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Schulz: Das Handeln der EZB wird nicht "für rechtswidrig erklärt"

Er sei zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht Weisung erteilen werde, bis zu welchen Limits die Rettungsmaßnahmen der EZB gehen dürften, sagt der SPD-Politiker Martin Schulz. Er rechne aber nicht damit, dass die Richter das Vorgehen der Bank komplett untersagen.

Martin Schulz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 12.06.2013
    Jasper Barenberg: Mai 2010 – der Kurs des Euro befindet sich in freiem Fall, die Zinsen für Staatsanleihen in manchen Euro-Ländern schießen in die Höhe, die Banken scheuen sich, Kredite zu vergeben, das Loch im Haushalt von Griechenland wächst und wächst, es brennt einmal mehr im europäischen Haus. Man muss sich das wohl in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was auf dem Spiel steht bei der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, weil die Europäische Zentralbank damals zum ersten Mal eingriff, begann, Staatsanleihen kriselnder Staaten zu erwerben, bevor EZB-Chef Mario Draghi zwei Jahre später zum letzten Mittel griff und das zweite Programm zum Ankauf von Staatsanleihen skizzierte, dieses Mal unbeschränkt. Überschreitet die Europäische Zentralbank damit ihre Befugnisse? Das ist die eine Frage, über die der Zweite Senat entscheiden wird. Die andere: Wenn ja, kann Karlsruhe der EZB dann überhaupt in den Arm fallen?

    Am Telefon begrüße ich den Präsidenten des Europaparlaments. Guten Morgen, Martin Schulz!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Schulz, was steht denn aus Ihrer Sicht auf dem Spiel? Oder anders gesagt: Wie wichtig wird diese Entscheidung sein?

    Schulz: Ja ich glaube, dass diese Entscheidung von großer Bedeutung ist für den Euro für die Bundesrepublik, für die Europäische Union insgesamt, und ich nehme alle Argumente, die da vorgetragen worden sind von beiden Seiten, die von Herrn Weidmann und die von Herrn Asmussen, sehr ernst. Ich glaube, dass die Sorge der Bürgerinnen und Bürger auch berechtigt ist. Herr Voßkuhle hat von der Mehrebenen-Demokratie gesprochen, Herr Müller vom drohenden Demokratiedefizit. Das ist ein Punkt, den wir im Europaparlament ja seit langer Zeit bemängeln, dass die demokratische Legitimiertheit des Handelns von Organen im Euro-Raum hinter verschlossenen Türen wirklich über das Schicksal auch ganzer Nationen entscheiden können, ohne dass sie dafür parlamentarisch Rechenschaft ablegen müssen. Das ist ja nichts Neues, das bemängele ich persönlich seit langer Zeit, gerade als Präsident des Europaparlaments. Insofern ist die gesamte Palette der Themen, die dort angesprochen wird, nicht reduziert auf den Anleihenankauf, sondern es geht in der Tat um europäische Demokratie.

    Barenberg: Und gilt das auch für die Europäische Zentralbank, Ihre Kritik an der mangelnden Legitimation politischer Entscheidungen?

    Schulz: Wir müssen uns entscheiden in Deutschland, was wir am Ende wollen: Wollen wir eine politisch gesteuerte Zentralbank, oder wollen wir eine unabhängige Zentralbank. Es war – das ist ja ein bisschen gestern untergegangen – die Bundesrepublik Deutschland, die bei der Errichtung der Europäischen Zentralbank das Bundesbankmodell wollte, eine völlig unabhängige Zentralbank, die in ihren Entscheidungen nicht politisch gesteuert ist. Was damals die Deutschen nicht gesehen haben ist, dass das dazu führt, dass eine Zentralbank eben auch Entscheidungen trifft, die dem einen oder anderen Mitgliedsstaat nicht passen, und genau in dieser Situation sind wir jetzt.

    Barenberg: Bloß der Vorwurf, Herr Schulz, ist ja gerade, dass die Europäische Zentralbank ihre Unabhängigkeit aufs Spiel setzt, durch das, was sie gerade tut. Können Sie das nachvollziehen?

    Schulz: Die Kritik muss man sehr ernst nehmen. Und nehmen wir den konkreten Fall, um den sich ja alle immer drehen: die Ankündigung von Mario Draghi, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen. Das hat er zwar so nie gesagt, aber es wurde so interpretiert. Was war der Hintergrund? – In Ihrer Anmoderation haben Sie eben darauf hingewiesen. Zwischen dem Frühjahr 2010, Beginn der Krise, und Ende 2011, Anfang 2012, als Draghi diese Maßnahmen ergriffen hat, waren zwei Jahre Rettungsmaßnahmen abgelaufen, die nicht fruchteten. Die Zinsen stiegen immer weiter. Wann sind sie gesunken, die Zinsen? Wann haben die Krisenstaaten sich zum ersten Mal an den Märkten wieder neu refinanzieren können? Als Draghi diese Ankündigung machte, die nämlich interpretiert wurde als der unbedingte Wille, die eigene Währung zu verteidigen. Das hat die Spekulanten davon abgehalten. Schlussfolgerung: Das, was man Draghi unterstellt, er ginge zu große Risiken ein, hat er genau abgewendet mit dem, was er gesagt hat, denn die Risiken sanken. Insofern fand ich damals, dass dieser Mann – im Gegensatz übrigens zu vielen Regierungschefs – sehr schlüssig, in sich schlüssig gehandelt hat und den Euro meiner Meinung nach stark verteidigt hat.

    Barenberg: Und das heißt auch, Herr Schulz, das ist in Ordnung, Hauptsache es hilft und dann müssen wir auf die Rechtslage nicht so genau schauen?

    Schulz: Das stimmt nicht. Die Frage ist ja, ob die Rechtslage verletzt worden ist, als er das ankündigte. Noch einmal: Die Frage ist, wie unabhängig ist eine Zentralbank in ihren Entscheidungen. Worüber wir ja diskutieren – das hat Herr Voßkuhle auch gestern, finde ich, ziemlich deutlich gemacht in seinen Nachfragen – ist, kann man am Ende die Entscheidung eines Zentralbankrats, des Präsidenten einer Zentralbank politisch steuern. Der Bundesbankpräsident unserer Bundesbank, als wir noch die Deutsche Mark hatten, hätte es sich verboten, wenn der Deutsche Bundestag über die Entscheidungen des Bundesbankrates befunden hätte. Insofern, glaube ich, sind wir in einer bestimmten Kontinuität gerade eines deutschen Modells. Ich bin deshalb ziemlich zuversichtlich, dass das Verfassungsgericht sicher Weisungen erteilen wird, bis zu welchen Limits solche Maßnahmen gehen können. Aber dass dort das Handeln der Zentralbank, der EZB für rechtswidrig erklärt wird, das glaube ich nicht.

    Barenberg: Nehmen wir uns mal kurz vor, worum es im Kern geht. Da kauft die EZB Anleihen kriselnder Euro-Staaten, senkt damit die Zinsen in diesen Staaten und ermöglicht diesen Staaten damit die weitere Finanzierung ihres Haushalts. Was anderes kann das sein als die Staatsfinanzierung, die der EZB eigentlich verboten ist?

    Schulz: Das glaube ich nicht. Das ist Ihre Interpretation. Was ich erlebt habe, ist eine andere Interpretation, eine andere Wahrnehmung, sagen wir es so. Die EZB kündigt an, wir kaufen Staatsanleihen auf, wenn es sein muss. Anschließend sinken die Zinsen und das versetzt die Länder, um die wir reden, sagen wir mal Spanien, Portugal, Griechenland, Italien, in die Lage, ihre Finanzierung an den Märkten nicht mehr zu sieben Prozent, sondern zu drei Prozent oder zwei Prozent vorzunehmen - übrigens in einem Zeitraum, wo Deutschland negative Zinsen hatte, also gar nichts zahlen musste. Also sind diese Länder in die Lage versetzt worden, ihre Schulden besser zu finanzieren. Damit ist das Haftungsrisiko, das unterstellt wird, Deutschland habe ein zu hohes Haftungsrisiko, dieses Risiko ist durch dieses Vorgehen exakt reduziert worden. Also das Ziel, die gegenseitige Haftung und damit die zu hohen Risiken zum Beispiel für Deutschland zu vermeiden, ist erreicht worden.

    Barenberg: Und dann geht es ja um die Rettung einzelner Staaten, und eben das gehört nicht zu den Aufgaben der EZB, sagt beispielsweise der Freiburger Rechtsprofessor Murswiek, der den CSU-Politiker Peter Gauweiler in seiner Klage vertritt.

    Schulz: Dem hätte ich auch entgegengehalten, dass es nicht Herr Draghi war, der die Instrumente geschaffen hat, sondern Frau Merkel und ihre Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Rat. Es war nicht die Zentralbank, die den ESM, es war nicht die Zentralbank, die die Rettungsmaßnahmen beschlossen hat. Die Zentralbank hat hinterher gehandelt. Die Maßnahmen, die vorher beschlossen worden sind, also die Debatte um den Bruch der sogenannten No-Bailout-Klausel, also dieses Rettungsverbots, das im Vertrag vorgesehen ist, das war keine Entscheidung der EZB, sondern eine politische Entscheidung der Staats- und Regierungschefs. Die steht auch dort nicht zur Verhandlung.

    Barenberg: Sie haben ja beschrieben, Herr Schulz, wie wenig die Maßnahmen der Politik gefruchtet haben in dieser Zeit der akuten Krise. Holt die EZB also in dieser Krise einer schwerfälligen Europäischen Union die Kohlen aus dem Feuer?

    Schulz: Und damit kommen wir ja zurück zu dem, was auch Herr Müller angedeutet hat und Herr Voßkuhle in ihren Befragungen. Wir haben Souveränität übertragen auf die Europäische Union, nämlich Währungssouveränität. Was wir nicht übertragen haben, ist ein dazu geeignetes politisches System. Wenn Sie uns mal vergleichen mit den Vereinigten Staaten von Amerika: Da gibt es einen Wirtschaftsraum, eine Währung, eine Zentralbank und eine Regierung. Wir haben im Euro-Raum einen Wirtschaftsraum, eine Währung, eine Zentralbank und 17 Regierungen, die nach dem Einstimmigkeitsprinzip entscheiden, und genau das ist das große Problem des Euros. Der Euro ist heute, wenn Sie mal auf seinen Außenwert schauen, eine sehr starke Währung mit einem nicht funktionsfähigen politischen System. Was wir brauchen ist eine Wirtschaftsregierung - das hat ja auch die Bundesregierung zwischenzeitlich akzeptiert -, die dem Europäischen Parlament für die Maßnahmen, die sie ergreift, Rechenschaft legt.

    Barenberg: Wie viel Zeit – dies zum Schluss – bleibt der EZB dann noch? Zeit hat sie ja den Politikern erkauft quasi mit ihrer Ankündigung. Wie viel Zeit bleibt dann noch den Politikern, den Laden auf Vordermann zu bringen?

    Schulz: Wenig! Ich glaube, wir stehen unter großem Druck – einer der Gründe, warum ja Herman van Rompuy beauftragt worden war von den Staats- und Regierungschefs, gemeinsam mit Mario Draghi, mit José Manuel Barroso, mit mir Maßnahmen zu erarbeiten, die zu einer besseren Koordinierung der Politik führen können, zu einer besseren demokratischen Legitimiertheit. Es ist an den Staats- und Regierungschefs, schnell zu entscheiden. Wir haben ja die Frage der Struktur der Wirtschafts- und Währungsunion am 27. oder 28. Juni – Entschuldigung! – im Europäischen Rat auf der Tagesordnung stehen. Ich hoffe, dass dort die Vorschläge aus Deutschland und Frankreich, Wirtschaftsregierung, die dem Europaparlament verantwortlich ist, endlich angepackt werden.

    Barenberg: …, sagt der SPD-Politiker Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Schulz.

    Schulz: Danke Ihnen, Herr Barenberg.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.