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"Schutz der Patienten muss man stärken"

Die von der EU-Kommission geplante Erleichterung von Medikamententests an Menschen schütze Patienten nicht ausreichend, sagt der Europaparlamentarier Peter Liese (CDU). Besonders bei Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung bestünden große Risiken. Außerdem plädiert er für den Einsatz einer Ethikkommission.

Peter Liese im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.02.2013
    Jasper Barenberg: Dass in Europa in vielen Bereichen alle nach mehr oder weniger denselben Regeln spielen, das werden die meisten für eine vernünftige Idee halten. Die Kontrolle von Lebensmitteln ist da in diesen Tagen nur ein Beispiel von vielen – Stichwort falsch deklariertes Pferdefleisch. Was aber, wenn geplante Regeln für ganz Europa hinter dem zurückbleiben, was wir hierzulande für wichtig halten, und wenn es dann auch noch darum geht, unter welchen Bedingungen neu entwickelte Medikamente an Menschen getestet werden dürfen – ein besonders sensibles Thema also. Pläne der EU-Kommission jedenfalls stoßen im Bundestag schon mal auf einige Vorbehalte. Am Telefon ist der gesundheitspolitische Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament und Mediziner. Guten Morgen, Peter Liese.

    Peter Liese: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Liese, der Schutz der Patientinnen und Patienten ist ungenügend in den Vorschlägen der Kommission. Läuft die Kritik auf diesen wichtigsten Punkt hinaus?

    Liese: Ja. Ich teile die Bedenken, die der Deutsche Bundestag vorgetragen hat, und wir müssen dringend über Änderungsanträge den Kommissionsvorschlag so verbessern, dass der Schutz der Patienten ausreichend ist. Wir wollen die Forschung, wir wollen die Entwicklung von neuen Medikamenten, aber es darf nicht sein, dass dabei die Patienten, insbesondere wenn es sich um Kinder oder geistig behinderte Menschen handelt, dass die dort weniger geschützt werden, als das bisher der Fall war.

    Barenberg: Die Interessen der Wirtschaft, der Pharmaindustrie werden also vor die der Patientinnen und Patienten gestellt?

    Liese: Ja das ist schon in der bisherigen Berichterstattung – die "Süddeutsche Zeitung" hat sich ja gestern intensiv mit dem Thema beschäftigt – ein bisschen einseitig. Es geht bei klinischen Prüfungen nicht nur um Pharmafirmen; es gibt auch sehr viele klinische Prüfungen, Arzneimitteltests am Menschen, die zum Beispiel von Universitätskliniken oder von Patientenorganisationen wie der Deutschen Krebshilfe durchgeführt werden, gerade bei Tests, wo sich die Pharmaindustrie nicht engagiert oder es sich nicht lohnen würde. Und deswegen geht es nicht nur um die Pharmaindustrie, es geht auch um andere Interessen, die einfach bessere Erkenntnisse über Arzneimittel gewinnen wollen. Trotzdem muss man den Schutz der Patienten – da sind wir uns ja im Bundestag in Deutschland zumindest einig -, muss man den stärken gegenüber dem, was die Kommission vorgeschlagen hat.

    Barenberg: Die Kommission hat ja in ihren Vorschlägen selber ausdrücklich betont, dass das bisher hohe Schutzniveau Forschung behindert und die Zahlen der klinischen Prüfungen von Medikamenten deswegen eben zurückgegangen sind. Kann man daraus nicht ganz eindeutig ersehen, dass die Interessen der Pharmahersteller im Vordergrund stehen?

    Liese: Nein, nein. Also es geht erstens gar nicht um ein zu hohes Schutzniveau, sondern was wir ändern müssen – auch da stimme ich dem Bundestag zu; die Resolution des Deutschen Bundestages benennt ja nicht nur die Mängel des Kommissionsvorschlages, sondern auch die Vorteile -, wir müssen die Bürokratie ändern. Wenn ich in fünf verschiedenen Ländern einen Test durchführen möchte von einem bestimmten neu entwickelten oder bestehenden Arzneimittel – das können auch bestehende Arzneimittel sein, wo zum Beispiel jemand prüfen möchte, komme ich nicht mit weniger aus, als die Pharmaindustrie bisher vorgeschlagen hat -, dann muss ich einen unheimlichen Papierkrieg durchführen, in verschiedenen Ländern verschiedene Formulare. Und auch wenn der Test ein geringes Risiko hat, weil zum Beispiel das Medikament schon auf dem Markt ist und man nur überprüfen möchte, ob die Angaben der Industrie eigentlich stimmen, dann sind die gleichen strengen Auflagen. Ich bin dafür, die Bürokratie zu reduzieren, aber was nicht geht, ist, dass wir den Schutz der Patienten reduzieren.

    Barenberg: Wo sehen Sie den denn besonders gefährdet?

    Liese: Besonders an drei Punkten: Der Schutz von Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung soll reduziert werden gegenüber dem jetzigen Rechtszustand. Das geht überhaupt nicht. Da müssen wir massiv Widerstand leisten.

    Barenberg: Was hieße das denn praktisch, Herr Liese?

    Liese: Ja das heißt praktisch, dass man Forschung an Kindern oder an Menschen mit geistiger Behinderung unter weniger strengen Schutzstandards durchführen kann, dass man beispielsweise Risiken, die bisher nicht akzeptiert sind, dass man die eingehen darf, dass es einfach eine andere Bewertung gibt, dass in dem Fall die Forschung, ob von der Industrie oder von anderen, größere Risiken eingehen darf im Vergleich zu dem jetzigen Rechtszustand. Der zweite Punkt ist, was in dem Beitrag angesprochen wurde: Eine unabhängige Ethikkommission muss bisher in jedem Fall eine solche klinische Prüfung genehmigen. Das steht im Vorschlag nicht drin, werden wir wieder einführen. Da sind wir uns auch über die Fraktionsgrenzen einig.

    Barenberg: Heißt das dann, Herr Liese, in Deutschland oder europaweit, denn die Kommission reagiert auf die Kritik ja mit der Bemerkung, dass man in Deutschland gerne eine Ethikkommission einbeziehen dürfe.

    Liese: Nein. Ich möchte, dass wir das europaweit festschreiben. Erstens würde es sonst vielleicht zu Ethikdumping kommen. Dann haben wir in Deutschland wieder die Debatte, aber in den Nachbarländern wird es doch nicht gemacht, warum stellt ihr euch so an und macht das so kompliziert. Und das Ganze, was wir beschließen, gilt ja auch für Drittstaaten. Wenn ein Medikament zugelassen werden soll in Europa, dann müssen die Arzneimitteltests bezüglich dieses Medikamentes den europäischen Standards genügen. Und wenn wir die Ethikkommission in Europa nicht mal verbindlich festgeschrieben haben, dann können Firmen, die zum Beispiel in Indien solche Tests durchführen, sagen, ja warum wollt ihr eine Ethikkommission, das steht ja nicht in diesen gesetzlichen Vorgaben. Auch deshalb müssen wir es reinschreiben. Und der dritte Punkt ist eben, was auch im Beitrag angeklungen ist, dass es nicht beliebig sein kann, einen federführenden Mitgliedsstaat auszusuchen. Es ist in der Tat die Gefahr, dass man einen Staat nimmt in Europa, der relativ lax mit dem Thema umgeht, und nehmen wir an, vier oder fünf andere Staaten sind einbezogen, haben schwerwiegende Bedenken, dann würden diese Bedenken zunächst mal unter den Tisch fallen. Man kann dann zwar hinterher wieder von einem "Opt out" Gebrauch machen, dass man also dann in Deutschland zum Beispiel diesen Test nicht durchführt, aber das ist ein falsches Verfahren, denn wenn es Bedenken gibt von deutschen Wissenschaftlern, dass der Test zu gefährlich ist, dann müssen die auch in einem europäischen Prozess mit eingebracht werden.

    Barenberg: Herr Liese, nun haben wir gehört, dass Sie sich im Wesentlichen der Kritik der Parteien in Deutschland aus dem Bundestag auch anschließen. Sie haben die verschiedenen Punkte erwähnt: den Schutz von Kindern und Menschen mit Behinderungen, die Einbindung von einem Ethikrat. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass diese Änderungen auch durchdringen bis zur Kommission und sich dann tatsächlich niederschlagen? Was hören Sie aus den anderen Mitgliedsstaaten? Steht Deutschland da alleine da?

    Liese: Nein, Deutschland steht nicht alleine da. Der Vorsitzende des Arbeitskreises der Deutschen Ethikkommission war in einer Arbeitsgruppe, die ich leite. Dort waren Kollegen aus verschiedenen Fraktionen, aus verschiedenen Mitgliedsstaaten und haben gesagt, dass sie diese Bedenken teilen. Wie weit wir da zu einer Mehrheit kommen, werden die nächsten Monate zeigen. Ich bin sicher, bei den Ethikkommissionen – das wurde ja auch in dem Beitrag angesprochen – hat die federführende Berichterstatterin, die von den Sozialdemokraten ist, einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Ich glaube, dass wir den Vorschlag substanziell verbessern werden, und ich meine, das muss in allen drei Punkten, die ich angesprochen habe, passieren. Der Vorschlag selber sollte aber unterstützt werden, weil er auch viele, viele positive Elemente gerade für die unabhängige Forschung enthält.

    Barenberg: Aus dem Grund haben Sie ja auch vor Fundamentalkritik gewarnt. Das habe ich noch nicht so richtig verstanden, worin die denn bestehen soll.

    Liese: Ja. Der Artikel in der "Süddeutschen Zeitung", der jetzt in Deutschland für sehr viel Furore gesorgt hat, nennt nur die negativen Punkte und vermittelt den Eindruck, als ginge es hier einseitig um die Interessen der Pharmaindustrie. Es waren aber gerade kritische Forscher, die die Pharmaindustrie kritisch begleiten und entsprechende Forschungen auch durchführen, in den letzten Jahren immer wieder im Europäischen Parlament und haben uns gebeten, die Regeln zu ändern. Dass sie weniger bürokratisch sind, dass sie nach einem einheitlichen Verfahren laufen und dass dann, wenn ein Medikament schon zugelassen ist und man nur überprüfen will, ob man beispielsweise bei der Krebsbehandlung mit weniger Medikamenten und damit auch weniger Nebenwirkungen auskommt, dass diese Tests besonders kompliziert sind. Und das ist ein sehr positiver Aspekt, dass die Kommission diese Kritik aufgenommen hat. Deswegen fände ich es schade, wenn der Vorschlag abgelehnt wird, und das verlangt auch der Bundestag nicht. Der Bundestag unterstützt den Vorschlag, möchte aber Änderungen einbringen, und genau das halte ich für richtig.

    Barenberg: Der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!

    Liese: Gerne!


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