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Schrödingers Kristall

Physik. - Der Physiknobelpreis 2012 honorierte neue Methoden, um Atome und Lichtteilchen ultrapräzise zu kontrollieren. Basierend auf diesen Arbeiten haben andere Forscher längst den nächsten Schritt gewagt. Sie nutzen ihre ultimative Kontrolle, um aus Myriaden einzelner Atome Neues zu basteln. Max-Planck-Forschern aus München haben dabei kürzlich einen besonders exotischen Materie-Zustand geschaffen.

Von Ralf Krauter | 15.02.2013
    Der Physiker Immanuel Bloch ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. Seine Labors liegen im selben Gebäudetrakt wie jene des Physiknobelpreisträgers Theodor Hänsch, bei dem Bloch einst seine Doktorarbeit schrieb. Seitdem fängt er Atome, um sie dann nach Lust und Laune zu manipulieren.

    "Hier auf dem optischen Tisch sieht man jetzt diese Fülle von Optik: Hunderte von Spiegeln, Hunderte von Linsen, Schalter für Licht, akusto-optische Modulatoren, elektro-optische Modulatoren, mit denen wir die Frequenz der Laser ganz genau kontrollieren können und ganz genau auf die Wellenlänge einstellen, die wir brauchen, um mit den Atomen zu wechselwirken."

    Knapp ein Dutzend Laserstrahlen laufen im Zickzack über den meterlangen Metalltisch. Immanuel Bloch verwendet sie, um Rubidium-Atome auf Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt herunter zu kühlen und dann in einem luftleer gepumpten Stahlkessel festzusetzen. Wenn die Rubidium-Atome in der Falle schweben, kann das eigentliche Spiel beginnen. Mit drei weiteren Laserstrahlen erzeugen die Forscher ein räumliches Lichtmuster aus hellen und dunklen Bereichen. Sobald die tiefgekühlte Atomwolke dieses "optische Gitter" zu spüren bekommt, passiert etwas Bemerkenswertes: Die einzelnen Atome verteilen sich auf die Plätze im Lichtgitter und sitzen dort dann fest wie die Eier in einem Karton. Das Ergebnis ist eine Art künstlicher Kristall: Tausende Atome, regelmäßig angeordnet, im Abstand von Hundertsteln einer Haaresbreite. Bloch:

    "Die kalte Wolke zu präparieren, alles vorzubereiten, dauert ungefähr 30 Sekunden. Dann laden wir in das Gitter rein. Machen das Experiment, wo wir die Parameter ein bisschen verändert haben. Und das kann sehr schnell gehen. In einer Sekunde ist das passiert. Dann machen wir ein Foto, dann ist die Wolke zerstört, durch die Abbildung, und wir müssen eine neue Wolke präparieren, einen neuen Kristall präparieren, müssen die Parameter wieder ändern und gucken, wenn wir dann einen Schnappschuss machen: Was hat sich geändert?"

    Bei einem ihrer jüngsten Versuche haben die Garchinger Forscher die Rubidiumatome im Lichtgitter mit Laserpulsen in besonders hoch angeregte Energiezustände versetzt. Bei diesen so genannten Rydberg-Zuständen kreist das äußerste Hüllelektron soweit vom Atomkern entfernt, dass ihre Elektronenhülle stark aufgebläht ist - und zwar bis auf einen Mikrometer, also ein Zehntel einer Haaresbreite. Die Folge: Die Atome in ihren Lichtkäfigen spüren die abstoßende Kraft ihrer Nachbarn sehr stark und versuchen, diesen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.

    "Wenn wir die anregen, aus dem Gas, dann wollen die sich aufgrund der starken repulsiven Wechselwirkung wie Kristalle anordnen. Das Besondere an denen ist, dass die nicht wie klassische Kristalle sind, sondern wir nennen das Quantenkristalle: Weil die gleichzeitig in verschiedenen Kristallisationsformen vorliegen können."

    Die bizarren Gesetze der Quantenwelt machen es möglich. Weil sich Atome wie Wellen verhalten, können sie an verschiedenen Orten gleichzeitig sein und dadurch im Kollektiv gleichzeitig verschiedene räumliche Anordnungen einnehmen. Die Rydberg-Atome in ihren Lichtkäfigen befinden sich in einem quantenmechanischen Überlagerungszustand. Genau wie Schrödingers Katze im berühmten Gedankenexperiment, die gleichzeitig tot und lebendig ist.

    "Die können in verschiedenen Anordnungen vorliegen. Und wenn wir das System messen, sehen wir immer eine davon. Das ist eine ganz bestimmte Form von Quantenmaterie, die man so noch nicht gekannt hat."

    Statt Schrödingers Katze nun also Schrödingers Kristall. Bei ihren Versuchen, mit Atomen in Lichtgittern, machen die Garchinger Forscher gezielt Jagd auf solche exotischen Materiezustände. Zunächst einmal ist das reine Grundlagenforschung. Doch es gibt auch praktische Anwendungen: Die Erkenntnisse über das kollektive Zusammenspiel Tausender Atome, die die Physiker bei ihren Experimenten gewinnen, liefern Materialforschern bereits heute spannende Ansatzpunkte für neuartige Werkstoffe, die der Welt einmal schnellere Datenspeicher oder effizientere Elektromotoren bescheren könnten.

    Hinweis: Am kommenden Sonntag, 17. Februar, 16:30 Uhr, sendet der Deutschlandfunk in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Quantenzirkus mit Licht und Atomen zum Thema.