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Schrott im All
Weltraummüll gefährdet die Raumfahrt

Sechs Jahrzehnte Raumfahrt haben den erdnahen Weltraum in eine fliegende Mülldeponie verwandelt. Der Schrott bedroht Satelliten ebenso wie die Menschen auf der Internationalen Raumstation ISS. In dieser Woche kommen 350 Experten aus aller Welt zur 7. Europäischen Konferenz über Weltraummüll zusammen, um Auswege aus der Misere zu diskutieren.

Von Dirk Lorenzen | 18.04.2017
    Um die Erde kreisen zahlreiche Objekte des Weltraummülls (Animation; Müllstücke stark vergrößert dargestellt)
    Um die Erde kreisen zahlreiche Objekte des Weltraummülls (Animation; Müllstücke stark vergrößert dargestellt) (ESA)
    Die Massen des Weltraummülls einfach wegzusaugen oder per Laser zu verdampfen, ist technisch unmöglich. Eine umfassende Müllabfuhr in der Umlaufbahn wird es nicht geben, daher heißt das Zauberwort Müllvermeidung. Die Weltraumagenturen empfehlen, einen Satelliten innerhalb von 25 Jahren nach seinem Missionsende abstürzen und verglühen zu lassen. Bei Umlaufbahnen unterhalb von 600 Kilometern Höhe geschieht dies durch die Reibung an der dünnen Restatmosphäre von ganz allein.
    Darüber aber müssten Betreiber ihre Satelliten gezielt in tiefere Schichten bringen, erklärt Holger Krag, Leiter des Büros für Raumfahrtrückstände bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA in Darmstadt: "Das klingt leicht, einen Satelliten aus der Höhe herauszubringen, in der Realität ist es eine gewaltige Herausforderung. Man muss sich vorstellen, so ein Satellit kann fünf oder zehn Jahre funktionieren. Und die Komponenten, die man benötigt, um ihn am Ende der Mission nach unten zu bewegen, das ist ein leistungsfähiger Motor, das ist das komplette Lagekontrollsystem, das sind sehr empfindliche Komponenten. Die müssen noch einwandfrei am Ende des Betriebs funktionieren. Wir beobachten in der Realität, dass das nicht sehr oft klappt."
    Alte Satelliten als tickende Zeitbomben
    Gerade private Firmen reizen die Lebensdauer ihrer Satelliten lieber möglichst lange aus, um Bilder zu machen oder andere Dienste anzubieten. Den kostbaren Treibstoff für ein vorzeitiges Ende der Mission zu nutzen, gilt vielen als Verschwendung. Meist fallen die Satelliten dann irgendwann einfach aus und kreisen unkontrolliert um die Erde – als tickende Zeitbomben.
    "Wenn man einen Satelliten verliert im All, bleibt er nicht nur lange im All, sondern womöglich bleiben restliche Treibstoffe an Bord und womöglich lädt sich die Batterie weiterhin auf, wenn die Solarzellen weiter von der Sonne beleuchtet werden. Wir beobachten in der Vergangenheit bei solchen Fällen, dass sich die Objekte sehr oft selbst zerlegen, explosiv, oder auch zerfallen. Es entstehen Trümmer und diese Trümmer sind wieder Kandidaten für Kollisionen mit Satelliten."
    Eine Schraube hat die Wirkung einer Handgranate
    Die Gefahr für intakte Satelliten wird immer größer. Bei den typischen Kollisionsgeschwindigkeiten von rund 40.000 Kilometern pro Stunde hat schon der Aufprall einer Schraube die Wirkung einer explodierenden Handgranate. Daher fordern Raumfahrtexperten, dass die Betreiber ihre Satelliten – wenn sie sie schon nicht aktiv aus dem Verkehr ziehen – zumindest passivieren, also ungefährlich machen: die Tanks leeren und die Batterien abschalten. "Werden diese beiden Forderungen konsequent umgesetzt, könnte man Raumfahrt betreiben auch mit deutlich mehr Satelliten, als wir das heute tun. Leider sind wir nicht so weit. Wir beobachten, dass nur rund die Hälfte aller Satelliten heute diese Maßnahmen umsetzt."
    Es gibt keine internationalen Regeln, die solches Verhalten verbindlich vorschreiben. Der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen ist 50 Jahre alt – damals war Müll im All noch kein Thema. "Wir versuchen deswegen mit den wichtigsten Raumfahrtnationen – USA, China, Russland, die europäischen Agenturen, Indien – uns zusammenzuschließen. Technische Experten haben Richtlinien entwickelt, darunter die zwei, die ich genannt habe: Passivierung und das Absenken, die erst einmal nur Richtlinien sind und nicht verbindlich sind, sich aber doch sehr gut etabliert haben."
    Ein Problem für die Zukunft
    Zum Teil sind diese Vorgaben bereits in nationale Gesetze gegossen, etwa in Frankreich. Deutschland dagegen hat – wie viele andere Staaten – noch immer kein Weltraumgesetz. Dabei wird das Problem immer drängender. Einige private Anbieter planen, Konstellationen aus vielen tausend Satelliten ins All zu bringen, die in mehr als 1000 Kilometern Höhe um die Erde kreisen und den ganzen Globus mit dem Internet verbinden sollen. Werden diese Pläne umgesetzt, könnte sich die Zahl der Satelliten im All bald verzehnfachen – einzelne Kollisionen wären unvermeidlich.
    Der Satellit Vanguard-3 (Montage) wurde 1959 gestartet, sorgt aber noch immer für Weltraummüll
    Der Satellit Vanguard-3 (Montage) wurde 1959 gestartet, sorgt aber noch immer für Weltraummüll (Naval Research Lab)
    Für die Betreiber wäre dies wohl zu verkraften, doch die langfristigen Folgen wären verheerend: "Die Konstellation würde vielleicht durch zusätzliche Kollisionen, die sie selbst verursacht hat, ein, zwei weitere Satelliten verlieren in den nächsten ein, zwei Dekaden, in denen der Business Case läuft, aber sie würden deutlich viel mehr Satelliten verlieren durch normale Ausfälle. Insofern schaffen die sich nicht unmittelbar ein eigenes Problem, sondern sie schaffen ein Problem für die Zukunft."
    Es ließe sich also für einige Jahre in einer bestimmten Bahnhöhe relativ sicher Geld verdienen – dann aber blieben tausende ausgefallener Satelliten zurück, die durch Kollisionen untereinander im Laufe der Zeit die Erde in einen Kokon aus Schrottteilchen hüllen. Für Holger Krag und seine Kollegen ist dies das Horrorszenario schlechthin. "Das Dramatische ist genau das, dass man jetzt handeln muss, um für zukünftige Generationen, wir sprechen da von 50 bis 100 Jahren, die Raumfahrt zu ermöglichen und nicht zu blockieren durch unverantwortliches Verhalten. Und das ist sehr, sehr schwer, die Betreiber in der Richtung zu überzeugen, daher setzen wir da mehr auf Guidelines und Regularien."