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Schüler getrennt nach Herkunft

Immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund besuchen eine andere Schule als Kinder deutscher Herkunft, wie eine neue Studie zeigt. Wissenschaftler suchen deshalb nach Möglichkeiten, wie sich die Klassen wieder stärker mischen können.

Von Philip Banse | 18.07.2013
    Kinder mit Migrationshintergrund gehen auf die eine Schule, alle anderen Kinder gehen auf anderen Schulen. Diese Segregation, diese Trennung der Schüler nach Herkunft nimmt zu, sagt Jan Schneider, Leiter des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration:

    "Kernergebnis ist, dass eine entmischte, das heißt eine segregierte Schülerschaft in Deutschland an der Tagesordnung ist - besonders in den Städten und Großstädten."

    Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Auswertung von bundesweiten Grundschultests. Zwar gelte nicht "hoher Migrantenanteil gleich schlechte Schulleistungen". Doch gehörten Familien mit Migrationshintergrund oft zu sozial schwachen Schichten - und das wiederum habe große Auswirkungen auf den Leistungsstandard einer Schule. Wie also kann die soziale Mischung an den Schulen verbessert werden, damit wirklich alle Kinder besser lernen? Bildungsforscher Jan Schneider verlangt eine "kulturelle Öffnung" der Schulen:

    "Das heißt, Schulen sollen die real existierende Vielfalt umfassen und als Normalfall anerkennen."

    Schneider sieht solche Schulen als Zentrum einer kommunalen Bildungslandschaft, in der sich Schulen, Eltern, Schüler und externe Einrichtungen vernetzten. Den Forschern schwebt konkret vor,

    "dass Schüler nachmittags Sportangebote bekommen; dass Eltern eingebunden werden können zum Beispiel über Elternnachmittage, auch über kulturelle Angebote für die Eltern; dass erziehungsbegleitende Maßnahmen möglich sind zum Beispiel in Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden vor Ort; dass Sportvereine, Musikvereine, kulturelle Bildungseinrichtungen mit an Bord kommen, mit der Schule vor Ort zusammenwirken. Das wäre die Außenwirkung hin auf diese kommunalen Bildungslandschaften."

    Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt an den Schulen erfordere auch eine andere Lehrerausbildung, sagt Jan Schneider.

    "Beispielsweise über frühzeitige, verpflichtende Praxissemester in Schulen, damit angehende Lehrer frühzeitig mit den Realitäten in Verbindung kommen. Das heißt aber auch Studien-Module einzurichten, die dafür sorgen, dass interkulturelle Kompetenz, der Umgang mit Vielfalt bei Lehrern zum Standardrepertoire gehört."

    Matthias Forell, Lehrer und Lehrerausbilder an der Ruhruniversität in Bochum, fordert ein Umdenken der Lehrer: Weg vom Fokus auf Schwächen, hin zur Förderung von Potenzialen:

    "Viele Schüler wissen gar nicht, welches Potenzial in ihnen schlummert, was sie selbst für ein Potenzial mitbringen. Eine wichtige Erfahrung, die ich in meiner Arbeit gemacht habe an segregierten Schulen, ist, dass Schüler meistens gar nicht wissen, was sie eigentlich können."

    Die Forscher plädieren für einen pragmatischen Umgang mit der Vielfalt. Wenn aber Eltern nur Russisch verstehen, sei ein russischer Elternbrief durchaus gut, sagt Lehrer Forell.

    "Ein weiteres Beispiel aus der Praxis ist, dass sogenannte Integrationslotsen beteiligt sind bei Elterngesprächen. Das bedeutet auch kulturelle Öffnung, dass man aus dem außerschulischen Bereich Parteien integriert, und zwar aktiv, und sich dann eben Hilfe holt. An einer Schule ist nicht jeder ausgebildet, Integrationsarbeit zu leisten, aber es gibt genügend Menschen, die es sind und die dann partizipieren zu lassen an solchen Gesprächen ist unglaublich wichtig und zeigt eine Wertschätzung gegenüber Eltern und dem Interesse an ihrem Kind."

    Deutsch müsse allerdings Leitsprache bleiben. Sprachfähigkeiten müssten in allen Fächern vermittelt werden, etwa in Mathematik, indem auf sprachliche Vermittlung wert gelegt wird. Simon Morris-Lange, Autor der Studie:

    "Ein Verbot der ausländischen Sprachen auf dem Schulhof würde genau das Gegenteil bewirken und auch dazu führen, was Herr Forell gesagt hat: Diese Selbstwirksamkeitserwartung, ich gehöre nicht dazu, meine eigene Sprache ist nichts wert. Dafür plädieren wir nicht."

    Überhaupt seien Anordnungen von oben wenig vielversprechend. Schulgutscheine, Neuzuschneidung von Schulbezirken - diese staatlichen Maßnahmen sorgten oft für Konflikte, Gerichtsverfahren und verstärkten nachweislich die Trennung, sagt Jan Schneider. Behörden müssen vielmehr die beschriebenen Rahmenbedingungen für Kooperation schaffen:

    "Die begründete Hoffnung ist in der Tat, dass wenn diese strukturellen und ganzheitlichen Ansätze greifen, dass sich dann Effekte der Entmischung - sicherlich nicht kurzfristig, aber mittel- bis langfristig - von alleine einstellen."