Zum Tod von Adam Zagajewski

"Er dichtete schon beim Hinsehen"

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Der Schriftsteller und Dicher Adam Zagajewski
Adam Zagajewskis Tod sei ein "großer Verlust für die polnische Literatur" schrieb Polens Präsident Andrzej Duda bei Twitter. © picture alliance / dpa / Grzegorz Jakubowski
László Földényi im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 22.03.2021
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Der polnische Dichter und Essayist Adam Zagajewski war ein flanierender Weltbürger - und voller Sehnsucht nach seiner Heimat. Nun ist er im Alter von 75 Jahren gestorben. Schreiben sei für ihn etwas Metaphysisches gewesen, sagt der Essayist László Földényi.
Adam Zagajewski, polnischer Dichter und Essayist, hat für sein Werk bedeutende Preise erhalten. International bekannt ist er, seitdem das Magazin "The New Yorker" nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein Gedicht von ihm gedruckt hat: "Versuch's, die verstümmelte Welt zu besingen".
Adam Zagajewski wurde 1945 im damals noch polnischen Lemberg geboren, das nach dem Krieg an die Ukraine fiel. 1982, nachdem in Polen der Ausnahmezustand deklariert wurde, hat Adam Zagajewski sein Land verlassen. 20 Jahre später kehrte er zurück. Nun ist er in Krakau gestorben.

Flaneur, Weltbürger, stolzer Pole

"Adam Zagajewski war ein Flaneur", erzählt der Ungar László Földényi, Kunsttheoretiker, Übersetzer und - wie Zagajewski - Essayist. "Er spazierte in der ganzen Welt. Er war Weltbürger und trotzdem stolz, dass er in Polen geboren ist."
Zagajewski lebte in Paris, Houston, Chicago und Deutschland. Laut Földényi bewegte er sich dabei, als ob er überall zu Hause sei, hatte aber gleichzeitig immer die Sehnsucht nach Hause.
"Ich habe ihn in verschiedenen Ländern getroffen, aber ich habe ihn auch in Krakau besucht", erinnert sich Földényi. "Und in Krakau hat er sich ganz anders benommen als beispielsweise in Holland. Da glänzten seine Augen. In Polen war er einfach glücklich." Zagajewski und Földényi sprachen miteinander auf Deutsch. "Er sprach ein sehr schönes altmodisches Deutsch", so Földényi.
Insbesondere in den letzten Jahren hätten die beiden Essayisten über aktuelle Politik gesprochen. "Er war traurig, dass Polen zu einem autokratischen Staat wurde."

Offen für Details und das große Ganze

Über Geschichte hätten sie hingegen kaum gesprochen, eher über alltägliche Erlebnisse, erinnert sich Földényi: "Er war ein sehr wachsamer Mensch." Wenn sie auf der Straße spazieren gingen, habe er etwas Abfall entdeckt und sich direkt Fragen gestellt: "Woher kommt das, wer hat das hingeworfen und warum?" "Er grübelte darüber und das war schön zu sehen", so Földényi, "auch in den banalsten Augenblicken war er offen für Transzendenz. Er dichtete schon beim Hinsehen."
László Földényi und Adam Zagajewski verband die Beschäftigung mit der Melancholie. Ein früher Essayband Zagajewskis trägt den Titel "Solidarität und Einsamkeit". Und László Földényi hat 2020 für "Lob der Melancholie" den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung erhalten. "Wir haben viel über Einsamkeit und Melancholie gesprochen", erklärt Földényi, "was bedeutet Kunst und Melancholie, was Leidenschaft. Er hat meine und ich seine Essaybücher gelesen."

"Weltlicher Mystiker"

Gefallen habe Földényi Zagajewskis Begriff der "vertikalen Sehnsucht". "Eine Öffnung für Metaphysik", erklärt Földényi, "nicht Richtung Religion, sondern etwas Größeres. Er meinte, das Schreiben ist nur ein winziger Teil von etwas Größerem, eine Art kosmisches Ereignis."
Der Nobelpreisträger Derek Walcott nannte Adam Zagajewski einen "weltlichen Mystiker". "Dieses Wort mochte er sehr", erinnert sich Földényi. So hat Zagajewski das Gedicht "Mystik für Anfänger" geschrieben. "Für mich", sagt Földényi, "ist das ein Schlüsselgedicht für sein gesamtes Œuvre. Man muss aus dem Inneren des Augenblicks sprechen, hat er immer gesagt. In den kleinsten Winzigkeiten steckt das Universelle."
(mfied)
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