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Schundroman

Wenn ein Mann hoch über den Wolken im Flugzeug von Manila nach Frankfurt nicht schlafen kann, weil sich neben ihm im Erste-Klasse-Liegesitz eine fremde, superschöne Frau räkelt, wenn ihm dann zu seiner vollkommenen Erregung ein Tattoo mit den Umrissen des Gardasees an ihrem Bauchnabel ins Auge sticht, und wenn dann die Schöne ihre Schlafbrille ein wenig anhebt ("Ich heiße Lou") und zielstrebig nach seiner Hand langt, so frohlockt auch der geneigte Leser: So können nur Kirchhoff-Romane anfangen! Sexy und frivol - so mag es der Autor, sexy und frivol - das sind die Adjektive, die Kirchhoffs Lesern seit "Dame und Schwein", "Die Einsamkeit der Haut" und zuletzt "Parlando" ohne Scham über die Lippen gehen.

Hajo Steinert | 26.06.2002
    Lou, erfahren wir bald, ist eine Edelnutte, Willem Hold, der erregte Fluggast, ein Auftragskiller. Hoppla, wie sich die Wege kreuzen, wen der Zufall da zusammenführt! Die Liebeskünstlerin hat auf durchaus dubiose Weise von einem in die Jahre gekommenen Freier einen Picasso "geerbt" und für viel Geld vertickt. In Frankfurt am Flughafen wird ihr ein Privatdetektiv auflauern, dessen Auftraggeber, die Erben des Dahingeschiedenen, mit diesem Deal ganz und gar nicht einverstanden sind. Willem Hold, der Pistolen- und Armbanduhrenfetischist, soll in der hessischen Metropole einen schwerreichen Leasing-Unternehmer um die Ecke bringen. So weit, so Kirchhoff. Mit kriminalistischer Lust ging er schon öfters an Werk, ohne am Ende jemals einen wirklichen Krimi geschrieben zu haben.

    Aber dieses Mal knallen nicht nur bei den handelnden Figuren die Sicherungen durch, sondern auch beim Autor. Nicht nur die Figuren laufen Amok, der Autor tut es auch. Er schlägt in seinem spritzigen, ja blutspritzigen Schundroman - der Titel ist ästhetisches Programm - Kapriolen, wie man sie selbst bei einem so ausgebufften Erzähler wie Bodo Kirchhoff nicht für möglich gehalten hätte. Kirchhoff war nicht zu bremsen. Damit sich die Edelnutte nach ihrer Ankunft am Flughafen unbehelligt davon stehlen kann, versetzt der verliebte Killer in einer Art Ablenkungsmanöver in der Ankunftshalle einem x-beliebigen Passanten einen Ellbogencheck. Dass dieser Ellbogencheck für den Getroffenen ein tödliches Ausmaß annimmt, ist absurd genug. Dass sich der Getroffene als der bekannteste Literaturkritiker des Landes herausstellt, der einst einige Gedichte der schönen Lou nicht ohne egoistische Hintergedanken körperlicher Natur in der FAZ zum Abdruck brachte, übersteigt die Grenze zur Kolportage souverän.

    Kein Einfall ist Kirchhoff schräg genug. Die Logik des Romans besteht in der Kontinuität von Albernheiten. Das Prinzip des Romans heißt Zufall. Und doch steckt er voller überraschender Pointen, liegt am Ende ein Stein auf dem anderen, wirkt alles durchdacht. Kirchhoff setzt auf eine vorher noch nicht da gewesene Mischung aus Comic, Komödie, Klamotte, Groteske Karikatur und Satire. Eines ist der Roman indes mitnichten: provokativ. Dafür ist er, so garstig und blutrünstig die Handlung auch daher kommt, einfach zu kultiviert geschrieben. Selbst das Blutbad in einem Edelrestaurant nahe der Frankfurter Oper verströmt literarische Delikatesse.

    Man muss wissen: die schrille, bewusst kitschige Romanze zwischen Killer und Hure spielt während der Frankfurter Buchmesse. Nicht nur, dass der von Hold zu killende Leasing-Unternehmer Busche zwei Mal im Monat für jeweils einen Fünfhunderter mit Lou seine verschwitzten Popo-Spielchen spielt, nicht nur, dass die schöne Hure von ihrem sabbernden Freier auf dem Höhepunkt seines Versagens bestialisch ermordet wird - Kirchhoff schreckt vor minutiösen und wenig appetitlichen Detailbeschreibungen nicht zurück -, der Unhold pflegte vor seinem Ableben eine öffentlich zur Schau getragene Beziehung zu einer Sexfibel-Autorin namens Vanilla Campus - hinter der sich keine andere als Verona Feldbusch verbirgt, die es ihrerseits auf die Knete des Alten abgesehen hat und ebenso zu den Stars der Buchmesse zählt wie ein gewisser Ollenbeck, welcher seinerseits mit Verona Feldbusch, pardon, Vanilla Campus ins Bett zu steigen trachtet, wobei man sich das verklemmte Bürschchen durchaus als Modeautor Michel Houllebeqc vorstellen darf.

    Und wem das alles noch nicht genügt, dem sei noch verraten, dass Bodo Kirchhoff in seinem ungebremsten Spott die Schriftstellerin Christa Wolf gemeinsam mit Dolly Buster und Ulrich Wickert - sie werden namentlich nicht verfremdet - in einer Stretch-Limousine vorfahren lässt. Auch Siegfried Unseld, der Vater von Bodo Kirchhoffs Verleger, Joachim Unseld, tritt im Schundroman auf. Er heißt hier Dr. Dr. Hesselbrecht. Dessen alljährlicher und in Fachkreisen "berühmter" Kritikerempfang im Rahmen der Buchmesse kann nur unter Polizeischutz stattfinden, weil nach dem Tod Marcel Reich-Ranickis, pardon, im Roman heißt er ja Louis Freitag, die ganze Kritikerzunft Angst vor weiteren Attentaten hat. Klar, dass alle denken, der Großkritiker fiel dem Racheakt eines frustrierten Schriftstellers zum Opfer. "Manche nannten Freytags Todestag den elften September der Branche." In diesem Satz gipfelt die ganze Geschmacklosigkeit der Satire auf den Literaturbetrieb und insbesondere die Literaturkritik in Deutschland.

    Zu einer ernst zu nehmenden Abrechnung mit der journalistischen Zunft der Kritiker taugt der Schundroman indes so wenig wie der Roman Tod eines Kritikers von Martin Walser. Beide Autoren wurden in der Vergangenheit -Reich-Ranicki hin oder her - von uns Rezensenten eher gepflegt als getreten. Warum also so viele Emotionen? - Auch Autoren haben ihre Geheimnisse.

    Schundroman macht seinem Titel alle Ehre. Man mag über Kirchhoffs spürbar schnell geschriebenen, gelegentlich sogar selbstironischen Roman den Kopf schütteln oder Lachanfälle bekommen, man mag das Buch für maßlos übertrieben halten, konstruiert, für eine Verballhomung des Lesers, aber im Kontext der durchaus legitimen literarischen Abteilung "Trash" avanciert der "Schundroman" zum Kultbuch. Zu hoffen ist allerdings, dass sich dieser Vollbluterzähler in seinem nächsten Buch nicht mit einer fetten Grille begnügt, sondern wieder einen seiner wirklich spannenden Abenteuerromane schreibt. Keiner kann wie Kirchhoff erotische Erfüllung und erotische Verkümmerung, seelischen Zerfall und körperliche Verzweiflungslust so hautnah, so tiefschürfend beschreiben wie er. Hoffentlich hat er das in seinem derzeitigen Furor nicht vergessen.