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Schuldenstreit mit Griechenland
Programm der Geldgeber "ein fauler Kompromiss"

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sieht die von EZB, EU und IWF geforderten Reformmaßnahmen für Griechenland kritisch. Im Mittelpunkt müssten der Abbau der Armut und vor allem die Stärkung des Wirtschaftswachstums mit frischem Geld stehen. Dazu gebe es in dem Programm kaum etwas.

Rudolf Hickel im Gespräch mit Christine Heuer | 25.06.2015
    Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel.
    Hickel: "Ich bin nicht für einen Schuldenschnitt, aber ich bin für einen Umbau der Schulden, damit da mal Luft geschaffen wird und der Druck rausgenommen wird." (Imago / Ulli Winkler)
    Christine Heuer: Showdown in Brüssel. Fast rund um die Uhr verhandeln die Institutionen, vormals Troika, mit Griechenland. Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sitzt mit am Tisch. Aber den Durchbruch hat es bislang wenigstens noch nicht gegeben. Nach nächtlichen Sitzungen ohne Ergebnis haben sich die Unterhändler heute früh um neun wieder getroffen.
    Es ist heute vielleicht ein Schicksalstag für ganz Europa. Ganz sicher aber bestimmt eine Einigung, erst recht ein Scheitern der Brüsseler Verhandlungen das weitere Schicksal Griechenlands. Bürger und Politiker sind nervös: Was wird aus ihrem Land? Was wird aus ihrem Geld, dem was von den Banken noch abzuheben wäre? Was verlangen die Geldgeber und soll man ihre Forderungen besser erfüllen oder nicht? Und was wird am Ende eigentlich aus Alexis Tsipras und seiner Syriza? Am Telefon begrüße ich den Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Guten Tag.
    Rudolf Hickel: Schönen guten Tag.
    Heuer: Sie sind ein Freund der Griechen, oder?
    Hickel: Ich bin ein Freund der Griechen, sowieso als Tourist und als jemand, der sich mit der griechischen Geschichte auseinandergesetzt hat. Aber ich bin vorrangig vor allem ein Freund des Euros, ein Förderer des Euros, ein Unterstützer des Euros, also gegen ein Auseinanderbrechen, und ein Förderer und ein Freund der Stärkung der EU, und dann verortet sich die Griechenland-Frage vermutlich ganz anders.
    "Verhandlungstaktisch sind da schwere Fehler gemacht worden"
    Heuer: Na ja. Den Ministern in der EU, hat man doch stark den Eindruck, gehen die Griechen zunehmend auf die Nerven.
    Hickel: Das kann ich verstehen. Ich würde auch sagen, verhandlungstaktisch sind da schwere Fehler gemacht worden. Aber ich versuche mal, das Ganze zu objektivieren. Die Objektivierung besteht darin - das ist sehr schön in dem Beitrag vorhin rausgekommen -, dass man doch sehen muss: Syriza ist gewählt worden, Tsipras ist gewählt worden mit einer klaren Absage an die bisherige Politik. Viele der Probleme, die erzeugt worden sind, auch die Armutsprobleme, die Ausbreitung der Armut, gehen auf die alten Regierungen zurück, und nun muss ein Weg gefunden werden. Und wir sind im Dilemma, weil die Geberländer, insbesondere die drei Institutionen, die Europäische Zentralbank, die EU und natürlich auch der Internationale Währungsfonds, jetzt ein Programm Griechenland verordnen, von dem ich jetzt schon sage, es ist ein fauler Kompromiss, weil da Maßnahmen drin sind, die am Ende alle nicht dazu beitragen, die Wirtschaftskraft zu stärken und vor allem die soziale Armut abzubauen. Ich freue mich, dass der Internationale Währungsfonds ja kritisiert, dass die Steuererhöhungen, die da vorgesehen sind, eventuell sogar die wirtschaftlichen Wachstumschancen verschlechtern. Im Mittelpunkt muss stehen Abbau der sozialen Armut und vor allem auch Stärkung des Wirtschaftswachstums mit frischem Geld. Da steht bisher in dem Programm kaum etwas drin.
    Heuer: Aber, Herr Hickel, was die Griechen vorschlagen, nämlich Steuererhöhungen, um diesen Punkt herauszugreifen, das ist doch genau die alte Leier. So haben es die Vorgängerregierungen auch versucht und es hat sich nichts geändert. Was fehlt sind doch strukturelle Reformen.
    Hickel: Wir brauchen beides. Das ist völlig richtig. Wir brauchen beides oder dreierlei: strukturelle Reformen. Das betrifft vor allem insgesamt den öffentlichen Sektor. Aber die strukturellen Reformen müssen auch eine Chance bieten, dass wirklich sich Griechenland aus der wirtschaftlichen Krise herauswindet. Wir müssen ja auch sehen, ein Großteil der Krise ist ja ab 2010 mit der sogenannten Austeritätspolitik produziert worden. Dass das Bruttosozialprodukt um 25 Prozent seit 2010 eingebrochen ist, die Arbeitslosigkeit gestiegen ist, ist eine Folge dieser Politik, und das muss man, glaube ich, bedenken. Was mir fehlt bei aller Kritik und bei allem Ärgernis: Wenn ich verhandeln würde in Brüssel, wäre ich über Varoufakis, über dessen Auftreten wahrscheinlich genauso frustriert wie der Finanzminister, aber ich würde dennoch versuchen, auf die Position zurückzukommen, es muss jetzt darum gehen, hier wirklich Maßnahmen zu ergreifen zur Stärkung der Infrastruktur und zur Entwicklung des Landes. Das sehe ich insgesamt nicht.
    "Ich glaube, dass Vernunft auf beiden Seiten gebraucht wird"
    Heuer: Aber wer ist denn daran schuld? Die Griechen oder die Gläubiger?
    Hickel: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass Vernunft auf beiden Seiten gebraucht wird. Wir brauchen die Gläubiger, wir brauchen aber auch die griechische Regierung. Und was heißt Vernunft? Man muss jetzt ein Programm einigermaßen hinbekommen. Ich finde es auch gut, dass derzeit immer noch die Banken abgesichert werden, geradezu gerettet werden durch den Europäischen Währungsfonds. Aber wenn man jetzt mal sieht, spielen wir das mal an zwei Beispielen durch: bei der Mehrwertsteuer. Wenn jetzt wirklich die Arzneimittelsteuern, die Steuern auf Arzneimittel sollen ja bei sechs Prozent bleiben.
    Es sollen viele andere gemäßigte Steuersätze nach oben auf 23 Prozent erhöht werden. Und da ist eben die Aussage falsch, das trifft die gesamte Bevölkerung. Es trifft vor allem die sozial schwache Bevölkerung. Ich habe in die Debatte in den letzten Tagen eingebracht, beispielsweise wenn wir wissen, wir haben soziale Armut erstens, wir haben beispielsweise immer mehr Menschen, die medikamentös, weil sie es nicht bezahlen können, nicht behandelt werden können, dann wäre doch mal ein Vorschlag, der Dreiergruppe zu sagen, jawohl, wir verlangen Strukturreformen, auch im Rentensystem, aber wir senken beispielsweise wie in Deutschland den Arzneimittel-Mehrwertsteuersatz auf null Prozent, damit der eine Chance hat.
    Mir ist das alles viel zu wenig differenziert, und dass jetzt der Eindruck entsteht, als sei das eine Anspielung auf Rauswurf, Anspielung auf Erniedrigung und Vertrauenskrise auf beiden Seiten, das muss jetzt durchbrochen werden, und ich vermute, das gelingt heute nicht.
    "Der Grexit darf nicht kommen"
    Heuer: Aha. Das wollte ich Sie gerade fragen. Sie vermuten, es gelingt nicht. Wenn es nicht gelingt, was passiert dann? Kommt dann der Grexit?
    Hickel: Nein. Der Grexit darf nicht kommen. Es gibt ganz, ganz viele Argumente, warum der Grexit für alle Beteiligten eine Katastrophe wäre, übrigens auch für Deutschland. In Griechenland würde auf Dauer ein relativ abgetrenntes soziales armes Land entstehen mit einer relativ hohen Inflationsrate. Und ich sehe übrigens auch geostrategisch ganz wichtig, dass Griechenland im Euro gehalten wird im Sinne der geopolitischen Strategie, aber insgesamt darf der Euro nicht kommen.
    Und was ganz entscheidend ist und das verstehe ich eigentlich so richtig nicht: Man kann sich doch heute zusammensetzen, wir arbeiten am Programm, das hat sich ganz lange hin und hergezogen, weil auch Aufgaben nicht erfüllt worden sind von der griechischen Regierung. Aber man könnte doch den Vorschlag übernehmen und sagen, die Schulden, die jetzt noch anstehen - das sind ja Sonderschulden, die nicht im Rettungsfonds abgewickelt werden -, die 1,6 Milliarden, die jetzt am 30. Juni fällig werden, dann kommen im Juli ungefähr sechs Milliarden fällige Schulden von der EZB, warum nimmt man die nicht rüber in den Rettungsfonds, in den ESM und versucht, den längerfristig zu finanzieren? Dann hätte man den unmittelbaren Druck, die Dramatik, die Symbolik aus der Dramatik. Nämlich nur wegen dieser 1,6 Milliarden stehen wir ja vorm Zusammenbruch, am Ende vielleicht auch des gesamten Eurosystems, denn Euro-Griechenland ist erstmals die Aufkündigung der Stabilität des Eurolandes. Dann könnte man das so vermeiden, in die Richtung müsste es gehen.
    Es muss Maßnahmen geben, die weniger spektakulär sind. Ich bin nicht für einen Schuldenschnitt, aber ich bin für einen Umbau der Schulden, damit da mal Luft geschaffen wird und der Druck rausgenommen wird, und dann kann man weiter verhandeln in Richtung von Verwaltungsreformen, von Bekämpfung von Korruption und vieles, was die Griechen da in den Prozess natürlich unbedingt einbringen müssen.
    Heuer: Kompromisse schließen, den Druck rausnehmen, Zeit gewinnen, um dann eine politische Lösung zu finden, so wie die Griechen das möchten, und dann Griechenland in der Europäischen Union, vor allen Dingen erst mal in der Eurozone zu halten. Das wäre Ihr Weg.
    Hickel: Mein Weg ist nicht so sehr, die griechischen Positionen zu übernehmen, sondern ich gehe da viel kritischer heran. Ich gehe die sechs Punkte, die in dem Zwölf-Seiten-Papier jetzt drinstehen, durch. Da ist die Mehrwertsteuer vernünftig. Da gibt es ein paar Maßnahmen, die sind nicht vernünftig.
    "Die politische Lösung ökonomisch unterfüttert ist die große Chance"
    Heuer: Herr Hickel, ist verstanden. Jetzt wollen wir nicht mehr so sehr in die Details gehen. Ich würde mich eher für was Grundsätzliches noch interessieren. Man hat ja den Eindruck, es gibt eine politische Perspektive auf diese Krise, in der zum Beispiel der europäische Kommissionspräsident Juncker, wie zu hören ist auch Angela Merkel dahin tendieren zu sagen, wir wollen die Griechen auf jeden Fall im Euro halten. Und dann haben wir auf der anderen Seite eine streng ökonomische Sicht, zum Beispiel des IWF mit Christine Lagarde. Was glauben Sie, welche dieser beiden Haltungen wird sich durchsetzen?
    Hickel: Ich glaube, dass es zum Kompromiss kommt, dass die Grundauffassung der Bundeskanzlerin und von Juncker richtig ist zu sagen, alles zu tun sie zu halten, aber auch durchaus Maßnahmen gegenüber Griechenland oder zusammen mit Griechenland durchzusetzen. Und ökonomisch muss man am Ende sagen, der Internationale Währungsfonds muss ja sehen, dass ein Zusammenbruch Griechenlands am Ende für ihn auch katastrophal wäre. Also die politische Lösung, aber, ich sage es mal so formuliert, ökonomisch unterfüttert ist die große Chance.
    Heuer: Und Sie glauben, der IWF, Christine Lagarde, die sich ja bisher relativ hartleibig gegeben hat, die gibt da nach, die macht da mit?
    Hickel: Ich verstehe ja die Madame Lagarde. Ich verstehe den Internationalen Währungsfonds, weil die ja normalerweise bei einem solchen Schuldenmanagement mit ganz anderen Maßnahmen vorgehen. Die hätten in anderen Ländern längst einen massiven Schuldenschnitt durchgesetzt. Das ist für den IWF schwierig. Man muss auch sehen, die Mitglieder des IWF beobachten ja auch sehr genau, was da gemacht wird. Aber insgesamt sehe ich durchaus eine Kompromisslinie. Wenn Frau Lagarde heute Morgen sagt, einige Steuermaßnahmen sind kontraproduktiv, weil sie die Wirtschaft schwächen und nicht stärken, dann ist das ein richtiger Schritt. Dann sollte man das auch mit in die Argumentation aufnehmen, um damit zu einem guten Bündel der Rettung von Griechenland zu kommen.
    Heuer: Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Hickel, vielen Dank dafür.
    Hickel: Schönen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.