Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Schuladoption in Flensburg
Lehramtsstudierende übernehmen Unterricht

Lehramts-Studierende der Europa-Universität Flensburg haben für eine Woche den Unterricht an einer Grundschule komplett übernommen. Die sogenannte Schuladoption ist ein bundesweit einmaliges Modell - und könnte als Vorbild für mehr Praxisbezug bei der Lehrerausbildung dienen.

Von Nils Hansen | 19.11.2018
    Luzie Niedworok hockt vor einem Schreibtisch von zwei Erstklässlern und erklärt ihnen eine Aufgabe. Die Masterstudentin Niedworok hat gemeinsam mit 13 weiteren Studierenden für eine Woche lang die Grundschule Jübek / Schleswig-Holstein adoptiert und meistert den Schulalltag allein. | Foto: Birgitta von Gyldenfeldt/dpa | Verwendung weltweit
    Erfahrungen, die andere nicht machen: Masterstudentin Luzie Niedworok beim Unterricht an der Grundschule Jübek (dpa)
    Die 140 Kinder der Grundschule Jübek jubeln - sie bekommen heute ihre richtigen Lehrerzurück. Sie wurden eine Woche lang von Aushilfslehrern unterrichtet, von 14 Lehramt-Studenten der Europa-Universität Flensburg. Die Nachwuchslehrer haben hautnah erfahren, was es bedeutet, Lehrer zu sei. Sie gaben heute Vormittag die Schlüsselbunde zurück, mit denen sie eine Woche lang die Schule und die Klassenräume aufgeschlossen haben. Eine von ihnen ist Rebecca Schulze. Ihr wird etwas fehlen.
    "Man hat seine Klasse total ins Herz geschlossen, die eine Woche - und es ist schade, die alle jetzt wieder abzugeben."
    "Guten Morgen, Frau Schulze!"
    Ende vergangener Woche: Mathematikunterricht der 4b. Es geht um geometrische Formen. Dafür hat die angehende Lehrerin gerade eben noch ein paar Kunststoff-Formen aus dem Schul-Archiv gekramt. Weder für sie, noch für die 21 Schüler, die vor ihr sitzen, ist das eine gewöhnliche Unterrichtsstunde.
    "Ja, jetzt in der Adoptionswoche unterrichtet jeder im Schnitt 15-18 Stunden und das ist schon ganz schön doll, weil so läuft das nachher auch im Lehreralltag ab."
    Einmaliges Projekt in Deutschland
    Und den kannte sie bislang nur aus Erzählungen und Praktika. Da stand sie allerdings nur selten vor den Schülern. Meistens saß sie zwischen den Schülern und hörte zu. Hier in Jübek bestreitet sie den Unterricht selbst, ohne helfende Hand. Denn die richtigen Lehrer der Grundschule sind nicht hier, sondern auf einer Fortbildung.
    Lehramtsstudenten übernehmen eine Woche lang eine Schule - ein deutschlandweit einzigartiges Projekt. Ursprünglich kommt die Idee aus Norwegen, von Professor Per Ramberg:
    "Wir suchten Praxisplätze für die Studenten. Das war schwierig. Die Schulen haben gesagt: Oh nee, nicht schon wieder, wir haben schon so viele Studenten. Das war nicht gut für meine Studenten. Die haben so doch gar keine Motivation, wenn die Schule sie nicht haben will."
    Ramberg begann einen Deal auszuhandeln, bei dem nicht nur die Studenten profitieren sollten.
    "Was wollen sie von uns haben? So dass sie neugierig sind, dass sie Studenten haben wollen. Da haben die gesagt: Wir möchten Schuladoption haben. Dann haben die Lehrer eine ganze Woche frei, und unsere Lehrer können eine Fortbildung genießen. Also wenn ihr so was macht, möchten wir sehr gerne Studenten von euch haben!"
    Schulalltag mit lehrreichen Tücken
    Ende der 90er-Jahre begann die Schuladoption in Trondheim - damals mit 40 Studenten. Heute gibt es in Norwegen viele Schulen, die mitmachen. Schon bald sollen dort alle Lehramtstudenten an der Schuladoption teilnehmen. So weit ist man an der Flensburger Europa-Universität noch nicht. Hier kann nur ein Bruchteil der Studenten mitmachen, sagt Johanna Gosch, Projektleiterin an der Flensburger Uni:
    "Wir müssen es so intensiv begleiten. Wir sind vom Uni-Team jeden Tag vor Ort, um die Studenten zu unterstützen. Und das könnten wir gar nicht für jeden Studenten anbieten, weil wir dafür mehr Personal bräuchten."
    Im Schulalltag sind die Studenten dann aber wieder alleine. Hier, abseits des Unterrichts, gibt es eine Menge lehrreicher Tücken, findet Rebecca Schulze:
    "Wir sind zu viert, draußen auf dem Pausenhof. Zwei stehen hinten, zwei vorne. Man hat 140 Kinder um sich herumlaufen, die um einen herumwuseln. Da kommen Streits auf und da ist es schwierig den Überblick zu behalten."
    Die Erfahrungen, die die 14 Studenten hier gesammelt haben, sollten alle machen, findet Projektteilnehmer Joschua Wilk:
    "Ich hab sogar schon mit meinen Mitbewohner drüber gesprochen: Lehramt nicht nur als Studium zu machen, sondern als duales Studium. Klar kann man einen 18-Jährigen, der gerade Abi gemacht hat, nicht auf eine Schulklasse loslassen. Aber so würde man zumindest die Erfahrungen viel früher machen, die wir jetzt gemacht haben."
    Die Studenten sitzen schon in der kommenden Woche im Hörsaal, um Theorie zu pauken. Im kommenden Jahr aber wollen alle 14 Teilnehmer der Schuladoption mit ihren frischen Erfahrungen erneut vor Schülern stehen. Dann haben sie, wenn alles glatt läuft, ihr Studium beendet.