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Schuldenpoker mit Athen
"Kompromiss oder Lösung aushandeln"

Die EU-Kommission hat Griechenland vor einer Aufkündigung der Verträge mit der EU gewarnt. Zweiseitige Verpflichtungen dürften nicht einseitig geändert werden, sagte EU-Kommissionsvizepräsident Jyrki Katainen im DLF. Man sei aber zu Verhandlungen mit Athen bereit, sofern dies auf Grundlage der eingegangenen Verbindlichkeiten geschehe.

30.01.2015
    Jyrki Katainen, EU-Kommissar für Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit
    Jyrki Katainen, EU-Kommissar für Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit (Olivier Hoslet, dpa picture-alliance)
    Katainen erklärte im Deutschlandfunk, man erwarte, dass die neue griechische Regierung ihre Verpflichtungen einhalte. Die Kommission müsse sicherstellen, dass alle Mitgliedsstaaten gleich behandelt würden und die Geldgeber müssten sich darauf verlassen können, dass Griechenland seine Reformen umsetze.
    Andere Bürger wie Arbeiter, Rentner, Unternehmer hätten Griechenland durch ihren Steuerabgaben Geld geliehen oder Staatsanleihen gekauft, in der Annahme, dass Griechenland die versprochen Reformen auch umsetze. "Schließlich, so hoffe ich, wird es auch möglich sein, einen Kompromiss oder eine Lösung auszuhandeln, mit dem alle leben können."
    Je schneller Griechenland die Reformen umsetze, desto früher seien Ergebnisse zu erzielen. Die griechische Wirtschaft benötige eine Fortsetzung der wachstumsfördernden Reformen, betonte Katainen, der auch EU-Kommissar für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen ist.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Nach dem Zuckerbrot gestern, Martin Schulz, reist heute die Peitsche nach Athen, nämlich Jeroen Dijsselbloem. Während der Präsident des Europäischen Parlaments immer wieder auch Verständnis für griechische Befindlichkeiten geäußert hat, versteht der Eurogruppenchef keinen Spaß, wenn es um griechische Verbindlichkeiten geht. Um die Milliarden, die Banken griechischen Regierungen leichtfertig zur Verfügung gestellt hatten. Mit diesem Geld wurden dann unter anderem immer mehr staatlich angestellte Geldempfänger versorgt. Das Ergebnis: 320 Milliarden Euro Miese. Die Hälfte davon will der neue Regierungschef einfach streichen. Das hatte Alexis Tsipras im Wahlkampf versprochen. Die ersten Wohltaten hat die neue Mannschaft bereits auch schon verteilt. Eine andere To-do-Liste stellte SPD-Chef und Bundesminister Sigmar Gabriel gestern auf:
    O-Ton Sigmar Gabriel: „Ich hoffe sehr, dass es der neuen Regierung in Griechenland gelingt, das System von Korruption, persönlicher Bereicherung und Vorteilsnahme, das sich ungeachtet der Reformprogramme in Griechenland hartnäckig hält, zu zerstören. Dieses Land ist viel zu lange die Beute von einigen Familien gewesen, die sich jeder Verantwortung in diesem Land entzogen haben, meine Damen und Herren. Deswegen ist übrigens nicht die Troika und Europa an den Problemen in Griechenland schuld."
    "Wir erwarten, dass die Regierung die eingegangenen Verpflichtungen einhält"
    Heinemann: Vor dieser Sendung haben wir mit Jyrki Katainen gesprochen. Er ist Er ist Vizepräsident der Europäischen Kommission, EU-Kommissar für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen und ehemaliger Ministerpräsident von Finnland. Er befindet sich zurzeit in Deutschland und wirbt für den geplanten Europäischen Investitionsfonds. Ich habe ihn gefragt, ob ihn der von Alexis Tsipras angekündigte radikale Wechsel beunruhigt.
    Jyrki Katainen: Wir müssen jetzt einfach abwarten, bis sich der Staub gelegt hat. Dann müssen wir einfach mit der neuen Regierung verhandeln, wie wir mit den früheren Regierungen verhandelt haben. Ich bin nicht besorgt, ich bin realistisch. Die EU-Kommission ist bereit, in Verhandlungen mit der neuen griechischen Regierung einzutreten, auf der Grundlage der eingegangenen Verpflichtungen. Wir erwarten, dass die Regierung die eingegangenen Verpflichtungen einhält.
    Heinemann: Der Staub hat sich ja teilweise schon gelegt. Herr Tsipras hat bereits wichtige Teile des internationalen Rettungsprogramms für Griechenland zurückgenommen. Noch einmal: Beunruhigt Sie das nicht?
    Katainen: Ich würde dieses Wort „besorgt" nicht verwenden. Wir sind bereit, mit den Persönlichkeiten zu verhandeln. Verpflichtungen bedeutet ja, dass die Kommission sicherstellen muss, dass alle Mitgliedsstaaten gleich behandelt werden, dass also diejenigen, die Griechenland Geld geliehen haben oder Staatsanleihen besitzen, auch sich darauf verlassen können, dass Griechenland die versprochenen Reformen umsetzt, und wir müssen einfach sicherstellen, dass die Verpflichtungen auch eingehalten werden.
    Heinemann: Wenn man sich die ersten Maßnahmen der neuen Regierung anschaut, Rentenerhöhung, Einstellungen im öffentlichen Dienst, die Privatisierung des Hafens von Piräus und des Energieversorgers Public Power Corporation (PPC) gestoppt, entspricht das den eingegangenen Verpflichtungen?
    Katainen: Bisher haben wir keine Informationen darüber, wie das Ganze zu finanzieren ist. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass man, wenn man A sagt, auch B sagen muss. Wir werden uns jetzt in aller Ruhe zusammensetzen und mit der griechischen Regierung Gespräche führen. Wir brauchen Antworten auf diese Vorhersagen. Es reicht ja nicht, A zu sagen, ohne dann auch Schritte zur Lösung oder zu einem B anzugeben.
    "Die Kommission ist bereit, mit der griechischen Regierung zu verhandeln"
    Heinemann: Sollte das Hilfspaket für Griechenland neu verhandelt werden?
    Katainen: Ich will den Gesprächen hier in keiner Weise vorgreifen. Die Kommission ist bereit, mit der griechischen Regierung zu verhandeln, stets auf der Basis der eingegangenen Verpflichtungen. Es ist wichtig, das immer wieder hervorzuheben und zu wiederholen, denn eine derartige finanzielle Verpflichtung bedeutet, dass andere europäische Bürger, Rentner, Arbeiter, Unternehmer, Geld geliehen haben oder Staatsanleihen gekauft haben im Bewusstsein, dass die Griechen auch die versprochenen Änderungen durchführen, die auch den griechischen Menschen helfen werden. Das sind zweiseitige Verpflichtungen, die nicht einseitig geändert werden dürfen. Wir brauchen also nun einfach ein bisschen Zeit, um zu erfahren, was die griechische Regierung genau will und was sie ändern will, was möglich ist, und schließlich, so hoffe ich, wird es auch möglich sein, einen Kompromiss oder eine Lösung auszuhandeln, mit denen alle leben können.
    Heinemann: Sollte die Frist für Reformen in Griechenland verlängert werden?
    Katainen: Je mehr verschoben wird, desto länger müssen wir auf die Ergebnisse warten. Das reine Verschieben als solches hilft nicht wirklich. Wenn man wirklich mehr Arbeit schaffen will, wenn man die Wirtschaft ankurbeln will, dann gilt: Je schneller die Reformen umgesetzt werden, desto schneller treten auch die Ergebnisse ein. Wir haben es ja gesehen: Die griechische Wirtschaft war im vergangenen Jahr die mit dem zweitraschesten oder drittraschesten Wachstum in der Euro-Zone. Im vergangenen Jahr soll das Wirtschaftswachstum bei etwas unter drei Prozent gelegen haben, in diesem Jahr soll es über drei Prozent liegen. Der Primärüberschuss im Haushalt beträgt 1,5 Prozent. Die Arbeitslosigkeit, obwohl noch unerträglich hoch, geht runter. Was die griechische Wirtschaft wirklich um jeden Preis braucht, ist die Fortsetzung dieser wachstumsfördernden Reformen.
    "Wir brauchen jetzt gute Verhandlungen"
    Heinemann: Dass eine Frist nicht verlängert werden sollte, das haben die Verantwortlichen in der EU auch gesagt, bevor die Frist für Reformen in Frankreich verlängert wurde.
    Katainen: Ich habe nicht gesagt, dass die Fristen nicht verlängert werden sollten. Ich habe nur gesagt, je schneller in Griechenland die Reformen umgesetzt werden, desto schneller werden auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Das wird also eines der Themen sein, das mit der griechischen Regierung und den staatlichen Stellen zu besprechen ist. Bisher haben wir nur öffentliche Stellungnahmen gehört. Wir kommentieren aber derartige öffentliche Stellungnahmen nicht. Wir brauchen jetzt gute Verhandlungen. Wir müssen wissen, was die Regierung im Sinne hat, wo sie Änderungen wünschen und wie sie ihre eigenen Probleme zuhause zu lösen gedenken.
    Heinemann: Die Bundesregierung möchte mehr investieren. Der Jahreswirtschaftsbericht trägt den Titel „Investieren für die Zukunft Deutschlands und Europas". Hat Deutschland Nachholbedarf beim Investieren?
    Katainen: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass auch Deutschland in die eigene Zukunft investieren wird, denn wir wissen ja, die deutsche Wirtschaft steht sowohl im öffentlichen wie im privaten Sektor zurzeit sehr gut da. Aber dieser Prozess des sich selbst neu Erfindens kommt nie an ein Ende. Deshalb ist die Investition in die Infrastruktur, insbesondere in Forschung und Entwicklung und auch in das Geschäftsklima so wichtig. Das muss weitergehen. Und es ist eine gute Idee, dass die deutsche Regierung in die eigene Zukunft investiert. Daneben sollte man auch den EU-Fonds zur Unterstützung von riskanteren Projekten beistehen.
    Heinemann: Die Europäische Union bringt den Europäischen Fonds für strategische Investitionen jetzt auf den Weg. Was antworten Sie jenen, die meinen, hier bereitet Brüssel das nächste bürokratische Monster vor?
    Katainen: Nein, das ist kein bürokratisches Monster. Es ist ganz einfach ein neuer Fonds, der dabei helfen wird, Geld zu verleihen oder Stammkapital zu erwerben oder beizuschießen für mittlere und kleinere Unternehmen, die sich auf besonders riskante Projekte oder risikobehaftete Projekte einlassen. Dieser neue Fonds soll also die Risiken des Privatsektors mittragen. Dieses Geld wird also nur dann ausgegeben, wenn auch die Privatwirtschaft engagiert ist.
    Heinemann: Der frühere finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen. Er ist Vizepräsident der Europäischen Kommission, EU-Kommissar für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.