Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Schuldenkrise
"Griechenland kann keine Gegenleistung mehr erbringen"

Der linke französische Europaabgeordnete Jean-Luc Mélenchon sieht die Methoden der europäischen Regierungen gegenüber Griechenland am Ende. Im Deutschlandfunk sprach der Gründer der Parti de Gauche von "einschüchtern und drohen". Eine besondere Schuld gab er dabei Deutschland. Zugleich forderte Mélenchon im DLF, Griechenland ähnlich entgegenzukommen wie Deutschland nach dem Krieg.

Jean-Luc Mélenchon im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.07.2015
    Der französische Links-Politiker Jean-Luc Mélenchon
    Der französische Links-Politiker Jean-Luc Mélenchon (AFP / LOIC VENANCE)
    Die französische "Parti de Gauche" von Gründer Jean-Luc Mélenchon bildet im Europaparlament zusammen mit der "Parti communiste français" die "Front de gauche" (Linksfront). Beide Parteien wiederum gehören zusammen mit der deutschen Linkspartei und der griechischen Regierungspartei Syriza der gemeinsamen Fraktionsgemeinschaft von Linken und Kommunisten im EU-Parlament an.

    Das Interview mit dem Europaabgeordnete Jean-Luc Mélenchon können Sie in der Originalfassung in Französisch nachhören..
    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Rest-Euroland ist empört. Trotz des drohenden Staatsbankrotts ist Griechenland wie gehört den europäischen Partnern bisher konkrete Zusagen schuldig geblieben. Wie auch, fragt Jean-Luc Mélenchon im folgenden Gespräch. Jean-Luc Mélenchon ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitgründer des Parti de Gauche, der französischen Linkspartei. Ihn habe ich vor der Sendung, gestern genau gesagt, gefragt, ob Griechenland noch die Bedingungen erfüllt, um in der Eurozone bleiben zu können.
    Jean-Luc Mélenchon: Das weiss ich nicht. Juristisch gesehen ist diese Frage auch nicht sinnvoll. Denn die Mitglieder der Eurozone können nur selbst ausscheiden. Die Verträge sehen keinen Mechanismus vor, mit dem sich Mitglieder aus der Eurozone oder der Europäischen Union hinauswerfen ließen. Die Regierenden in Europa waren vollkommen überrascht. Sie hatten nicht geglaubt, daß Griechenland nach fünf oder sechs Tagen des eingeschränkten Kapitalverkehrs ein Referendum ansetzten würde. Sie glaubten, die griechische Führung würde wie immer einlenken.
    Heinemann: Was folgt aus dieser Abstimmung?
    Mélenchon: Die Grenzen der gewalttätigen Methode der europäischen Regierungen - einschüchtern und drohen - sind klar.
    Heinemann: Wer trägt dafür die Schuld?
    Mélenchon: Vor allem die rechte deutsche Regierung, die diese Methode für die richtige hält, um die Menschen einzuschüchtern.
    Heinemann: Christ- und Sozialdemokraten, letztere gehören auch zur Regierung in Deutschland.
    Mélenchon: Sie haben recht, wenn Sie an die SPD in dieser Regierung erinnern. Aber jeder weiß, dass es die CDU/CSU, Frau Merkel und Herr Schäuble sind, die den Ton angeben, und zwar nach Grundsätzen, die ihnen für ihr Land gut erscheinen.
    Heinemann: Für ihr Land und Europa...
    Mélenchon beklagt geistige Unbeweglichkeit bei Merkel
    Mélenchon: Das glauben wir nicht. Denn das ist eine Politik zugunsten der Erträge derjenigen deutschen Rentner, die über eine kapitalisierte Rente verfügen, damit die eine ausreichende Dividende erzielen. Und eine Politik eines starken Euro, damit man Waren möglichst preiswert im Ausland kaufen kann. Diese Politik mag für einen Teil der Deutschen angemessen sein. Sie wird allerdings mit Armut erkauft, vor allem in Deutschland, aber auch in den Staaten am Rande, die der starke Euro im wahrsten Sinne des Wortes wirtschaftlich umgebracht hat.
    Und was Frau Merkel betrifft, sie betreibt eine ideologische Politik. Ein bisschen wie einst in Ostdeutschland, wo die Wahrheit unumstößlich war und man nicht widersprechen durfte. Eine ähnliche geistige Unbeweglichkeit erleben wir heute.
    Man muss aber vor allem auch diejenigen kritisieren, die das alles zugelassen haben. Die verschiedenen französischen Regierungen, die Forderungen zugestimmt haben, denen sie nie hätten zustimmen dürfen.
    Heinemann: Die Position der Kanzlerin wird in den nördlichen und östlichen europäischen Ländern geteilt, die auch eine harte Linie gegenüber Griechenland fordern. In Lettland, Litauen, Estland, Slowakei liegt das Rentenniveau unter dem griechischen. Wieso sollten die für Griechenland zahlen oder Garantien übernehmen?
    Mélenchon: Diese Länder sind nicht in der Lage, etwas zu tun, was Deutschland nicht möchte. Erstens, weil deutsches Kapital in diesen Ländern ultradominant ist. Und: Diese Ländern sind hochverschuldet und einer harten strukturellen Anpassungspolitik ausgesetzt. Wenn eines dieser Länder die Regeln, die Griechenland gegenüber angewendet werden, infrage stellte, würden die Geldgeber gleich die Zinsen erhöhen, denn sie müsste ja fürchten, daß sich die Risiken erhöhten. Das Wort dieser Länder ist kein freies Wort. Sie werden gezwungen und befinden sich unter der Aufsicht der Rating-Agenturen und des Kapitals.
    Heinemann: Wo ist die griechische Gegenleistung für Hilfen?
    Mélenchon: Sehr gute Frage. Denn Griechenland kann keine Gegenleistung mehr erbringen. Die produktiven Kapazitäten, das Gesundheitswesen und anderes sind vollständig ruiniert. Man muss sich fragen, warum und ob eine Politik, die zu einer solchen wirtschaftlichen Einschränkung geführt hat, die Lage verbessern kann. Natürlich nicht. Griechenland muss atmen können. So wie Deutschland in den Fünfzigerjahren. Deutschland hat seine Schulden auch nicht bezahlt. Weder die vor, noch die nach dem Krieg. Auch nicht während des Krieges als Deutschland seine Nachbarn geplündert hat.
    Das war eine gute Entscheidung, weil es ermöglich hat, daß Deutschland atmen konnte. Und so konnte das Land eine sehr starke Demokratie aufbauen. So muss Griechenland atmen können, damit seine Demokratie vollständig funktionieren kann.
    "Der Beweis, dass man den Staat benötigt"
    Heinemann: Und wie bekommt man es hin, daß die Reichen endlich Steuern zahlen in einem Land ohne Finanzverwaltung?
    Mélenchon: Wie recht Sie haben. Das ist doch der Beweis, daß man den Staat benötigt. Anstatt ihn überall im Namen der liberalen Ideologie zu zerstören, muß man ihn in sehr vielen Bereichen stärken. Insbesondere in den hoheitlichen, wo es um die Autorität des Staates und das Gesetz geht.
    Heinemann: Aber ist es nicht etwas einfach zu behaupten, daß für alle diese Übel, die Sie beschreiben, die Europäer, die Deutschen und Frau Merkel die Schuld tragen?
    Mélenchon: Das habe ich nicht gesagt, deshalb trifft mich Ihrer Kritik nicht. Der Hauptgrund sind Lehmann Brothers und andere Investment-Banken, die gelogen und betrogen haben. Die Geld an einem griechischen Staatshaushalt verdient haben, dessen Präsentation gegenüber den anderen Eurostaaten auf Lügen gründete. Das wurde nie bestraft, weil ein ehemaliger Banker einer dieser Banken jetzt die Europäische Zentralbank leitet. Außerdem wurde eine Politik von Rechten und Sozialdemokraten auf den Weg gebracht – beide machen, wie das bei Ihnen in Deutschland der Fall ist, ja die gleiche Politik – die Diebstahl, Korruption und Steuerhinterziehung erleichtert hat. Wenn griechische Reeder keine Steuern zahlen, dann ist das nicht die Schuld von Syriza, die gerade seit sechs Monaten an der Macht sind, sondern der griechischen Sozialdemokraten und Rechten.
    Heinemann: Deshalb die Frage: welche Lösung schlagen Sie für Griechenland vor?
    Mélenchon: Erstmal sollte man niemanden demütigen. Man muss zugeben, dass die Schulden im gegenwärtigen Rahmen nicht gezahlt werden können. Also: als erstes eine Konferenz über die Schulden in Europa. Zweitens ein Moratorium, damit Griechenland wieder zu Atem kommt. Und man muss wieder für Liquidität, für frisches Geld sorgen. Sehr viele sind inzwischen aufgebracht wegen der deutschen starren Haltung. Auch hier im europäischen Parlament bei Leuten, die nicht meiner Meinung sind. Ziemlich viele sind ziemlich gereizt und sauer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.