfeld. Es kommen wenige Fachbegriffe vor. Einmal nur diese Behaarung, die Magersüchtige bekommen, wenn sie sehr, sehr dünn sind. Solche Sachen wusste ich schon, dafür musste ich nicht recherchieren. Und es war für mich kein Themenbuch. Also an den Stellen, an denen ich es jetzt nicht gewusst hätte, hätte ich mich rausgezogen und auf der Schwesternebene weitergearbeitet.
Wegmann: Interessant an Ihrer Geschichte: Sie zeigen keine Gründe für Lucindas Verhalten auf, lassen das offen. Und ich habe das Buch auch mit einem offenen Ende gelesen. Ohne dass wir nun konkret darüber sprechen, ich habe dann in der Auseinandersetzung damit gemerkt, dass das durchaus polarisiert. Es gibt Leute, die lesen das Ende ganz eindeutig. Wie ist das für Sie, haben Sie das offen gelassen?
Schützsack: Für mich ist es ein offenes Ende. Wahrheit und Realität sind ja auch Themen. Und es geht um die verschiedenen Wahrheiten, um die Perspektive der Erwachsenen auf Lucinda, um die der kleinen Schwester, die sich ja sehr unterscheidet von der der Erwachsenen. Und das Ende ist für mich auch so: Die Erwachsenen sehen darin was anderes als die kleine Schwester. Von daher ist das für mich ein offenes Ende.
Der Mond und die Sterne
Wegmann: Gast im Büchermarkt ist heute die Schriftstellerin Lara Schützsack. Und wir sprechen über den Roman "Und auch so bitterkalt", ein Jugendroman ab 15 Jahre.
Es gibt nun einen neuen Roman "Sonne, Moon und Sterne", ein Kinderroman, gerade beim Fischer Verlag erschienen und im April auf den Besten 7, der monatlichen Deutschlandfunk-Bestenliste.
Der Mond und die Sterne haben auch im ersten Roman schon eine Rolle gespielt.
Haben Sie einen Bezug zur Astronomie oder mehr zur Astrologie?
Schützsack: Ja, zur Astrologie, ich interessier mich schon für Sternzeichen und glaub da auch ein bisschen dran. Es spielt tatsächlich in beiden Büchern eine Rolle, aber es ist für mich so, dass das eine Buch ganz dunkel und nächtlich ist, während das andere sehr hell ist. Und da die Sterne nur auf einem T-Shirt vorkommen und noch einmal nachts – sie haben eine große Bedeutung, das stimmt – aber in dem Kinderroman ist der Fokus tatsächlich mehr auf der Sonne.
Ein Mädchen mit Namen Gustav
Wegmann: Ich muss jetzt natürlich noch mal nachfragen, bevor wir über den Roman sprechen: Was für ein Sternzeichen sind Sie denn?
Schützsack: Steinbock.
Wegmann: In der neuen Geschichte, ab 11 Jahre, steht ein Mädchen mit dem Namen Gustav im Mittelpunkt. Es geht um einen Sommer, in dem die Eltern auf Abstand gehen, zum ersten Mal der Dänemarkurlaub nicht stattfindet und alles das das Ende der Kindheit signalisiert. Auch hier wie im Debüt ist Pubertät das Hauptmotiv. Was interessiert Sie an dieser Lebensphase?
Schützsack: Mich interessiert, dass es eine Phase des Umbruchs ist, und dass die Regeln so unklar sind, dass überhaupt die Kategorien sich verschieben und es dadurch auch eine gewisse Freiheit gibt, weil man die Koordinaten neu setzt. Das finde ich schön an dem Alter.
"Kinder haben einen direkteren Zugang zum Leben"
Wegmann: Erwachsene, wir haben vorhin schon darüber gesprochen, die sehr mit sich beschäftigt sind, die vor allem eingefahren sind – "Steinmenschen", so heißen sie in Ihrem ersten Roman, die vor allem Angst haben, oder Erkrankungen, oder depressiv sind wie Yella – Moons Mutter. Erwachsene wirken oft schwach und hilflos den Situationen gegenüber, mit denen sie durch Ihre Kinder konfrontiert werden. Oder auch durchs Leben, den Alltag konfrontiert werden.
Schützsack: Kann man so sagen. Das ist zum Einen meine Sicht auf Erwachsene, zum anderen liegt es daran, dass die Bücher immer aus der Sicht der Kinder erzählt sind: Es ist natürlich ihre Sicht auf die Erwachsenen. Verunsichert und schwach wirken die Erwachsenen. Ich finde, dass Kinder einen direkteren Zugang zum Leben haben. Das ist es vielleicht auch. Sie sind direkter verbunden und kommen so nicht ins Zweifeln.
Wegmann: In dem neuen Roman geht es darum, dass die Eltern miteinander Stress haben, sich auf Zeit trennen. Und das Mädchen Gustav, das einfach Gustav heißt, lernt nun jemanden kennen, nämlich den Jungen Moon. Was gibt es Wichtiges, das wir noch wissen müssen?
Schützsack: Die Geschichte erzählt viele Dinge parallel, man kann das gar nicht so auf einen Punkt bringen. Man sollte wissen, dass es um erste Liebe geht, um sich trennende Eltern, um nervige Schwestern in der Pubertät und auch um Freundschaft, wie das ist, wenn Freundschaften brüchig werden und man Angst hat, ob die beste Freundin noch die beste Freundin ist. Aber das alles ist in einem hellen Ton erzählt. Es sind zwar Probleme, aber es spielt auch im Sommer, und ich würde sagen, es ist ein helles, leichtes Buch. Ach so, ja ganz wichtig, es geht noch um alte Haustiere und um die Verbindung, die man zu Ihnen hat.
"Es dauert sehr lange, bis ich zufrieden bin"
Wegmann: Ich würde sagen, wir hören kurz hinein in: "Sonne, Moon und Sterne" – das ist der neue Kinderroman von Lara Schützsack. Feilen Sie viel an Ihren Formulierungen?
Schützsack: Ja, ich bin sehr pedantisch mit Wörtern. Und ich schreib sehr langsam, ich quäle mich lange ab. Und es dauert sehr lange, bis ich zufrieden bin. Sprache ist mir sehr wichtig. Ich achte sehr darauf.
Wegmann: Dieses nicht erklären, etwas offen lassen, Dinge einfach als gegeben setzen wie der Name Gustav, womit hat das zu tun? Ist das vergleichbar mit einem guten Koch, der nicht alle Zutaten zur guten Suppe verraten?
Schützsack: Ich mag es, wenn Dinge indirekt sind, das gefällt mir einfach. Ich mag nicht, wenn Dinge pädagogisch werden: Ich glaube, das in der Schwebe lassen, ist ein bisschen ein Gegenmodell. Es gibt ja viele Kinderbücher, die pädagogisch und erklärend daherkommen. Das hab ich selber früher nicht gern gelesen und deswegen möchte ich es jetzt auch nicht schreiben. Ich orientiere mich schon daran, was habe ich oder hätte ich früher gern gelesen.
Auf eine gute Art alleine gelassen
Wegmann: Was haben Sie gelesen?
Schützsack: Zum einen "Die Reise der kleinen Sophie" von Els Pelgrum und "Die Brüder Löwenherz" von Astrid Lindgren. Was ich an beiden Büchern mochte, dass sie nicht so viel vorgegeben haben. Was ich von guter Kinderliteratur erwarte, ist, dass sie nicht so pädagogisch begleitend ist, sondern dass sie eine Freiheit ist, nicht vorgibt, was ich fühlen soll? ... und dass der Text den Raum lässt, dass sich Kinder selber Gedanken machen und auch Gefühle entwickeln, und dass die Gefühle nicht vorgegeben werden. Gefühle müssen meiner Meinung nach auch nicht immer positiv sein. Die Bücher, die ich in Erinnerung habe, die für mich eine besondere Leseerfahrung waren, dass waren häufig Bücher, die mich traurig gemacht haben, schockiert haben, alles mögliche, die haben was in Bewegung gebracht, zum Schwingen gebracht. Und das ist mir mit Literatur passiert, die mir Freiheiten gelassen hat. Also, die mich auf eine gute Art alleine gelassen hat mit der Geschichte.
Wegmann: Finden Sie, dass die Kinder- und Jugendliteratur sich verändert hat, in dem Sinne, dass zu viel pädagogisiert wird, dass zu viel vorgegeben wird?
Schützsack: Finde ich schon. Fällt mir häufig auf. Ich kann mir vorstellen, dass die Verlage auch ängstlicher geworden sind. Mir wurde jetzt häufiger von Eltern erzählt, die Bücher vorlesen, also selber lesen, bevor sie sie den Kindern geben, das gab es in meiner Kindheit nicht. Was mir auch auffällt, ist dass die Figuren in den Kinderbüchern häufig schon etwas Pädagogisches in sich haben. Ich kann es nicht erklären, ich hab das Gefühl, da ist die Message schon in der Figur drin. Was ich schade finde. Mir ist das zu viel: zu viel message, zu viel Geschichte manchmal auch. Und das geht auf Kosten der Bilder, der Sprache manchmal auch. Und man traut den Kindern auch wenig zu. Das irritiert mich auch. Kinder können doch differenzieren, ihre eigene Sicht auf eine Sache entwickeln, das muss ich doch nicht vorgeben und schreiben, dass ist so, weil ... und alles gut ausgehen lassen. Ganz ehrlich, so ist das Leben ja auch nicht.
Wegmann: Danke, Lara Schützsack, für das Gespräch.
Lara Schützsack: "Und auch so bitterkalt"
Fischer Verlag, Frankfurt/Main
Ab 15 Jahre, 240 Seiten, 14 Euro
Lara Schützsack: "Sonne, Moon und Sterne"
Fischer Verlag, Frankfurt/Main
Ab 11 Jahre, 176 Seiten, 7,99 Euro