Stoiber: Guten Morgen, Frau Durak.
Durak: Herr Stoiber, Sie haben mit dem Vergleich des außenpolitischen Handelns von Kanzler Schröder und Kaiser Wilhelm II. nicht nur die Feuilletons belebt. Wir haben das erlebt und gelesen. Sie haben gesagt: Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik und Attitüde von Großmannssucht - das seien Ausgangspunkte für eine verhängnisvolle Entwicklung gewesen, für die Generationen von Deutschen bitter bezahlt hätten. Schröders unprofessionelles Handeln erinnere in diesem Sinne fatal an Wilhelm II. Bleiben Sie nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers bei dieser Auffassung oder hat er Sie etwa vom Gegenteil überzeugt?
Stoiber: Nein, in keiner Weise. Wir sind ja nun wirklich aus unseren engen Bindungen mit vielen europäischen Staaten, aber vor allen Dingen mit den transatlantischen Verbündeten, mit Amerika im Besonderen, erheblich herausgerissen und stehen im Grunde genommen heute vor einem gespaltenen Europa und vor einem wesentlich verschlechterten Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Das war ja nun die Politik Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, niemals mehr Sonderwege zu gehen, niemals mehr alleine zu stehen, sondern alles eingebettet mit den Europäern und den Amerikanern zu entscheiden, und diese Politik, die Adenauer genau so wie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl betrieben hat, wird nun in einem Maße verändert und gebrochen. Der Kanzler sagt das ja ganz offen, dass er eine wesentliche Veränderung der Außenpolitik haben will und hat damit natürlich Deutschland in eine Isolation getrieben. Wir stehen jetzt an der Seite der Russen und der Chinesen. Das muss man sich mal vorstellen. Das sind beide keine NATO-Mitgliedsstaaten. Schröder hat im Prinzip die Balance, die wir immer ausgehalten haben - enge Freundschaft mit Frankreich, das immer ein Sonderverhältnis zu Amerika hat, aber auch enge Bindungen an das transatlantische Bündnis an Amerika -, aus innenpolitischen Gründen gestört und fast zerstört, und deswegen werden wir dafür auch einen hohen politischen Preis zahlen müssen.
Durak: Die Union, die CDU und die CSU - Ihre Partei -, Herr Stoiber, würde dies jetzt anders handhaben. Sie würden die USA unterstützen. Es hießt ja im Sommer von Ihnen selbst auch, dass Sie die USA nur dann nicht unterstützen würden, wenn sie ohne UNO-Mandat handelten. Inzwischen wissen wir aus der Rede von Präsident Bush spätestens seit gestern, dass er noch einmal sagt: Entweder mit der UNO oder ohne die UNO. Die USA sind fest entschlossen zu handeln. Unterstützen Sie die USA auch dann, wenn die USA ohne die UNO handeln?
Stoiber: Im Sommer war lange Zeit unklar, ob überhaupt der Weltsicherheitsrat von Bush und von Cheney eingeschaltet wird. Das ist ja geschehen, und alles spielt sich jetzt im Weltsicherheitsrat ab, nicht nur alleine im Kongress, nicht nur alleine in Washington, sondern vieles in New York. Nun haben wir die Resolution 1441, die besagt, dass es ernste Konsequenzen hat, wenn der Irak die Auflagen der UNO nicht akzeptiert, wenn er nicht darlegt, was aus seinen Massenvernichtungswaffen geworden ist. Nun gibt es eine ganze Reihe von Personen, wie auch Joschka Fischer, die der Meinung sind, dass diese UNO-Resolution auch für militärische Auseinandersetzungen ausreichen würde, wenn eben festgestellt wird, dass der Irak die Auflagen verletzt hat. Nur will ich jetzt gar nicht spekulieren. Ich gebe der Diplomatie natürlich immer noch eine allerletzte Chance und hoffe, dass vor allen Dingen Saddam Hussein einlenkt.
Durak: Irgendwann aber, Herr Stoiber, kommt es zum Schwur, und das kann ziemlich bald sein. Also Sie sind auch wie andere, die Sie zitieren - mal abgesehen vom Bundesaußenminister -, der Auffassung, dass 1441 ausreicht, um militärisch einzugreifen?
Stoiber: Dieser Schritt muss natürlich geplant werden. Wenn die UNO, wenn der Weltsicherheitsrat feststellt, dass es in den letzten Wochen und Monaten keine entscheidende Kooperation des Saddam Hussein gegeben hat - und dafür ist nun entscheidend, was heute Blix und El Baradei sagen, ich meine, sagen sie, es hat sich etwas verändert, jetzt wird offengelegt, jetzt gibt es eine Chance, dann glaube ich, wird man noch mal sehr, sehr intensiv gemeinsam auch mit den Amerikanern darum ringen müssen, ob man noch für eine kurze Zeit eine Verlängerung vornimmt, um dann zu sehen, ob ein Einlenken stattfindet. Wenn das nicht der Fall ist - das ist aber alles Spekulation -, dann kann es natürlich auch zu einer Entwaffnung mit Gewalt kommen immer in der Abwägung, was dramatischer für uns ist. Ist es dramatischer für uns, jetzt nichts zu tun und die Folgen, die dann möglicherweise entstehen als geringer zu bewerten, oder ist es dramatischer, etwas jetzt zu tun, und die Gefahr, die aus Bagdad insgesamt besteht, mit Gewalt zu beseitigen. Nur, am Ende, wenn es zu einer Entscheidung des Weltsicherheitsrates der UNO kommt, müssen wir - davon bin ich fest überzeugt - an der Seite unserer Verbündeten stehen, an der Seite der Amerikaner, der Spanier, Portugiesen, Holländer, Italiener und vor allen Dingen auch der Osteuropäer, und das ist ja das, was ich Schröder zu allertiefst vorwerfe, dass er aus innenpolitischen Gründen Europa gespalten hat. Wir haben keinerlei europäische Einigung, weil er sich im Sommer festgelegt hat, bevor er mit irgendjemandem - mit Chirac, mit Bush, mit Aznar oder wem auch immer - gesprochen hat. Er hat gesagt: ganz gleich was die UNO beschließt, ich bin auf jeden Fall nicht dabei mit Unterstützungen von militärischen Auseinandersetzungen. Damit hat er sich letzten Endes einmal den diplomatischen Spielraum zugemacht, und er hat die Spaltung Europas in diesen entscheidenden außenpolitischen Fragen hervorgerufen, und jetzt stehen wir wirklich vor den Trümmern einer Bemühung, eine europäische gemeinsame Außenpolitik zu formulieren. Die Europäer sitzen sozusagen im Weltsicherheitsrat heute gespalten da: auf der einen Seite die Briten und die Spanier, auf der anderen Seite die Franzosen und die Deutschen. Das ist natürlich für die europäische Integration und für eine Stimme Europas in diesem schwierigen, weltpolitischen Gefüge eine echte Katastrophe.
Durak: Herr Stoiber, bei Ihrer Aufzählung kurz zuvor haben Sie Frankreich ausgelassen. Das haben Sie ja bewusst getan.
Stoiber: Frankreich, Frau Durak, hat immer eine besondere Situation in der Welt beziehungsweise auch in der NATO gespielt, war teilweise außerhalb der NATO, ist nicht voll eingegliedert. Frankreich hat natürlich auch einen anderen Stellenwert in Europa und in der Welt und auch eine andere politische Vergangenheit als Deutschland. Das Verhältnis mit Frankreich ist ganz eng. Das ist einmal Staatsräson. Aber das andere ist auch Staatsräson - eng mit den Amerikanern. Im Streit zwischen Frankreich und Amerika haben wir uns immer klug verhalten. Wir haben uns nie mit den Amerikanern deswegen auseinandergesetzt, und wir haben immer auch Verständnis für unsere engen Bindungen an Amerika in Frankreich gehabt.
Durak: Ich wollte Sie eigentlich etwas anderes fragen. Ich wollte Sie eigentlich fragen, wie Sie denn jetzt unter diesen Umständen die deutsch-französischen Beziehungen gestalten würden?
Stoiber: Ich muss erst einmal abwarten, wie sich das überhaupt entwickelt, ob sich Frankreich am Ende gegen die Amerikaner stellt, ob Sie ein Veto im Weltsicherheitsrat einlegen, ob es zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen kommt. Das steht noch in den Sternen. In den 50 Jahren UNO hat am Ende immer Frankreich und Amerika zusammengehalten, denn Chirac hat anders als Schröder nach wie vor einen hohen Handlungsspielraum. Er ist im diplomatischen Geschäft, denn er hat nichts ausgeschlossen, wenngleich er natürlich alles versucht, hier die diplomatischen Beziehungen bis zuletzt auszureizen, aber die Feststellung die Schröder getroffen hat - wir sind auf keinen Fall mit irgendwelchen Unterstützungsmaßnahmen im Falle eines Falles dabei -, die hat weder Putin noch Frankreich noch China getroffen, und deswegen ist das in der Tat ein absolut dilettantisches, außenpolitisches Vorgehen, wie sich das kein Kanzler in der Geschichte Deutschlands geleistet hat.
Durak: Ein Wort noch zu Ihrer Partei und auch zur CDU. Das Verhältnis zu den Kirchen. Die Kirchen nehmen eine etwas andere Position ein. Sie reihen sich eher in die Reihe derjenigen ein, die sagen: Wir möchten keinen Krieg. Und ich denke auch daran, dass jüngsten Umfragen zufolge knapp über 70 Prozent der Deutschen einen Krieg ablehnen. Macht Ihnen das keine Sorgen oder denken Sie darüber nicht nach?
Stoiber: Die katholische Kirche ist ja kein politischer Ratgeber in dem Sinne. Das sagt Sie ja selber. Das sagt der Papst, die Bischöfe und die Kardinäle: Wir formulieren unsere ethischen Grundlagen. Nur, die politischen Entscheidungen muss letzten Endes natürlich die Politik treffen. Ich meine, eine moralische Ablehnung von militärischen Maßnahmen und auch hier diese grundsätzlichen, ethischen Positionen zu formulieren, ist ja die Aufgabe der Kirche. Da ist sie eine Autorität wie keine. Auch der Papst hat am Ende des Jahres und Anfang Januar gesagt: Natürlich, das allerletzte Mittel kann man niemals zur Abwendung größter Übel ausschließen.
Durak: Genau, und deshalb die Frage: Wieso Krieg jetzt, wenn noch nicht alle Mittel ausgeschöpft sind?
Stoiber: Das wird sich eben heute zeigen. Ich meine, die Position, dass zwölf Jahre 16 oder 17 Resolutionen der UNO vom Irak missachtet worden sind und dass man letzten Endes auch auf der Seite der Amerikaner fragt, wie lange man denn noch warten will, diesen Mann zur Räson zu bringen - noch mal zehn oder acht oder sieben Jahre -, welche Gefahren entstehen denn daraus? Das ist ein Argument. Das andere Argument hängt von Blix und von El Baradei ab. Wenn die sagen: Ja, es hat sich substanziell etwas verändert. Bisher hat Blix immer gesagt: Sicherlich macht es noch Sinn, die Inspektoren noch zu verstärken, aber die Kooperationsbereitschaft von Saddam Hussein hat sich nicht entscheidend geändert. Das hat er am Dienstag gesagt.
Durak: Worum, Herr Stoiber, ginge es Ihnen denn im Irak, mit dem Irak? Um die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen oder um die Beseitigung des Regimes Saddam Hussein?
Stoiber: Eindeutig natürlich um die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen. Das ist die UNO-Beschlusslage seit 1992. Es ist sicherlich eine Frage, ob überhaupt diese Massenvernichtungswaffen mit Saddam Hussein vernichtet werden können. Das ist dann die zweite Frage. Bei der primären Frage geht es alleine um die Gefahr, die aus den Massenvernichtungswaffen für die Welt besteht. Das ist der Punkt. Das ist unsere Gefahr und da ist die Abwägung: Ist diese Gefahr so groß, dass sie jetzt beseitigt werden muss, bevor diese Massenvernichtungswaffen auf irgendwelchem Wege gegen uns eingesetzt werden oder kann man letzten Endes noch warten, weil Chancen bestehen und weil natürlich Krieg immer ein Versagen der Menschheit letzten Endes darstellt und ein allerallerletztes Mittel ist, mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Man merkt ja allen an, wie man um diese Position ringt und letzten Endes ist es ja immer ungeheuer bitter, dass all diese Frage, die wir hier diskutieren, von einem Mann abhängen, der den Schlüssel letzten Endes in der Hand hat. Das ist Saddam Hussein mit seiner letztendlich verbrecherischen Politik in den letzten Jahren.
Link: Interview als RealAudio
Durak: Herr Stoiber, Sie haben mit dem Vergleich des außenpolitischen Handelns von Kanzler Schröder und Kaiser Wilhelm II. nicht nur die Feuilletons belebt. Wir haben das erlebt und gelesen. Sie haben gesagt: Unzuverlässigkeit in der Außenpolitik und Attitüde von Großmannssucht - das seien Ausgangspunkte für eine verhängnisvolle Entwicklung gewesen, für die Generationen von Deutschen bitter bezahlt hätten. Schröders unprofessionelles Handeln erinnere in diesem Sinne fatal an Wilhelm II. Bleiben Sie nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers bei dieser Auffassung oder hat er Sie etwa vom Gegenteil überzeugt?
Stoiber: Nein, in keiner Weise. Wir sind ja nun wirklich aus unseren engen Bindungen mit vielen europäischen Staaten, aber vor allen Dingen mit den transatlantischen Verbündeten, mit Amerika im Besonderen, erheblich herausgerissen und stehen im Grunde genommen heute vor einem gespaltenen Europa und vor einem wesentlich verschlechterten Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Das war ja nun die Politik Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, niemals mehr Sonderwege zu gehen, niemals mehr alleine zu stehen, sondern alles eingebettet mit den Europäern und den Amerikanern zu entscheiden, und diese Politik, die Adenauer genau so wie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl betrieben hat, wird nun in einem Maße verändert und gebrochen. Der Kanzler sagt das ja ganz offen, dass er eine wesentliche Veränderung der Außenpolitik haben will und hat damit natürlich Deutschland in eine Isolation getrieben. Wir stehen jetzt an der Seite der Russen und der Chinesen. Das muss man sich mal vorstellen. Das sind beide keine NATO-Mitgliedsstaaten. Schröder hat im Prinzip die Balance, die wir immer ausgehalten haben - enge Freundschaft mit Frankreich, das immer ein Sonderverhältnis zu Amerika hat, aber auch enge Bindungen an das transatlantische Bündnis an Amerika -, aus innenpolitischen Gründen gestört und fast zerstört, und deswegen werden wir dafür auch einen hohen politischen Preis zahlen müssen.
Durak: Die Union, die CDU und die CSU - Ihre Partei -, Herr Stoiber, würde dies jetzt anders handhaben. Sie würden die USA unterstützen. Es hießt ja im Sommer von Ihnen selbst auch, dass Sie die USA nur dann nicht unterstützen würden, wenn sie ohne UNO-Mandat handelten. Inzwischen wissen wir aus der Rede von Präsident Bush spätestens seit gestern, dass er noch einmal sagt: Entweder mit der UNO oder ohne die UNO. Die USA sind fest entschlossen zu handeln. Unterstützen Sie die USA auch dann, wenn die USA ohne die UNO handeln?
Stoiber: Im Sommer war lange Zeit unklar, ob überhaupt der Weltsicherheitsrat von Bush und von Cheney eingeschaltet wird. Das ist ja geschehen, und alles spielt sich jetzt im Weltsicherheitsrat ab, nicht nur alleine im Kongress, nicht nur alleine in Washington, sondern vieles in New York. Nun haben wir die Resolution 1441, die besagt, dass es ernste Konsequenzen hat, wenn der Irak die Auflagen der UNO nicht akzeptiert, wenn er nicht darlegt, was aus seinen Massenvernichtungswaffen geworden ist. Nun gibt es eine ganze Reihe von Personen, wie auch Joschka Fischer, die der Meinung sind, dass diese UNO-Resolution auch für militärische Auseinandersetzungen ausreichen würde, wenn eben festgestellt wird, dass der Irak die Auflagen verletzt hat. Nur will ich jetzt gar nicht spekulieren. Ich gebe der Diplomatie natürlich immer noch eine allerletzte Chance und hoffe, dass vor allen Dingen Saddam Hussein einlenkt.
Durak: Irgendwann aber, Herr Stoiber, kommt es zum Schwur, und das kann ziemlich bald sein. Also Sie sind auch wie andere, die Sie zitieren - mal abgesehen vom Bundesaußenminister -, der Auffassung, dass 1441 ausreicht, um militärisch einzugreifen?
Stoiber: Dieser Schritt muss natürlich geplant werden. Wenn die UNO, wenn der Weltsicherheitsrat feststellt, dass es in den letzten Wochen und Monaten keine entscheidende Kooperation des Saddam Hussein gegeben hat - und dafür ist nun entscheidend, was heute Blix und El Baradei sagen, ich meine, sagen sie, es hat sich etwas verändert, jetzt wird offengelegt, jetzt gibt es eine Chance, dann glaube ich, wird man noch mal sehr, sehr intensiv gemeinsam auch mit den Amerikanern darum ringen müssen, ob man noch für eine kurze Zeit eine Verlängerung vornimmt, um dann zu sehen, ob ein Einlenken stattfindet. Wenn das nicht der Fall ist - das ist aber alles Spekulation -, dann kann es natürlich auch zu einer Entwaffnung mit Gewalt kommen immer in der Abwägung, was dramatischer für uns ist. Ist es dramatischer für uns, jetzt nichts zu tun und die Folgen, die dann möglicherweise entstehen als geringer zu bewerten, oder ist es dramatischer, etwas jetzt zu tun, und die Gefahr, die aus Bagdad insgesamt besteht, mit Gewalt zu beseitigen. Nur, am Ende, wenn es zu einer Entscheidung des Weltsicherheitsrates der UNO kommt, müssen wir - davon bin ich fest überzeugt - an der Seite unserer Verbündeten stehen, an der Seite der Amerikaner, der Spanier, Portugiesen, Holländer, Italiener und vor allen Dingen auch der Osteuropäer, und das ist ja das, was ich Schröder zu allertiefst vorwerfe, dass er aus innenpolitischen Gründen Europa gespalten hat. Wir haben keinerlei europäische Einigung, weil er sich im Sommer festgelegt hat, bevor er mit irgendjemandem - mit Chirac, mit Bush, mit Aznar oder wem auch immer - gesprochen hat. Er hat gesagt: ganz gleich was die UNO beschließt, ich bin auf jeden Fall nicht dabei mit Unterstützungen von militärischen Auseinandersetzungen. Damit hat er sich letzten Endes einmal den diplomatischen Spielraum zugemacht, und er hat die Spaltung Europas in diesen entscheidenden außenpolitischen Fragen hervorgerufen, und jetzt stehen wir wirklich vor den Trümmern einer Bemühung, eine europäische gemeinsame Außenpolitik zu formulieren. Die Europäer sitzen sozusagen im Weltsicherheitsrat heute gespalten da: auf der einen Seite die Briten und die Spanier, auf der anderen Seite die Franzosen und die Deutschen. Das ist natürlich für die europäische Integration und für eine Stimme Europas in diesem schwierigen, weltpolitischen Gefüge eine echte Katastrophe.
Durak: Herr Stoiber, bei Ihrer Aufzählung kurz zuvor haben Sie Frankreich ausgelassen. Das haben Sie ja bewusst getan.
Stoiber: Frankreich, Frau Durak, hat immer eine besondere Situation in der Welt beziehungsweise auch in der NATO gespielt, war teilweise außerhalb der NATO, ist nicht voll eingegliedert. Frankreich hat natürlich auch einen anderen Stellenwert in Europa und in der Welt und auch eine andere politische Vergangenheit als Deutschland. Das Verhältnis mit Frankreich ist ganz eng. Das ist einmal Staatsräson. Aber das andere ist auch Staatsräson - eng mit den Amerikanern. Im Streit zwischen Frankreich und Amerika haben wir uns immer klug verhalten. Wir haben uns nie mit den Amerikanern deswegen auseinandergesetzt, und wir haben immer auch Verständnis für unsere engen Bindungen an Amerika in Frankreich gehabt.
Durak: Ich wollte Sie eigentlich etwas anderes fragen. Ich wollte Sie eigentlich fragen, wie Sie denn jetzt unter diesen Umständen die deutsch-französischen Beziehungen gestalten würden?
Stoiber: Ich muss erst einmal abwarten, wie sich das überhaupt entwickelt, ob sich Frankreich am Ende gegen die Amerikaner stellt, ob Sie ein Veto im Weltsicherheitsrat einlegen, ob es zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen kommt. Das steht noch in den Sternen. In den 50 Jahren UNO hat am Ende immer Frankreich und Amerika zusammengehalten, denn Chirac hat anders als Schröder nach wie vor einen hohen Handlungsspielraum. Er ist im diplomatischen Geschäft, denn er hat nichts ausgeschlossen, wenngleich er natürlich alles versucht, hier die diplomatischen Beziehungen bis zuletzt auszureizen, aber die Feststellung die Schröder getroffen hat - wir sind auf keinen Fall mit irgendwelchen Unterstützungsmaßnahmen im Falle eines Falles dabei -, die hat weder Putin noch Frankreich noch China getroffen, und deswegen ist das in der Tat ein absolut dilettantisches, außenpolitisches Vorgehen, wie sich das kein Kanzler in der Geschichte Deutschlands geleistet hat.
Durak: Ein Wort noch zu Ihrer Partei und auch zur CDU. Das Verhältnis zu den Kirchen. Die Kirchen nehmen eine etwas andere Position ein. Sie reihen sich eher in die Reihe derjenigen ein, die sagen: Wir möchten keinen Krieg. Und ich denke auch daran, dass jüngsten Umfragen zufolge knapp über 70 Prozent der Deutschen einen Krieg ablehnen. Macht Ihnen das keine Sorgen oder denken Sie darüber nicht nach?
Stoiber: Die katholische Kirche ist ja kein politischer Ratgeber in dem Sinne. Das sagt Sie ja selber. Das sagt der Papst, die Bischöfe und die Kardinäle: Wir formulieren unsere ethischen Grundlagen. Nur, die politischen Entscheidungen muss letzten Endes natürlich die Politik treffen. Ich meine, eine moralische Ablehnung von militärischen Maßnahmen und auch hier diese grundsätzlichen, ethischen Positionen zu formulieren, ist ja die Aufgabe der Kirche. Da ist sie eine Autorität wie keine. Auch der Papst hat am Ende des Jahres und Anfang Januar gesagt: Natürlich, das allerletzte Mittel kann man niemals zur Abwendung größter Übel ausschließen.
Durak: Genau, und deshalb die Frage: Wieso Krieg jetzt, wenn noch nicht alle Mittel ausgeschöpft sind?
Stoiber: Das wird sich eben heute zeigen. Ich meine, die Position, dass zwölf Jahre 16 oder 17 Resolutionen der UNO vom Irak missachtet worden sind und dass man letzten Endes auch auf der Seite der Amerikaner fragt, wie lange man denn noch warten will, diesen Mann zur Räson zu bringen - noch mal zehn oder acht oder sieben Jahre -, welche Gefahren entstehen denn daraus? Das ist ein Argument. Das andere Argument hängt von Blix und von El Baradei ab. Wenn die sagen: Ja, es hat sich substanziell etwas verändert. Bisher hat Blix immer gesagt: Sicherlich macht es noch Sinn, die Inspektoren noch zu verstärken, aber die Kooperationsbereitschaft von Saddam Hussein hat sich nicht entscheidend geändert. Das hat er am Dienstag gesagt.
Durak: Worum, Herr Stoiber, ginge es Ihnen denn im Irak, mit dem Irak? Um die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen oder um die Beseitigung des Regimes Saddam Hussein?
Stoiber: Eindeutig natürlich um die Beseitigung der Massenvernichtungswaffen. Das ist die UNO-Beschlusslage seit 1992. Es ist sicherlich eine Frage, ob überhaupt diese Massenvernichtungswaffen mit Saddam Hussein vernichtet werden können. Das ist dann die zweite Frage. Bei der primären Frage geht es alleine um die Gefahr, die aus den Massenvernichtungswaffen für die Welt besteht. Das ist der Punkt. Das ist unsere Gefahr und da ist die Abwägung: Ist diese Gefahr so groß, dass sie jetzt beseitigt werden muss, bevor diese Massenvernichtungswaffen auf irgendwelchem Wege gegen uns eingesetzt werden oder kann man letzten Endes noch warten, weil Chancen bestehen und weil natürlich Krieg immer ein Versagen der Menschheit letzten Endes darstellt und ein allerallerletztes Mittel ist, mit all den Problemen, die damit verbunden sind. Man merkt ja allen an, wie man um diese Position ringt und letzten Endes ist es ja immer ungeheuer bitter, dass all diese Frage, die wir hier diskutieren, von einem Mann abhängen, der den Schlüssel letzten Endes in der Hand hat. Das ist Saddam Hussein mit seiner letztendlich verbrecherischen Politik in den letzten Jahren.
Link: Interview als RealAudio