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Schulessen unter Kontrolle

Tausende von Jugendlichen in mehreren ostdeutschen Bundesländern sind in den vergangenen Tagen an Brechdurchfall erkrankt. Dahinter könnte verdorbenes Essen stecken. Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter für Lebensmittelsicherheit im Bundesverbraucherministerium, geht davon aus, dass die Ursache dafür herausgefunden wird.

Bernhard Kühnle im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 01.10.2012
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Bernhard Kühnle vom Bundesverbraucherschutzministerium. Er leitet dort die Abteilung für Lebensmittelsicherheit. Bei ihm laufen also sozusagen die Fäden der Krankheitsermittler zusammen. Schönen guten Morgen, Herr Kühnle.

    Bernhard Kühnle: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Kühnle, müssen Eltern jetzt vorsichtig sein, wenn sie ihre Kinder in der Schule oder in der Kita essen lassen?

    Kühnle: Nein. Ich denke, es kann nicht Aufgabe der Eltern sein, ihre Kinder vor schlechtem Essen in der Mensa zu schützen, sondern anders herum. Derjenige, der etwas anbietet, hat dafür zu sorgen, dass es sicher ist, und die Behörden haben sicherzustellen, dass der Anbieter dieser Verpflichtung auch nachkommt. Und das tun die Behörden überall, sodass ich davon ausgehe und wir alle davon ausgehen können, dass das Schulessen ab heute in dieser Schulwoche sicher ist.

    Armbrüster: Seit Tagen, hören wir nun, sind Experten des Robert-Koch-Instituts im Einsatz, um in den betroffenen Schulen Proben zu nehmen. Aber eine Analyse, heißt es immer, wird wohl erst heute im Laufe des Tages vorliegen. Warum dauert das alles so lange?

    Kühnle: ..., weil die Analyse etwas knifflig ist. Wir suchen ja nicht nach optisch sichtbarem Schimmel oder Verderb, sondern gesucht wird nach Toxinen, zum Beispiel nach Toxinen, also Giftstoffen, die von Bakterien produziert worden sind. Das sind sehr schwierige Analysen, zumal ja nicht genau klar ist, nach welchem Stoff gesucht werden muss. Das heißt, es müssen immer mehrere Analysen und komplexe Analysen gemacht werden, und deshalb ist da einfach Zeit notwendig, weil die Proben aufbereitet werden müssen, sehr unterschiedlich aufbereitet werden müssen, weil Stoffe angereichert werden müssen, damit man sie nachweisen kann. Das dauert dann schon mal den einen oder anderen Tag.

    Armbrüster: Wie geht es denn weiter mit dem Krankheitsverlauf? Haben Sie aktuelle Zahlen zu den Zahlen der angesteckten Kinder und Jugendlichen?

    Kühnle: Ja, das Robert-Koch-Institut hat uns gestern die Zahl von 8.500 betroffenen Kindern und Jugendlichen gemeldet. Da ist natürlich jetzt übers Wochenende und nachdem diese Fälle bekannt geworden sind eine gewisse Zahl von Nachmeldungen drin, weil man aufmerksam geworden ist auf das Problem sowohl seitens der Ärzteschaft, aber auch seitens von Eltern und den Patienten selbst. Wir gehen davon aus, dass der leichte Anstieg, den es jetzt am Wochenende noch gegeben hat, den es vielleicht auch heute noch gibt, auf Nachmeldungen beruht, dass die eigentliche Infektion und die eigentliche Erkrankungswelle vorbei ist. Aber das muss sich durch die Zahlen jetzt heute und morgen noch bestätigen.

    Armbrüster: Könnte es sein, dass das Ganze so langsam auströpfelt und niemand hinterher jemals herausfindet, woran es gelegen hat?

    Kühnle: Das glaube ich nicht. Auströpfeln ja, das tröpfelt im Moment aus. Wir gehen davon aus, dass das "letzte Infektionsdatum" 27./28. September, also letzte Woche Mittwoch, Donnerstag war, oder Donnerstag, Freitag war. Das heißt, man kann jetzt hingehen, man muss jetzt hingehen, A analytisch gucken, ob man einen Erreger oder ein Toxin, ein Giftstoff in den Rückstellproben bei dem Unternehmen findet. Man kann aber auch, weil es eine sehr hohe Zahl von Essen waren, die ausgeliefert worden sind und eine sehr hohe Zahl von Schülern, die erreicht worden sind, auch aufgrund der Belieferung im Ausschlussverfahren möglicherweise das Essen oder vielleicht sogar die Einzelzutat dann statistisch und mit mathematischen Methoden sicher nachweisen, die dann Ursache gewesen ist. Ob das dann beides sein wird, der chemische Nachweis plus der mathematische Nachweis oder nur einer von beiden, das wird sich in den nächsten zwei, drei Tagen zeigen.

    Armbrüster: Zeigt dieser Fall denn auch, dass wir in Deutschland möglicherweise etwas ändern müssen an der Essensversorgung in Schulen und Kindertagesstätten?

    Kühnle: Lebensmittelsicherheit ist keine Frage von großen und kleinen Unternehmen oder viel und wenig Essen. Sie können auch in der häuslichen Küche da natürlich eine kleinere Zahl von Personen infizieren und zu Durchfällen bringen. Lebensmittelsicherheit muss für alle großen Verhältnisse gelten. Allerdings ist es natürlich so: Da wo viele Leute verpflegt sind – das ist nicht nur in Schulkantinen so, sondern auch in Betriebskantinen, in Krankenhäusern, in Altenheimen -, ist natürlich dann der Effekt, wenn etwas passiert, größer. Wir müssen gucken, was die Ursache ist. Wenn wir die Ursache kennen, wenn beispielsweise ein Hygienefehler passiert ist, dann wird man darüber entscheiden müssen, ob das ein Einzelfall, ein Einzelversagen ist, oder ob da System drin ist. Aber dazu ist es jetzt noch zu früh, erst muss die Ursache gefunden werden.

    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Bernhard Kühnle, der Leiter der Abteilung für Lebensmittelsicherheit beim Bundesverbraucherschutzministerium in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Kühnle.

    Kühnle: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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