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Schule als Dauerbelastung

Ein hoher Lärmpegel ist ein Faktor für Stress unter Lehrern und Schülern. Der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, schlägt deshalb bauliche Veränderungen an Schulen

Udo Beckmann im Gespräch mit Armin Himmelrath | 28.10.2009
    Armin Himmelrath: Lehrermangel, das ist an deutschen Schulen kein neues Problem, im Gegenteil. Schon seit Jahren gibt es haufenweise unbesetzte Planstellen, und für die restlichen Lehrerinnen und Lehrer in den Kollegien bedeutet das in aller Regel zusätzliche Arbeit und damit eben auch zusätzlichen Stress. Der wird durch immer unruhigere Schülerinnen und Schüler auch nicht unbedingt gemindert, und so wird es ab heute an der Evangelischen Akademie Tutzing viele Leidensgeschichten zu hören geben bei der Tagung "Stress lass nach" für Lehrer. Udo Beckmann ist Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Beckmann!

    Udo Beckmann: Guten Tag, Herr Himmelrath!

    Himmelrath: Stress im Lehrerzimmer, was sind denn für Sie als Lehrer die stressigsten Faktoren im Schulalltag?

    Beckmann: Nun, Sie haben ja gerade selbst eingangs schon einige Punkte genannt, und da kommen natürlich viele Faktoren zusammen. Ein Faktor ist natürlich, dass wir oft sehr große Klassen in unzureichenden Räumlichkeiten haben, dann oft schlechte bauliche Bedingungen, die vor allem dazu beitragen, dass wir einen sehr hohen Lärmpegel in den Klassenzimmern haben, was auch zu einer dauernden Belastung für Lehrer und Schüler führt. Und ich denke, dass die gesamten Rahmenbedingungen, unter denen zurzeit die Arbeit stattfindet, eben nicht dazu geeignet sind, gerade Stress abbauend zu wirken.

    Himmelrath: Jetzt könnte man ja auf verschiedenen Ebenen gegen diesen Stress angehen. Fangen wir mal sozusagen ganz unten an, in der Schule: Was kann eine Schule, was kann ein Kollegium konkret tun in der heutigen Situation, um diese Faktoren abzubauen?

    Beckmann: Ein wichtiger Faktor innerhalb der Schule selbst und innerhalb des Kollegiums ist natürlich, dass man klare Absprachen und Regelungen trifft, auch wie man mit den Schülerinnen und Schülern umgeht, ein gemeinsames pädagogisches Konzept entwickelt. Des Weiteren muss man versuchen, gemeinsam - das muss vor allen Dingen der Schulleiter tun - auf den Schulträger zuzugehen, um zu erreichen, dass bauliche Mängel, die vorhanden sind, abgestellt werden. Das sind zum Beispiel zwei wesentliche Aspekte, die dazu helfen könnten, dass weniger Stress in den Schulen selbst ist.

    Himmelrath: Jetzt werden aber viele Kommunen als Schulträger argumentieren, wir haben sowieso kein Geld, darum können wir uns im Moment gar nicht kümmern.

    Beckmann: Das ist wahrlich ein Problem, auf das die Schulträger immer wieder hinweisen. Nur man kann nicht auf der einen Seite immer davon sprechen, dass wir schulische Bedingungen verbessern wollen, dass Bildung eine ganz hohe Priorität hat, dann müssen auch dafür die Voraussetzungen geschaffen werden. Und dazu gehören natürlich auch die entsprechenden Lernbedingungen in den Schulen - angefangen von den Räumlichkeiten bis hin zur Sachausstattung mit Unterrichtsmaterialien.

    Himmelrath: Wenn wir eine Ebene höher gehen zur Bildungspolitik der Länder, die ja nun zuständig sind für die Schulpolitik, gibt es da Wünsche, die Sie haben, die eben, ja, Veränderungen betreffen, um dann den Stress zu mindern?

    Beckmann: Da gibt es sicherlich viele Aspekte, und ich würde da auch sehr früh anfangen. Das geht nämlich bereits in den Bereich der Lehrerausbildung. Damit müsste es eigentlich beginnen und damit muss auch der Einzelne bei sich beginnen, denn ich glaube, dass oft die Vorstellung, die junge Menschen bewegt, den Lehrerberuf zu ergreifen, oft idealisiert sind und nicht deckungsgleich sind mit dem, was sie in den Schulen erwartet. Des Weiteren muss die Lehrerausbildung auch auf die Aufgaben, nämlich Bildung und Erziehung, vorbereiten, also auf die Herausforderungen, die auf Lehrerinnen und Lehrer zukommen. Dann im weiteren Fortgang, denke ich, müssen die Landesregierungen dafür sorgen, dass nicht nur immer hohe Anforderungen an die Lehrkräfte gestellt werden, sondern dass man auch einmal ausreichend Lehrpersonal zur Verfügung stellt, aber auch zum anderen ihnen die Zeit zur Verfügung stellt, damit sie all die Aufgaben leisten können. Wir haben ja immer noch das Phänomen, dass die Lehrerarbeit allein an der Unterrichtsverpflichtung gemessen wird und dass die anderen Dinge, die alle zu tun sind - Erziehung, Beratung, Innovation, Kooperation - einfach immer obendrauf gesattelt werden.

    Himmelrath: Ganz zum Schluss noch: Die Bundesregierung ist ja eigentlich für die Schulpolitik nicht zuständig. Aber im Koalitionsvertrag steht jetzt drin, im neuen: Bildung ist uns wichtig. Können Sie von da auch Hilfe erhoffen?

    Beckmann: Ja, die Föderalismusreform schiebt ihr natürlich einige Riegel vor, und wenn man genau in den Koalitionsvertrag hineinguckt, dann sieht man, dass auf der Bundesebene viel beschlossen wird und viele Absichtserklärungen abgegeben werden, aber letztlich die Länder ja sind, die das umsetzen müssen. Und da denke ich immer mit Sorge an die Schuldenbremse, die auch in das Grundgesetz aufgenommen worden ist, und frage mich, wie das auf Dauer gelingen soll, zusätzlich weiter in Bildung zu investieren und gleichzeitig diesem Grundgedanken der Schuldenbremse Rechnung tragen zu können.