Donnerstag, 28. März 2024

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Schröder und Putin
"Eine Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste"

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) legt nach Ansicht seines Parteikollegen Gernot Erler großen Wert auf seine Männerfreundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Schröder würde nie einer Kritik gegen Putin zustimmen, sagte Erler im Dlf. Das betreffe auch den Fall Nawalny.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk Müller | 08.10.2020
Russlands Präsident Wladimir Putin und Altkanzler Gerhard Schröder umarmen sich bei der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2018
Russlands Präsident Wladimir Putin und Altkanzler Gerhard Schröder umarmen sich bei der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2018 (Imago)
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung schwere Vorwürfe gegen Altkanzler Gerhard Schröder erhoben. "Schröder ist ein Laufbursche Putins, der Mörder beschützt", sagte er und fügte mit Blick auf Schröders Engagement für die russischen Konzerne Gazprom und Rosneft hinzu: "Es gibt eine offizielle Bezahlung und ich habe keine Zweifel daran, dass es auch verdeckte Zahlungen gibt."
Nawalny wurde kürzlich Opfer eines Giftanschlag, für den er Russlands Präsidenten Wladimir Putin verantwortlich macht. Er wurde in der Berliner Charité behandelt und hält sich derzeit noch in Berlin auf. An der politischen Verantwortung Putins für den Anschlag habe er keinen Zweifel, sagte der SPD-Politiker Gernot Erler im Dlf. Erler war viele Jahre Regierungsbeauftragter für die deutsch-russischen Beziehungen. Die Spekulationen Nawalnys über verdeckte Zahlungen an Schröder hätten nun die politisch unglückliche Entwicklung, dass sich damit der Schwerpunkt des Interesses verlagere. Das sei dem Anschlag nicht angemessen.
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny während seines Aufenthalts in der Berliner Charité
Wie der Fall Nawalny internationale Beziehungen verändert
Die Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny ist eine Belastungsprobe für die deutsch-russischen Beziehungen. Gibt es noch Möglichkeiten, sich mit Russland vertrauensvoll zu verständigen?

Dirk Müller: Sind Nawalnys Vorwürfe ehrenrührig?
Gernot Erler: Ehrabschneidend ist es sicherlich von der Formulierung her: "Laufbursche Putins". Aber der eigentliche Punkt hier ist die Behauptung der verdeckten Zahlungen Putins an Schröder. Ein Vorwurf, der dann noch weiter gesteigert wird, indem gesagt wird, Schröder und Putin veruntreuen russisches Geld und halten die Russen arm. Das ist dann die Folgerung der Spekulation, dass es verdeckte Zahlungen an Schröder gibt. Und da wird sich jetzt der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder wehren, auch rechtlich, indem er die "Bild"-Zeitung verklagt.
"Es gibt gesicherte Fakten über die Vergiftung von Nawalny"
Müller: Konnten Sie mit ihm darüber sprechen?
Erler: Nein, das habe ich nicht getan. Aber ich kann das nachvollziehen, denn er hat, dass es gesicherte Fakten nicht gibt, jedenfalls nicht über die Tatsache, wer verantwortlich ist für diesen Anschlag auf Herrn Nawalny. Da muss ich Herrn Schröder sagen: Wenn man rein rechtlich das betrachtet, rein juristisch, ist das zutreffend, aber natürlich nicht politisch. Es gibt gesicherte Fakten. Es gibt gesicherte Fakten über die Vergiftung von Nawalny in Russland. Es gibt inzwischen gesicherte Fakten, dass es sich um ein verbotenes Nervengift aus dem Kreis von Chemiewaffen handelt. Das ist festgestellt worden von inzwischen vier Speziallaboren in Deutschland, Frankreich, Schweden und in Den Haag bei der OPCW, der Organisation für die Verhinderung von Chemiewaffen.
Müller: Was gerade am Dienstag noch einmal bestätigt wurde aus Den Haag.
Erler: Was noch mal bestätigt wurde und nach langer Untersuchung, die doch deutlich länger dauerte als die Untersuchungen in den anderen Laboren. Und das ist eine angesehene Organisation, der auch Russland angehört, und es ist empörend, dass aus Moskau die einzige Reaktion auf diese Nachricht ist, sich selber als Opfer einer Verschwörung darzustellen.
Alexej Nawalny vor russischen Flaggen bei einem Gedenkmarsch in Moskau am 29.02.2020.
"Der einzige Oppositionelle, der dem Putin-Regime die Stirn bietet"
Mit seinen Enthüllungsberichten über Korruption und Machtmissbrauch habe sich Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in Russland Anerkennung eingebracht, sagte Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa", im Dlf.
Müller: Ist das auch empörend, dass Gerhard Schröder sagt, es ist nicht bewiesen, es ist nicht gesichert?
Erler: Es ist wie gesagt nicht angreifbar, wenn man das rein juristisch sieht. Es ist auch schwer beweisbar, dass Putin hinter diesem Anschlag steht. Aber die politische Verantwortung ändert sich ja dadurch nicht und der muss sich Russland stellen. Und da können wir nicht länger akzeptieren, dass dieser Spruch, der immer wieder kommt - "keine Beweise" - dann die einzige Antwort ist. Ich erinnere an Anna Politkowskaja, an Alexander Litwinenko, an Sergei Skripal, an Boris Nemzow und jetzt auch an Selimchan Changoschwili. Also an politische Morde, die passiert sind in Russland, die alle nicht, was die Hintermänner angeht, aufgeklärt worden sind und die zeigen, dass wir uns hier nicht in einem Einzelfall bewegen, sondern praktisch über eine Staatspraxis des Regimes Putin hier sprechen müssen.
Müller: Herr Erler, nicht aufgeklärt, weil für Sie das ganz eindeutig ist, dass der Kreml dahintersteckt, politisch dafür verantwortlich ist? Ganz klar für Sie?
Erler: Die politische Verantwortung ganz klar und daran kann man nicht zweifeln.
"Männerfreundschaft mit Putin für Schröder an oberster Stelle"
Müller: Warum zweifelt Gerhard Schröder?
Erler: Das kann ich Ihnen sagen: Weil wir es hier schon seit langem mit einer Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste zu tun haben. Wir werden nicht erleben, da bin ich voll von überzeugt, dass irgendwann mal Gerhard Schröder einer Kritik oder einer Beschuldigung gegen Putin zustimmt, eben weil er großen Wert auf diese Männerfreundschaft legt und die so versteht, dass das bedeutet, dass man, egal wie die Faktenlage ist, den anderen schützt und dem anderen beisteht. Das ist ein Kontinuum in dem Verhalten von Gerhard Schröder und schon lange auch eine Herausforderung für alle, die die Ergebnisse dieser Männerfreundschaft nicht für gut halten.
Müller: Demnach ist Gerhard Schröder nicht redlich?
Erler: Er hat ein Wertesystem, an dessen oberster Stelle diese Männerfreundschaft mit Putin steht, und das kann man kritisieren.
Müller: Schadet er damit ganz Deutschland?
Erler: Er schadet auf jeden Fall denen, die mit ihm zusammenarbeiten möchten und das früher getan haben. Er schadet der SPD. Aber es ist natürlich auch jetzt eine dumme Situation, eine politisch schlechte Entwicklung. Wir sind jetzt weggerückt von der politischen Verantwortung Moskaus, die ich mehrfach angesprochen habe, hin zu einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen Alexei Nawalny, Gerhard Schröder und der "Bild"-Zeitung, und das ist keine Entwicklung, die dem Anschlag eigentlich angemessen ist.
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"Spekulation über verdeckte Zahlungen der Sache nicht zuträglich"
Müller: Bleiben wir noch mal bei Gerhard Schröder und auch bei der Wut von Alexei Nawalny. Wir haben über beide Argumente gesprochen, die er ja in diesem Interview mit der "Bild"-Zeitung angeführt hat – was heißt Argumente: einerseits "Laufbursche" – darüber haben wir gesprochen, das zweite: "verdeckte Zahlungen". Das haben Sie auch bereits erwähnt. Diese verdeckten Zahlungen, ist das ausgeschlossen?
Erler: Nein, das ist nicht ausgeschlossen, aber Nawalny sagt selber, er hätte keine Beweise dafür.
Müller: Er sagt, seine Erfahrung als Anwalt im Umgang mit Gazprom und Rosneft legt genau das nahe.
Erler: Aber ich meine, trotz allem bleibt das, weil er keine Beweise hat, im Bereich der Spekulation. Und damit unterstützt er genau die Argumentation von Gerhard Schröder, die der in seinem Interview gemacht hat, dass wir bisher Spekulationen und keine gesicherten Fakten haben.
Müller: Was auf den Giftanschlag bezogen war?
Erler: Was auf den Giftanschlag bezogen war. Aber jetzt spekuliert Nawalny über verdeckte Zahlungen, und wie gesagt, das hat diese politisch unglückliche Entwicklung, dass sich der Schwerpunkt des Interesses verlagert, was der Sache nicht zuträglich ist.
Müller: Aber wenn das so wäre, wäre das ja auch nicht nur ein Skandal, sondern vollkommen indiskutabel und würde das Ganze ja noch einmal in ein anderes Licht rücken?
Erler: Na ja. Aber jetzt bewegen wir uns im Bereich der Spekulation.
Müller: Tun wir.
Erler: Weil solange es keine Belege, ich spreche nicht mal von Beweisen, aber Belege dafür gibt – und mir ist kein einziger Vorgang hier bekannt, den man da nennen könnte, über verdeckte Zahlungen -, solange ist das unzulässig, darüber zu spekulieren.
Müller: Den Beleg haben wir aber auch nicht gegenüber Wladimir Putin, was den Giftanschlag anbetrifft – den Beleg, den Beweis.
Erler: Juristisch nicht, aber die politische Verantwortung steht fest.
"Einigkeit mit Schröder hörte auf, wenn es um Putin ging"
Müller: Sie haben lange Zeit, viele Jahre mit Gerhard Schröder zusammengearbeitet. Sie haben immer ein offenes Verhältnis mit ihm gehabt. Sie haben mit ihm auch viel diskutiert, auch im Bundestag damals, und seit Jahrzehnten sind Sie, Herr Erler, ja engagiert im deutsch-russischen Verhältnis und haben immer versucht, beide Seiten zusammenzubringen. Das, was der Exkanzler jetzt politisch versucht, umzusetzen oder zu manipulieren, das haben Sie auch immer wieder kritisiert. Warum ist er in seiner Motivation so weit gegangen, über diese Männerfreundschaft hinaus? Hat er sich kaufen lassen?
Erler: Wie gesagt, dafür gibt es keine Belege, schon gar keine Beweise. Aber ich sage noch mal: Die Folge dieser Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste ist, dass nicht geguckt wird, wo ist Putin für was in Verantwortung zu nehmen, sondern dass diese Freundschaft alles Handeln von Schröder bestimmt. Ich bin mal Zeuge geworden in einem Vier-Augen-Gespräch mit Putin in Moskau im Kreml, wo es um ganz andere Dinge ging, wie am Anfang des Gesprächs mir Putin ein paar deutsche Zeitungsartikel auf den Tisch gelegt hat und gesagt hat: "Ich weiß, wie schwer es mein Freund hat und wie sehr er kritisiert wird für seine Russland-Politik, aber ich weiß, dass ich da einen Freund habe." Das hat mich sehr beeindruckt und bestätigt mich in dieser Einschätzung, die ich Ihnen gegeben habe.
Müller: Das war während der Regierungszeit oder nachher?
Erler: Das war während der Regierungszeit. Das war 2008, ja.
Müller: Konnten Sie mit Gerhard Schröder darüber einmal offen reden?
Erler: Wir haben uns oft über Russland unterhalten und waren nicht immer gleicher Meinung. Aber wir waren eigentlich gleicher Meinung in der politischen Einschätzung der Entwicklung des Landes. Aber diese Einigkeit hörte auf, wenn es um Putin ging.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.