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Schulz: Das Terrornetzwerk wird zurückschlagen

Osama bin Laden ist tot. Das gab US-Präsidente Barack Obama bekannt. Der Al-Kaida-Führer ist danach von US-Spezialkräften in Pakistan getötet worden. Der Europaparlamentarier Martin Schulz (SPD) warnte vor Racheakten des Terrornetzwerks Al-Kaida.

Martin Schulz im Gespräch mit Silvia Engels | 02.05.2011
    Silvia Engels: US-Präsident Barack Obama ist vor einer guten Stunde vor die Kameras des Weißen Hauses getreten. Er erklärte nichts weniger als den Tod des Mannes, der als Staatsfeind Nummer eins der Vereinigten Staaten galt. Al-Kaida-Führer Osama bin Laden ist danach von US-Spezialkräften in Pakistan getötet worden. Am Telefon ist nun Martin Schulz, er ist der Fraktionschef der Sozialisten, das ist die Gruppe der europäischen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, zugleich ist er Mitglied des SPD-Präsidiums. Guten Morgen, Herr Schulz.

    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Mit welchen Gefühlen nehmen Sie diese Nachricht vom Tod Osama bin Ladens auf?

    Schulz: Ich glaube, mit den Gefühlen, wie jeder Mensch, der jetzt zehn Jahre nach diesem Anschlag sieht, dass bin Laden getötet worden ist, reagiert, nämlich mit Zufriedenheit, dass die Vereinigten Staaten von Amerika doch ein Stück Wiedergutmachung haben leisten können für einen Angriff auf die USA, der dieses Land doch traumatisiert hat, und bin Laden war sicher ein Mann, ein Terroristenführer, der keine Gnade kannte, und das Gefühl, das Barack Obama in seiner Ansprache – ich habe die eben auch im Fernsehen sehen können – zum Ausdruck gebracht hat, dass ein Stück Gerechtigkeit geübt worden ist, das Gefühl habe ich auch.

    Engels: Wie ist diese Meldung auch symbolisch im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu gewichten?

    Schulz: Man sollte die symbolische Kraft nicht unterschätzen. Osama bin Laden stand sicher als spiritueller Führer, aber auch als symbolische Figur für eine anti-westliche, speziell anti-amerikanische, aber auch anti-europäische Haltung. Man sollte auf der anderen Seite seine Rolle nicht überschätzen. Er war ein Teil dieses Netzwerks, sicher ein führender, aber nicht der alleinige Teil. Wir haben gesehen, dass ganz unabhängig von Al-Kaida diese Organisation weltweit Ableger entwickelt hat, die ziemlich autonom und ohne Rückkoppelung mit der Zentrale handelten. Wir haben gerade in den letzten Tagen gesehen, dass hier in Deutschland Leute verhaftet worden sind, die drei jungen Männer, die aufgegriffen worden sind, die offensichtlich von einem anderen Mitglied von Al-Kaida einen konkreten Handlungsauftrag für Deutschland hatten. Also bin Laden war eine zentrale, aber nicht die alleinige Figur in der internationalen Terrorismusszene.

    Engels: Herr Schulz, erwarten Sie nun eine Diskussion darüber, dass die US-Amerikaner Osama bin Laden ja nun offenbar gezielt getötet haben und eben nicht festgesetzt, nicht festgenommen haben?

    Schulz: Das ist zu erwarten. Man wird die Details abwarten müssen. Ich hatte den Eindruck, bei der Schilderung, der kurzen Schilderung, die der Präsident in seiner Ansprache gegeben hat, dass der Versuch unternommen worden ist, ihn aufzugreifen, denn es war ja wohl ein Bodenkommando unterwegs, das den, wenn ich das richtig interpretiere, Auftrag hatte, ihn aufzugreifen. Es ist bei einem Feuergefecht, so hat Obama gesagt, zu dieser Tötung gekommen. Von daher wird es sicher zwei unterschiedliche Darstellungen geben, davon gehe ich aus, dass die Amerikaner versuchten, ihn aufzugreifen, und dass er dabei getötet worden ist, während die andere Seite sicher behaupten wird, er ist gezielt getötet worden. Ich glaube, das ist aber nur eine Randfrage. Wir werden uns sicher darauf einstellen müssen, dass das Netzwerk versuchen wird zurückzuschlagen. Deshalb glaube ich, dass in den nächsten Tagen und Wochen erhöhte Aufmerksamkeit notwendig ist, denn es ist damit zu rechnen, dass es Terroranschläge oder zumindest versuchte Terroranschläge wahrscheinlich speziell in den USA, aber möglicherweise auch in Europa geben wird.

    Engels: Da schauen wir gleich noch drauf; bleiben wir noch kurz bei diesem Stichwort der möglicherweise gezielten Tötung. Möglicherweise geschah es im Feuergefecht, wir wissen es nicht genau. Der Internationale Strafgerichtshof oder andere Institutionen, die sich eben bemühen, Verbrecher vor Gericht zu stellen, werden durch ein solches Vorgehen nicht gestärkt, oder?

    Schulz: Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage, eine Stunde nach Bekanntgabe dieses Ergebnisses. Ganz sicher muss das Ziel in der internationalen Gemeinschaft, aller internationaler Institutionen, auch von Regierungen sein, Menschen, die sich in solche Verbrechen verwickelt haben, wie bin Laden, das getan hat, vor Gericht zu bringen und mit Maßstäben zu messen, die wir als zivile Staatengemeinschaft, als internationale Gemeinschaft anlegen, was die Strafbarkeit von internationalen Straftaten, international relevanten Straftaten angeht. Nun ist das bei bin Laden schon sehr schwierig, denn bin Laden ist kein Staatschef, er ist ein simpler Terrorist, der nicht auf der Grundlage irgendeiner staatlichen Institution gehandelt hat. Das heißt, zunächst einmal gab es schon auch einen Strafverfolgungsanspruch der Vereinigten Staaten von Amerika, die ja auch nie einen Zweifel daran gelassen haben, dass sie ihn vor Gericht stellen wollen, und seine Hauptaktivitäten richteten sich ja auch gegen die USA. Insofern: man wird abwarten müssen, in welche Richtung die Diskussion geht, aber eine Schwächung eines internationalen Strafgerichtshofs kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen.

    Engels: Herr Schulz, dann kommen wir jetzt auf den Aspekt zu sprechen, den Sie eben schon angedeutet haben. Möglicherweise ist nun mit Anschlägen zu rechnen als Reaktion des Terrornetzwerkes Al-Kaida. Worauf soll sich Europa vorbereiten?

    Schulz: Man muss noch einmal in der Beantwortung Ihrer Frage, Frau Engels, darauf verweisen, dass man sich Al-Kaida nicht als eine perfekt durchgestylte zentralisierte Organisation vorstellen darf, sondern das ist eine Gruppe von 150 bis 200 Kämpfern, die zentral irgendwo im Bereich Afghanistan-Pakistan operieren. Aber die Art und Weise, wie sie operiert haben, hat sich ausgepflanzt – weltweit. Im Maghreb, im nordafrikanischen Bereich, gibt es Al-Kaida-Ableger, wir wissen, im Jemen gibt es starke Aktivitäten, in Asien gibt es Gruppierungen, die nicht zentral gesteuert werden, sondern ähnlich wie Al-Kaida operieren. Und ich glaube, die Rolle von bin Laden war, die einer Symbolfigur, und die Symbolfigur ist jetzt getötet. Also werden wir davon ausgehen müssen, dass weltweit Anhänger von bin Laden, die sich in terroristischen Gruppierungen organisiert haben, jetzt versuchen werden zuzuschlagen. Die Tatsache, dass die unabhängig voneinander operieren, macht es auch schwieriger zu sehen, wer wo wann welche Taten vorbereitet. Ich glaube auf der anderen Seite, die Sicherheitsorgane sind weltweit in Alarmbereitschaft, sicher in höchster nach der Bekanntgabe dieses Ereignisses, und es gibt ja auch die Chance, im Vorfeld zu erkennen, wer etwas plant. Wir haben gerade einen solchen Aufgriff in der vergangenen Woche in Deutschland erfolgreich gehabt. Dennoch: Man muss sich innerlich darauf vorbereiten, man kann nicht alles an jeder Stelle der Welt und zu jedem Zeitpunkt kontrollieren, und deshalb, glaube ich, wird die Tötung von bin Laden sicher jetzt auch in diesen Terrorkreisen als eine Provokation empfunden, und rechnen wir mal damit, dass die versuchen werden zurückzuschlagen.

    Engels: Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Vielen Dank für diese Einschätzungen.