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Schutz der Meere
"Gebot der Stunde ist Plastikvermeidung"

Weltweit landen jedes Jahr bis zu 13 Millionen Tonnen Kunststoffe in den Meeren. Die Pläne der EU zur Vermeidung von Plastikmüll seien ungewöhnlich klar, sagte die Meeresbiologin Stefanie Werner im Dlf. Wichtig sei die erweiterte Produzentenverantwortung - und die bewusstseinsbildende Komponente.

Stefanie Werner im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.05.2018
    Plastikmüll am Strand
    Nur kurze Zeit im Gebrauch, dann für lange Zeit in der Umwelt: Einwegartikel aus Plastik (dpa/ picture alliance/ Lars Halbauer)
    Christiane Kaess: Es ist allgegenwärtig in unserem Alltag: Plastik. Eingeschweißtes Obst aus dem Supermarkt, in kleine Becher eingeschweißter Kaffee für den schnellen Koffeingenuss aus der Maschine, oder die Plastiktüte, die fast bei jedem Einkauf über die Ladentheke geht. In dem Moment machen wir uns wenig Gedanken darüber, wo der Plastikmüll später landet, und schon gar nicht in Deutschland, wo wir Plastik auch noch zum Teil recyceln. Tatsache ist aber, dass wir insgesamt viel zu viel Plastik verbrauchen und dass auch unser Plastikmüll ganz am Ende im Meer landen kann. Und weil die Weltmeere so sehr mit Plastik belastet sind, dass kleine Partikel sich schon jetzt überall ablagern, ist das Thema auch für die EU-Kommission hoch brisant. Gestern hat sie konkrete Vorschläge zur Lösung des Problems vorgelegt.
    Stefanie Werner ist Meeresbiologin und beim Umweltbundesamt zuständig für Meeresschutz, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Werner!
    Stefanie Werner: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Plastiktrinkhalme und Wattestäbchen – wenn es die in der EU nicht mehr gibt, wäre dann damit den Meeren tatsächlich geholfen?
    Werner: Auf jeden Fall wäre den Meeren damit schon geholfen. Aber glücklicherweise adressiert der neue Vorschlag der EU-Kommission alle wichtigsten Befunde in der Meeresumwelt, die zehn Top-Befunde, die wir an Stränden an europäischen Meeren finden, und auch Fischereigeräte, diese sogenannten Geisternetze, die besonders gefährlich für die Meeresumwelt sind.
    Kaess: Was heißt zehn Top-Befunde? Da geht es genau um diesen Plastikmüll, der jetzt verboten beziehungsweise eingeschränkt werden soll?
    Bis zu 13 Millionen Tonnen Kunststoffe in den Meeren järhlich
    Werner: Genau. Wir gucken uns seit vielen Jahren an, wie sich die Funde von Müll an den Stränden darstellen. Da ist es so, dass von zwölf häufigsten Fundstücken zehn Einwegprodukte aus Kunststoffen sind, und insofern ist es zu begrüßen, dass die jetzt durch den Legislativvorschlag adressiert werden.
    Kaess: Welchen Schaden richten diese Produkte im Moment im Meer an?
    Werner: Wir gehen davon aus, dass global zwischen zirka fünf bis 13 Millionen Tonnen Kunststoffe jedes Jahr in den Meeren landen. Wir wissen von 817 Arten aktuell, dass sie regelmäßig von den schädlichen Auswirkungen betroffen sind. Das betrifft dann die Strangulierung von Tieren in Abfallresten, Abfallstücken, oder auch die regelmäßige Aufnahme, das Verschlucken, was mit internen Verletzungen einher geht oder oft auch mit Verhungern mit vollem Magen. Wir wissen, dass diese 817 Arten mindestens betroffen sind, natürlich mit einer hohen Dunkelziffer, und 17 Prozent davon stehen sogar auf der Roten Liste.
    "Dringender Handlungsbedarf geboten"
    Kaess: Jetzt kam in den letzten Tagen auch immer wieder diese Meldung, dass kleine Plastikpartikel überall zu finden sind. Wie alarmierend ist die Lage?
    Werner: Ja! Wenn Sie mich als Meeresbiologin fragen, sind Kunststoffe aus Sicht der Meere eine klare Marktverfehlung, denn sie haben eine derartige Langlebigkeit und finden sich in derartigen Mengen überall, auch in nicht bewohnten Gegenden der Meere in großen Mengen, dass dringend Handlungsbedarf geboten ist.
    Kaess: Wann gelangt das Ganze in die Nahrungskette?
    Werner: Das Ganze ist im Prinzip in der Nahrungskette, kann potenziell natürlich auch beim Menschen landen. Allerdings verspeisen wir selten Fische mit Magen-Darm-Trakt. Wir wissen, dass sich Mikroplastik im Magen-Darm-Trakt anreichert. Was genau das jetzt für den Menschen bedeutet, ist allerdings noch nicht geklärt.
    Kaess: Jetzt gibt es ja Plastik schon sehr lange. Seit wann ist denn die Entwicklung eigentlich problematisch geworden?
    Werner: So lange ist es noch gar nicht. Es ging alles Mitte des letzten Jahrhunderts los. Da hatten wir Mitte der 50er-Jahre Produktionszahlen von 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Mittlerweile sind wir bei 322 Millionen Tonnen Produktionsmengen jedes Jahr. Seit Mitte der 80er werden Funde in den Meeren berichtet und mittlerweile ist es ja im Prinzip täglich in den Medien.
    Kaess: Ist das eine Entwicklung, die auch rückgängig gemacht werden kann? Können zum Beispiel besonders verschmutzte Meere auch wieder gereinigt werden?
    Werner: Das sehen wir sehr kritisch. Im Prinzip kann man die Größenklasse, nämlich das Mikroplastik - Große Makroplastik, nennt man das. Die großen Stücke, die zersetzen sich mit der Zeit. Das dauert sehr, sehr lange. Das Gros der Funde in den Meeren betrifft aber dieses Mikroplastik, im Gros das zersetzte Makroplastik, und das kriegt man mit Reinigungsaktionen nicht aus dem Meer und wenn, dann nur mit Methoden, die auch wiederum das Leben im Meer schädigen, was da ja auch noch herumschwimmt und lebt und tobt.
    Kaess: Wenn die EU jetzt etwas dagegen tut, reicht das?
    Werner: Auf jeden Fall begrüßen wir den Vorschlag sehr. Der ist ungewöhnlich klar und adressiert im Prinzip verschiedenste Maßnahmen, die unserer Sicht nach geeignet sind, wie gesagt, die wichtigsten Befunde erst mal anzugehen. Es hat sogar Verbotscharakter für verschiedene Einwegkunststoffe, für die bereits gute Alternativen verfügbar sind. Insofern kann das schon wirklich zu Minderung führen.
    Produzenten mehr in der Verantwortung
    Kaess: Aber die Verschmutzung geht ja nicht nur von der EU aus. Sie würden aber trotzdem sagen, das ist so ein großer Teil, da werden wir einen klaren Unterschied merken, wenn diese Vorschläge denn umgesetzt werden?
    Werner: Ja. Letztendlich ist das natürlich richtig. Die großen Einträge finden in anderen Teilen der Welt statt, allerdings auch zum Beispiel in Südeuropa. Nichts desto trotz produziert die EU sehr viele Kunststoffe, exportiert die in Gegenden der Welt, wo nicht entsprechende adäquate Abfallentsorgungsstrukturen zur Verfügung stehen. Ein ganz wichtiger Teil dieses Legislativvorschlages ist im Prinzip eine erweiterte Produzentenverantwortung, dass die Produzenten dafür Sorge tragen müssen, und insofern kann das auch in anderen Teilen der Welt wirklich helfen.
    Kaess: Die Verantwortung von Produzenten, darauf hebt das Ganze auch ab. Es wird nicht nur verboten, sondern es gibt den Teil auch. Das bezieht sich dann auf die Verpackungen für Fast Food, auf Luftballons oder Getränkeverpackungen, Deckel und so weiter. Da sollen die Hersteller für das Einsammeln und auch für die Info-Kampagnen zahlen. Aber reicht das aus?
    Werner: Sie sollen ja im Prinzip nicht nur für das Einsammeln, sondern auch für neue Design-Vorschläge Sorge tragen. Einzelne Design-Vorschläge sind adressiert. So sollen Kunststoff-Flaschen nur noch mit Deckeln ausgestattet werden, die sich in der Nutzungsphase nicht mehr lösen, und es ist ganz klar gesagt, dass für die anderen Produkte, für die es noch keine Alternativen gibt, derartige Design-Lösungen auch gefunden werden müssen.
    Wir finden aber, dass der Hersteller da wirklich in der Pflicht ist. Im Prinzip hat die Kunststoffindustrie dieses Problem angerichtet; nun muss sie auch dafür Sorge tragen, dass sie mit einem entsprechenden Design und mit neuen Materialien uns aus der Misere wieder rausholt.
    "Bewusstseinsbildende Komponente nicht zu unterschätzen"
    Kaess: Und da haben Sie Vertrauen in die Industrie, dass das klappt?
    Werner: Das müssen tatsächlich die nächsten Jahre zeigen. Das ist auch, denke ich, wieder der Schwachpunkt des Ganzen. Das Ganze ist erst mal nur ein Vorschlag. Jetzt muss das Ganze mit den EU-Staaten abgestimmt werden, mit dem EU-Parlament verhandelt werden. Das kann jahrelang dauern. Danach müssen die EU-Staaten die Richtlinie – es soll ja eine werden – auch noch in eigene Gesetze gießen. Insofern muss man schauen, wie scharf dann tatsächlich auch die Implementierung ist. Aber dennoch sollte man die bewusstseinsbildende Komponente, dass man diese Einwegprodukte, die ja oft nur wenige Minuten Nutzungszeit haben und dann bis zu Jahrhunderten in der Umwelt bleiben können, ächtet und verbieten will, schon nicht unterschätzen.
    Kaess: Zuletzt soll auch demnächst in der EU viel mehr recycelt werden. Bis 2021 ist davon die Rede, dass 90 Prozent der Einweg-Plastikflaschen recycelt werden sollen. Jetzt hört sich das so toll an, wenn man sich vorstellt, alles was recycelt wird, das belastet nicht mehr die Umwelt oder speziell das Meer. Ist das aber tatsächlich so einfach, oder wird eventuell mit dem Recycling-Prozess die Umwelt auch belastet?
    Werner: Es ist tatsächlich nicht so einfach. Wenn wir uns anschauen, was wir für Recycling-Quoten haben: Selbst Deutschland liegt momentan nur bei zirka 35 Prozent. Laut der OECD ist es so, dass selbst wenn wir weltweit ungefähr 50 Prozent bis 2050 recyceln würden, würde das bei weitem nicht die Abfallmengen ausgleichen, die nach wie vor verbrannt werden und auf Landdeponien und in der Umwelt entsorgt werden. Insofern ist das Gebot der Stunde Vermeidung. Das ist auch der erste Schritt der Abfall-Hierarchie. Das hoffen wir, dass das in Zukunft auch noch stärker angesprochen wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.