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Schulalltag
US-Jugend im Griff der E-Zigarette

E-Zigaretten sind in den USA der Renner: Manche Schüler fangen schon in der 7. Klasse damit an. Bislang wurden die massiven Probleme aus Imagegründen an vielen Schulen totgeschwiegen. Lungenerkrankungen und erste Todesfälle zwingen aber zum Handeln.

Von Detlev Karg | 12.11.2019
Junge Erwachsene stehen vor einer Auslage mit Vaping-Produkten in den USA.
Nicht nur mit Nikotin, auch mit dem Marihuana-Wirkstoff THC können Vaping-Produkte versetzt sein (picture alliance / newscom / Howard Lipin)
"Amerikanische Ärzte rauchen Camel, weil Camel eben die gesündere Zigarette ist", heißt es in einer Camel-Werbung aus den 50er-Jahren. So alt und unverständlich dieser Slogan daher kommt, so aktuell ist er eigentlich, wenn es um E-Zigaretten geht.
Davon können sich an diesem Abend rund 60 Eltern an der Montgomery High School im US-Bundesstaat New Jersey überzeugen. Hunderte von Exponaten rund um die E-Zigarette sind an diesem Oktoberabend ausgestellt. Mit dabei: kreative Verstecke in Schuhen, Rucksäcken und im Stiel einer Haarbürste. Was etliche Mütter durchaus zum Lachen bringt, wenn es nicht eigentlich ein trauriger Anlass wäre.
Nikotin mit Erdbeergeschmack
Den Werbespot und die vielen Ausstellungsstücke hat Tim Shoemaker mitgebracht. Der ehemalige Polizist und FBI-Ausbilder hat den Kampf gegen Drogen zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Wie besessen treibt er die Zuhörer in der Aula der High School durch seinen 90-minütigen Vortrag, den der unter dem Titel "Save your breath" derzeit zwei - bis dreimal pro Woche an einer Schule in New Jersey und in anderen US-Bundesstaaten abspult:
"Die E-Zigarette ist entstanden, um alle diese Regulierungen zu umgehen. Und das war uns zuerst nicht bewusst. Zum ersten Mal konnte so etwa auch ein zwölfjähriger Junge in einem ganz normalen Laden für einen Dollar 50 etwas mit Nikotin kaufen, da die ganzen Regulierungen für Zigaretten darauf ja nicht zutreffen. Einfach so, und es gab auch keine Steuern darauf und so kann er einfach sein Taschengeld auf den Kopf hauen, um Nikotin mit Erdbeergeschmack zu kaufen!"
Eine Frau zieht an einer E-Zigarette, die blau aufleuchtet
Der E-Zigaretten-Hersteller Blu wirbt in einem Werbespot mit einer weiblichen Rancherin (Blu)
Schüler, die sich die Vapes mal eben so reinziehen, reden erst wenn sie im Krankenhaus liegen. Wie früh Kinder damit anfangen, erzählt mir Greta Frontero. Die 19-Jährige hat erst im vergangenen Jahr ihren Abschluss an der Westfield High School in New Jersey gemacht:
"Der kleine Bruder einer meiner Freundinnen war vielleicht zwölf als er mit E-Zigaretten anfing. Der ging einfach zum Gemischtwarenladen gegenüber – und man muss in New Jersey 21 sein, um Tabakwaren zu kaufen – und sie haben ihm das trotzdem verkauft, ihm und seinen Freunden, die ganze Zeit über."
E-Zigaretten locken Jugendliche in die Nikotinsucht
Sie schmecken nach Minze oder Mango und werden als weniger schädliche Alternative zur Zigarette beworben. Viele Jugendliche aber werden von den aromatischen elektronischen Zigaretten erst zum Rauchen verführt. Das bestätigen jetzt mehrere US-Studien.
Denn in einer Welt, in der Zigaretten hoch besteuert und Tabakwerbung verboten ist, haben es geschickte Marketingstrategen einmal mehr geschafft, den Genuss von Nikotin in vorgeblich gesunder Form anzupreisen. Wieder einmal seien alle getäuscht worden, während die Industrie gut verdient habe, betont Tim Shoemaker an diesem Abend voller Ironie:
"Stellt euch vor, keine Altersbeschränkungen, keine hohen Steuern, leichter Zugang, dazu viel TV-Werbung und die ganzen tollen Aromen. Alles das vermarkten, ohne den negativen Touch, den Zigaretten bei Kindern haben!"
Wobei das sperrige Wort E-Zigarette heute kaum noch vorkommt. Vaping, so nennt man es im Amerikanischen heute, vom englischen Wort für Vapor, Dampf.
Keiner will wirklich darüber sprechen
Wie sehr Vaping an US-Schulen gang und gäbe ist, wissen viele Lehrer, aber kaum einer möchte darüber sprechen. Es gibt so etwas wie eine Mauer des Schweigens im sonst so kommunikativen Amerika. Einer hingegen will mit mir reden, es ist John Arlotta, Direktor der Glen Rock High School ganz im Norden von New Jersey:
"Naja, etliche meiner Kollegen denken wohl, dass so etwas das Image ihrer Schule schädigt und dass sie nicht perfekt ist und so weiter. Aber wissen Sie, auch wenn wir eine gute Schule sind, sind wir ja nicht perfekt. Damit haben wir zu kämpfen wie andere Schulen auch - und darum werden wir nun die Detektoren installieren."
Detektoren die den feinen Dampf feststellen können – sie sollen abschrecken. Denn mit dem heimlichen Rauchen auf der Schultoilette aus früheren Tagen hat Vaping nichts mehr zu tun, weil der Kapselinhalt oft fast geruchlos verdampft. Derek Peterson ist CEO der Hightech-Firma Soter Tech auf Long Island nahe New York. Sie hat den FlySense-Detektor extra für Schulen entwickelt, und das gehe so.
"Nun, FlySense ist eigentlich ein Umweltsensor. Er kann flüchtige organische Komponenten in der Luft messen. So kann er Rauch oder Dämpfe in der Luft registrieren. Dann sendet er einfach eine SMS oder Mail an die Lehrer in der Schule."
Die sich dann auf den Weg zur Toilette machen müssen, um Schüler auf frischer Tat zu ertappen. Denn klar: Kein Lehrer kann dauernd in einer Toilette stehen, wenn die Schüler dort eigentlich ihre Notdurft verrichten sollen. Was aber oft nur eine Nebensache an US-High-Schools ist, sagt Ex-Schülerin Greta Frontero.
"2018 war Vaping ziemlich normal unter meinen Klassenkameradinnen und meinen Freunden. Es war ungewöhnlich auf einer Party nicht zu vapen. In der Schule war das verbreitet. Auf den Toiletten haben sich die Schüler die Dinger unter den Kabinenwänden gegenseitig zugeschoben, und die Leute haben sich die Vapes auf den Toiletten ziemlich oft reingezogen."
Installation von Detektoren auf Schultoiletten
Mittlerweile lassen wohl einige Schüler die Finger vom Vaping, dennoch besteht das Problem weiterhin, sagt mir John Arlotta auf dem Rundgang durch seine Schule.
"Ich glaube, im vergangenen Jahr haben wir sechs oder sieben Schüler ertappt. Aber es geschieht häufiger als wir es feststellen. Wir finden oft die Kartuschen auf den Toiletten. Was uns vor allem Sorge macht: Wir wissen nicht was drin ist. Oft ist es dieses parfümierte Zeug auf das die Kinder stehen, aber oft ist da auch Nikotin drin, und natürlich auch THC. Das ist es, was uns echte Sorgen macht."
Rund 15.000 Dollar werden die Detektoren für seine Schule kosten. Die Eltern und Förderer werden dafür spenden, wie es in den USA üblich ist. Öffentliche Mittel gibt es nicht, und dennoch verzeichnet Derek Peterson einen Nachfrageboom für seine Detektoren:
"Die Nachfrage nach den Sensoren ist unglaublich hoch. 2018 haben wir rund 700 Sensoren an Schulen verkauft. Jetzt, 2019, sind wir auf der Zielgeraden hin zu 7.000 Sensoren.
Stückpreis knapp 1.000 Dollar. Auch im Gesundheitsministerium von New Jersey will man, wie in vielen anderen Staaten, nun handeln und den Zugang zu den legalen Vaping-Produkten massiv erschweren. Darin ist man sich über die Parteigrenzen und - in den USA nicht immer selbstverständlich - auch über die Grenzen der Bundesstaaten hinweg einig, sagt mir Jeff Brown vom New Jersey Health Department, den ich in der Hauptstadt Trenton treffe:
"Das Alarmierende, das wir von 2017 bis 2018 erlebt haben, um das einmal zu quantifizieren, war ein Anstieg von über 75 Prozent bei unseren Highschool-Schülern in Bezug auf Vaping-Geräte, und ein Anstieg von über 50 Prozent bei den Kindern an Mittelschulen, also Klasse 7 bis 8, die nun möglicherweise Nikotinabhängig werden, und diese Entwicklung müssen wir stoppen!"
Die Hersteller haben am Vaping gut verdient und tun es weiter. Schon lockt China mit einem gewaltigen Markt . Dort lebt ein Drittel aller Raucher weltweit. Klar ist auch: Selbst die, die nun helfen, die Folgen einzudämmen, werden verdienen, sagt Schuldirektor John Arlotta leicht resigniert.